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EU-Pläne zur totalen Durchleuchtung
Kommission will massenhaft verschlüsselte Kommunikation überwachen. Als Begründung nennt sie den Kampf gegen Kinderpornografie
Es passiert nicht so häufig, dass empörte Bürger sich an EU-Kommissare wenden, um ihren Unmut loszuwerden. Noch seltener rufen Politiker gezielt zur öffentlichen Beschwerde auf und veröffentlichen dafür die Telefonnummern der zuständigen Bürostellen. Der EU-Abgeordnete und Bürgerrechtler Patrick Breyer (Piratenpartei) hat aber dies vor wenigen Tagen getan. Was ihn so erzürnt: Die EU-Kommission will es Chat- und Messenger-Anbietern zukünftig erlauben, Nachrichten und E-Mails massenhaft, anlass- und unterschiedslos auf verdächtige Inhalte zu durchsuchen.
Als Begründung für die sogenannte Chatkontrolle - ein von Breyer geprägter Begriff - wird die Strafverfolgung von Kinderpornografie herangezogen. Die zahlreichen Kritiker befürchten jedoch eine Massenüberwachung. »Die haarsträubenden EU-Pläne zur totalen Durchleuchtung unserer privaten Kommunikation mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen führen in einen Überwachungsstaat nach chinesischem Vorbild«, kommentierte der Piraten-Abgeordnete am Donnerstag. Eine »wahllose Suche ins Blaue hinein« sei der falsche Weg zum Schutz von Kindern und gefährde diese, indem ihre privaten Aufnahmen in die falschen Hände gerieten.
Worum geht es konkret? Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einem Gesetzespaket zur Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch. Ein Bestandteil davon ist die Chatkontrolle. Anbieter wie Whatsapp, Signal oder Apple sollen so künftig Nachrichten und Fotos vor dem Versand auf verdächtigen Inhalt kontrollieren. Hierbei werden die Inhalte von einer künstlichen Intelligenz oder Texterkennung gescannt und mit Datenbanken abgeglichen. Schlägt der Algorithmus an, soll vollautomatisch eine Anzeige an die Polizei erstattet werden. Auch verschlüsselte und private Kommunikation würde wohl von dem Mechanismus betroffen sein. Der Gesetzesentwurf sollte am 1. Dezember im EU-Parlament vorgestellt werden, doch von dem Termin ist man nun wieder abgerückt. Er ist nicht mehr im Kalender aufgeführt. Schon zuvor hatte es Verschiebungen gegeben.
Nichtregierungsorganisationen und Politiker warnen derweil weiter vor den Folgen der Pläne. »Das ist der größte Dammbruch für die vertrauliche Kommunikation seit Erfindung des Internets«, kommentierte am Freitag der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, Das Briefgeheimnis müsse auch in der digitalen Welt gelten, bekräftigte der Abgeordnete. Der bessere Weg sei die konsequente Verfolgung aller Vorfälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit rechtsstaatlichen Mitteln.
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Scharfe Kritik kam auch vom Blog Netzpolitik.org. »Alle Erfahrung lehrt: Was einmal gegen Darstellungen von Kindesmissbrauch etabliert wurde, kann später auch gegen Urheberrechtsverletzungen, gegen politisch missliebige Bewegungen und jeden anderen Inhalt eingesetzt werden«, sagte der Journalist Markus Reuter. Man müsse lediglich nur die Datenbanken austauschen, gegen die die Inhalte abgeglichen werden - »und schon werden unsere Computer und Handys auf den jeweils unerwünschten Inhalt durchsucht und dessen Verbreitung verhindert«. Die Pläne seien »ein Angriff über Bande auf die so wichtige, verschlüsselte Kommunikation«. Der Bürgerrechtler und Journalist Matthias Monroy hält es in einem Beitrag ebenso für »absehbar, dass eine Regelung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf andere Kriminalitätsphänomene ausgeweitet wird«. Der EU-Rat und die EU-Kommission hätten bereits in Stellungnahmen oftmals deutlich gemacht, dass sie Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation haben wollen, um in den Bereichen »Terrorismus« und »innere Sicherheit« ihre Interessen durchzusetzen.
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Der Verein Digital Courage warnte, eine solche Massenüberwachung könne generell nicht differenzieren zwischen der Kommunikation potenzieller Straftäter und besonders schutzbedürftigen Formen der Kommunikation beispielsweise von Opfern sexualisierter Gewalt mit ihren Therapeuten. Der Piratenabgeordnete Breyer bekräftigte, dass die eingesetzte künstliche Intelligenz und Textsoftware oftmals fehlerhaft sind. Nach Polizeiabgaben seien 86 Prozent der automatisierten Strafanzeigen strafrechtlich nicht relevant.
Wie der EU-Rat und das EU-Parlament letztlich entscheiden, ist offen. Im Sommer hatten das Gremium der Staatsvertretungen sowie eine Mehrheit von 537 Abgeordneten bei 133 Gegenstimmen und 24 Enthaltungen für eine Zwischenlösung gestimmt, die E-Mail- und Chatanbietern ein freiwilliges Scannen unverschlüsselter Inhalte vor dem Absenden erlaubt. Diese Regelung ist noch bis Ende 2022 möglich.
Der Verein Digitalcourage erinnerte grundsätzlich an die Debatte über die Einführung von Internetsperren von 2010, »bei der mit demselben vorgeschobenen Grund der Verhinderung und Aufklärung der sexuellen Folter von Kindern, eine Zensurinfrastruktur aufgebaut werden sollte«.
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