Ohne Maske durch die dritte Welle?

In Dänemark sind alle Corona-Maßnahmen aufgehoben. Die steigende Inzidenz zwingt nun zur Wiedereröffnung der Schnelltestzentren

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 4 Min.

Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit? In Dänemark ist dies längst passé. Seit 10. September sind in dem nordeuropäischen Land alle Corona-Restriktionen aufgehoben. Bereits seit Mai konnte die Bevölkerung mehr und mehr zum Leben ohne Covid-19-Beschränkungen zurückkehren.

Parteiübergreifend war sich das Parlament einig, mit diesem Datum den Status von Covid-19 als »kritische Gefahr für die Gesellschaft« und somit die Sondervollmachten der Regierung zur Epidemiebekämpfung zu beenden. Gesundheitsminister Magnus Heunicke begründete dies mit den niedrigen Inzidenzzahlen des Sommers sowie der Bereitschaft der breiten Bevölkerung, sich impfen zu lassen. Gegenwärtig sind 4,5 Millionen Dänen vollständig geimpft, was einer Quoten von 75 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Weitere 300 000 haben die erste Impfung erhalten und über 200 000 die dritte Impfung zur Wiederauffrischung.

Schon im September warnten allerdings Experten davor, dass eine dritte Welle in der kalten Jahreszeit nicht ausgeschlossen werden könne. Allgemein wurde erwartet, dass diese dank der hohen Impfquote mild verlaufen werde. Auch Minister Heunicke wies bei der Aufhebung der Restriktionen darauf hin, die Regierung werde zusammen mit den Gesundheitsbehörden die Entwicklung der Epidemie weiterhin unter scharfer Beobachtung halten, um gegebenenfalls schnell und energisch reagieren zu können.

Mit der Wiederaufnahme des normalen Schul- und Lehrbetriebes, des Sport-, Kultur- und Nachtlebens war die Anzahl der Covid-Erkrankten und auch der in Krankenhäuser eingewiesenen Patienten erwartungsgemäß gestiegen. In der Mehrheit handelt es sich um nicht geimpfte Personen, aber auch um vollständig Geimpfte, bei denen die Delta-Variante des Coronavirus durchgeschlagen hat. Bisher wurden rund 16 000 Geimpfte, etwa 0,4 Prozent, infiziert, wobei die Krankheitsverläufe in der Regel milde sind.

Aus diesem Grund ist man noch recht gelassen, obwohl die Infektionszahlen zuletzt stark gestiegen sind. Seit Monatsbeginn kletterte die 7-Tage-Inzidenz je 100 000 Einwohner von 40 auf aktuell 205,9. Seitens der Gesundheitsbehörden wird unterstrichen, dass die Corona-Patienten gegenwärtig keine übermäßige Belastung des Gesundheitswesens darstellen. Man ist sogar in der Lage, medizinisches Personal nach Rumänien zu schicken, wo die Lage außer Kontrolle ist. Im Durchschnitt werden in Dänemark derzeit 230 Personen täglich mit Covid-19-Diagnose in Krankenhäuser eingeliefert. Die Verteilung im Land ist jedoch sehr ungleichmäßig - Kopenhagen und die umgebenden Kommunen sind besonders stark betroffen.

Der größte Teil positiver Tests konzentriert sich aktuell auf Schulen, wo das Virus unter nicht geimpften Schülern gute Ausbreitungsmöglichkeiten hat und auf Wohngebiete mit überdurchschnittlichem Anteil von nichtwestlichen Einwanderern. Insbesondere die Jüngeren unter ihnen lehnen die Impfung ab. Teils, weil hier Verschwörungstheorien weitverbreitet sind und teils, weil sprachliche und kulturelle Hürden bestehen. Begünstigt wird die Virusausbreitung auch durch die Lebensverhältnisse der Einwanderer, die oft mit wesentlich mehr Personen auf weniger Quadratmetern Wohnfläche leben.

Der Anstieg der Inzidenz hat die Gesundheitsbehörden dazu bewogen, einige der bereits geschlossenen Schnelltestzentren wieder zu öffnen. Für teure PCR-Tests war der Andrang der Testwilligen zuletzt zu hoch. Insbesondere im Hauptstadtbereich werden Testzentren wieder geöffnet, bislang jedoch nicht auf dem früheren Niveau. In der Debatte ist nun auch die Wiedereinführung einzelner Restriktionen, was jedoch erst nach politischen Konsultationen und einem Beschluss des nationalen Parlaments möglich wäre.

Gegenwärtig wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass eine dritte Coronawelle Dänemark lahmlegen könnte und der Regierung erneut Sondervollmachten zugeteilt werden müssten. Trotz des generell hohen Vertrauens der dänischen Bevölkerung in Regierung und Behörden in Bezug auf die Epidemiebekämpfung ist ihre Geduld aber auch strapaziert. Erneuerte wesentliche Einschränkungen könnten erstmals Protest und Unwillen hervorrufen. Und so hat sich keine der Parlamentsparteien bisher für neue Beschränkungen ausgesprochen. Eine Querdenkerbewegung gibt es auch in Dänemark, aber diese ist weit weniger schlagkräftig als die deutsche. Und hier gibt es auch keine Prominenten, die sich offen als Anhänger von Verschwörungstheorien zu erkennen geben.

Ohnehin liegt in Dänemark derzeit das Augenmerk mehr auf traditionellen Erkrankungen der Luftwege wie Grippe und Lungenentzündung, die durch die Kontaktbeschränkungen im vergangenen Winter nur eine geringe Verbreitung hatten und seit einigen Wochen deutlich auf dem Vormarsch sind. Seitens der Gesundheitsbehörden ist ein umfangreiches Impfprogramm in Gang gesetzt worden, das Beschäftigte im Gesundheitssektor sowie Personen mit geschwächtem Immunsystem schützen soll. Auch dies ist ein bisschen Rückkehr zu früherer Normalität.

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