Schatten über Pfizers Covid-Impfstoff

Whistleblowerin enthüllt fragwürdige Vorgänge in der klinischen Studie und bei der US-Zulassung

Beruhte die Zulassung des Covid-Impfstoffs von Biontech/Pfizer in den USA zum Teil auf dubiosen Daten aus den klinischen Studien? Das jedenfalls legt ein Artikel nahe, der am Dienstag im Fachblatt »BMJ« der British Medical Association veröffentlicht wurde.

Brook Jackson, eine frühere Regionaldirektorin der texanischen Forschungsorganisation Ventavia, hatte sich an das Magazin gewandt und ihre Erlebnisse geschildert. Ventavia war vom Pharmakonzern Pfizer mit der Betreuung und Durchführung gewisser Teile seiner klinischen Studie zum Impfstoff Comirnaty beauftragt worden. Jackson wirft Ventavia - und damit indirekt auch Pfizer - vor, falsche Impfdaten generiert zu haben. Zudem habe man die »Verblindung« von Probanden (diese sollen nicht wissen, ob sie das Medikament oder ein Placebo bekommen, weil das für die objektive Bewertung wichtig ist) aufgehoben sowie unzureichend geschulte Impfärzte beschäftigt. Außerdem seien unerwünschte Nebenwirkungen, die im Zuge der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie von Pfizer gemeldet wurden, nur langsam nachverfolgt worden. Nach Angaben der Whistleblowerin rekrutierte Ventavia insgesamt 1000 Probanden für die Studien, deren Gesamtzahl sich weltweit auf rund 44 000 belief.

Nachdem sie Ventavia wiederholt auf diese Probleme hingewiesen hatte, schickte die Regionaldirektorin eine Beschwerde an die US-Medizinbehörde FDA. Noch am selben Tag wurde sie entlassen. Erstaunlicherweise reagierte die FDA nicht. Sie begutachtete nach eigenen Angaben vor der Notfallzulassung des Impfstoffes zwar neun der 153 Studienstandorte, doch die von Ventavia waren nicht darunter. Die Forschungsorganisation war auch an den späteren klinischen Studien für die Altersgruppen der 12- bis 16-Jährigen und der 5- bis 11-Jährigen beteiligt.

Die FDA wollte den Vorgang auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP genauso wenig kommentieren wie Pfizer. Partner Biontech hingegen teilte mit, man wolle den Vorwürfen nachgehen. Pfizer soll laut dem »BMJ«-Bericht eine Überprüfung von Ventavia eingeleitet haben.

Doch wie sind die Enthüllungen aus fachlicher Sicht zu bewerten? Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universität Tübingen, sagte, die Aussagen der Whistleblowerin seien »unschön«, aber sie reichten nicht, um »an der Qualität der klinischen Studie von Biontech/Pfizer zu zweifeln«. Kremsner kritisierte aber, es sei mittlerweile üblich, dass bei klinischen Studien bestimmte Aufgabenbereiche an Subunternehmen ausgelagert würden. »Dies macht viele Bereiche einer klinischen Studie komplizierter und mitunter auch schlechter.« Pfizer sei »definitiv in der Lage, alle Aufgaben eines klinischen Sponsors selbst zu übernehmen«. Auch Oliver A. Cornely, Leiter des Zentrums für Klinische Studien Köln, erklärte, die geschilderten Fehler schränkten die Aussagekraft der Zulassungsstudie des Impfstoffs nicht ein. »Zudem ist die Wirksamkeit inzwischen aus Daten aus Israel und anderen Ländern belegt.« Er forderte aber eine behördliche Inspektion aller Zentren von Ventavia. In Deutschland seien solche Inspektionen »die Regel und nicht die Ausnahme«.

Auch wenn der mRNA-Impfstoff einen guten Schutz vor schwerer Covid-19-Erkrankung bietet, schwere Nebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen sehr selten auftreten und in der Pandemie Eile bei der Zulassung geboten war - die Enthüllungen werfen ein schlechtes Licht auch auf Pfizer. Der Corona-Impfstoff, von dem in diesem Jahr vermutlich 2,3 Milliarden Dosen ausgeliefert werden, ist derzeit die Cash-Cow des Konzerns. Im vergangenen Quartal entfiel mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes auf Comirnaty. Erst vor wenigen Tagen erhöhte Pfizer sein Umsatzziel für das Gesamtjahr dank zusätzlicher Aufträge.

Im kommenden Jahr sieht es allerdings schlecht aus. Analysten rechnen mit deutlichen Umsatzeinbrüchen, wenn gegen Covid-19 weitere, darunter auch traditionelle Tot- und Proteinimpfstoffe auf die Märkte kommen. Aktuell profitiert Pfizer vor allem von der Nachfrage nach der Boosterimpfung. Böse Zungen behaupten, die mRNA-Hersteller setzten aus Profitgründen lieber auf die Auffrischimpfungen als auf die schon vor vielen Monaten angekündigten Updates, die gegen Mutanten wie Delta besser wirken.

Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Pfizer und Biontech Ergebnisse der klinischen Studie, die eine hohe Wirksamkeit des dritten Pikses belegen. Die Hersteller möchten natürlich am liebsten alle zum dritten Mal impfen, was auch Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorschlägt. Viele Virologen empfehlen dies hingegen nur für Hochbetagte und Menschen mit Immunschwäche. Übrigens: Wer war an den klinischen Studien zur Boosterimpfung als Subunternehmer beteiligt: Ventavia.

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