- Politik
- Querdenker in Leipzig
Harter Kampf um den Leipziger Ring
Erneut sorgen Corona-Verharmloser in Leipzig für eine angespannte und unübersichtliche Atmosphäre
Es gibt beim Aktionsnetzwerk «Leipzig nimmt Platz» eine Tradition: Nach großen Demonstrationen kommt das Kernteam des antifaschistischen Netzwerks, das in Leipzig und Umgebung regelmäßig gegen rechte Aufmärsche protestiert, am Abend noch einmal zusammen, um bei Kaltgetränken die Lage auszuwerten. Dem «Platznehmen», also bestenfalls der Verhinderung dieser rechten Aufzüge, folgt dann das «Schnapsnehmen» – so das Motto der kleinen Runde.
Auch am Samstag, nach der Demonstration der Corona-Verharmloser*innen in Leipzig, fanden sich die Organisator*innen der Gegenproteste noch in einer Kneipe zusammen. Die Stimmung: gemischt. Einerseits herrschte Erleichterung, dass die «Querdenker*innen», anders am im letzten Jahr, diesmal nicht auf den Leipziger Ring ziehen konnten. «Das war nicht nur ein Verdienst der Polizei», sagt Irena Rudolph-Kokot, die Sprecherin des Aktionsnetzwerks: «Das war fast allein ein Verdienst von Menschen aus dem Gegenprotest.»
Zumindest der historisch so bedeutsame Ring, auf dem 1989 die Friedliche Revolution in Ostdeutschland eingeläutet wurde, konnte diesmal nicht von rechten Akteur*innen missbraucht werden. Vor genau einem Jahr war das anders: Am 7. November 2020 war es bei einer großen «Querdenken»-Demonstration in Leipzig zu Ausschreitungen gekommen. Hooligans und Rechtsextreme hatten Polizist*innen mit Pyrotechnik angegriffen, die Masse hatte das Chaos für sich genutzt und war auf den Ring gezogen. Am Samstag wollten die «Querdenker*innen mit einer erneuten Demo den Erfolg vom letzten Jahr wiederholen – dieser Plan ist nicht aufgegangen.
»Querdenker« ziehen durch die Stadt
Andererseits machte sich am Abend bei Bier und Schnaps auch Frustration breit. »Man war ziemlich sauer auf das, was in der Innenstadt passierte«, berichtet Rudolph-Kokot. Denn anders als die Auflagen vorgesehen hatten, konnten sich die Corona-Verharmloser*innen zumindest ein Stück weit bewegen – wenn auch nur in der Fußgängerzone, die der Ring umschließt.
Die »Bewegung Leipzig«, wie der lokale Ableger der »Querdenker*innen« sich nennt, hatte eine Kundgebung auf dem Augustusplatz angemeldet – wegen der steigenden Corona-Inzidenz in Sachsen und des Erreichens der »Vorwarnstufe« waren Versammlungen allerdings nur ortsfest zulässig und auf 1000 Teilnehmer*innen beschränkt. Wie erwartet kamen jedoch deutlich mehr Menschen als erlaubt, darunter auch der bekannte »Querdenken«-Anwalt Markus Haintz. Am späten Nachmittag und Abend kam es dann zu einer unübersichtlichen und angespannten Situation: »Querdenker*innen« versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen. Später gelang es mehreren Hundert »Querdenker*innen«, gegen die Auflagen zu verstoßen und durch die Innenstadt zu ziehen.
Die Polizei schreibt, der Aufzug sei letztlich gestoppt und einer Identitätsfeststellung unterzogen worden. Insgesamt seien im Zusammenhang mit dem Einsatz 48 Straftaten registriert worden. Dabei werde gegen 43 bekannte Beschuldigte ermittelt, etwa wegen Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Vereinzelt seien Einsatzkräfte mit Gegenständen beworfen und mit Reizstoff besprüht, mindestens ein Polizist musste den Angaben zufolge im Krankenhaus behandelt werden. 24 Personen des rechten Spektrums seien in Gewahrsam genommen worden. Zudem gab es Berichte über Gewalt gegen Journalist*innen.
Corona-Lage wird immer dramatischer
Die »Querdenken«-Bewegung hatte sich im letzten Jahr zusammengeschlossen, um vordergründig gegen staatlich verordnete Corona-Maßnahmen zu protestieren. Von Anfang an dabei waren jedoch auch Rechte und Verschwörungstheoretiker*innen, eine Abgrenzung hat bis heute nicht stattgefunden.
Als ihren größter bisherigen Erfolg betrachtet die Bewegung die Demo in Leipzig vor einem Jahr, als nach einer Schätzung der Forschungsgruppe »Durchgezählt« der Universität Leipzig 45 000 »Querdenker*innen« in der Messestadt unterwegs gewesen waren. Die Ausschreitungen wiederholten sich nicht, aber: »Das Eskalationspotenzial war definitiv da. Der einzige Faktor, der die Lage nicht derart eskalieren ließ, war die Tatsache, dass deutlich weniger ›Querdenker*innen‹ kamen«, urteilt Irena Rudolph-Kokot.
Die Proteste gegen die Corona-Verharmloser*innen standen derweil auch im Zeichen einer zunehmend angespannten Situation in den Krankenhäusern. Die vierte Corona-Welle wird immer stärker, die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist erneut deutlich auf 191,5 gestiegen. Besonders stark betroffen sind weiter Sachsen und Thüringen. In Sachsen gilt wegen der angespannten Lage von diesem Montag an in weiten Teilen des öffentlichen Lebens die 2G-Regel, dann haben nur noch Genesene und Geimpfte Zutritt etwa zu Innengastronomie, Diskotheken sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen. Aus Sicht der »Querdenker*innen« waren diese Regelungen freilich ein zusätzlicher Anlass, um nach Leipzig zu mobilisieren – die rechtsextreme Kleinstpartei »Freie Sachsen« etwa hatte im Vorfeld der Demo die Verhaftung von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gefordert.
Immerhin: Der Ring blieb diesmal nazifrei. Passend dazu postete das Aktionsnetzwerk am Samstag ein Foto bei Instagram, auf dem die Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns – eine der wichtigsten Protagonist*innen der Proteste gegen SED und DDR-Regierung – ein Banner hochhält, auf dem steht: »Demokratie jetzt oder niemals mit Nazis«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.