Corona in Sachsen: »Ein harter, aber hilfloser Versuch«

Sachsen führt als erstes Bundesland 2G-Regel ein – stößt damit aber auf viel Ablehnung in Gastronomie, Kultur und Sport

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

In dem Ausflugslokal im ländlichen Ostsachsen informiert ein Aushang, dass die »4G-Regel« gelte: Man bediene Geimpfte, Genesene, Getestete – und, wie es heißt, »Gesunde«. Derlei Aushänge finden sich vielerorts im Freistaat, der als Hochburg der Impf- und Testmuffel gilt und mit einer Quote von 57 Prozent vollständig Geimpfter bundesweites Schlusslicht ist. Die Botschaft an Gäste und Kunden lautet: Auf Coronaregeln pfeift man hier. Sanktionen? Bisher meist Fehlanzeige. Landkreise, Städte und Gemeinden stritten darüber, wer Kapazitäten für Kontrollen hat.

Die Folgen lassen sich an steil ansteigenden Kurven für die 7-Tages-Inzidenz und die Bettenbelegung in sächsischen Krankenhäusern ablesen. Am Montag meldete das Robert-Koch-Institut, binnen einer Woche habe es im Freistaat 491,3 Corona-Fälle je 100 000 Einwohner gegeben – bundesweiter Rekord. In mehreren Landkreisen liegt der Wert über 600, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 924 sogar nahe der Marke von 1000. Schwere und schwerste Verläufe sorgen dafür, dass auf Normalstationen derzeit 973 Corona-Patienten liegen, auf Intensivstationen 256. Damit sind die Schwellen der Vorwarnstufe, die bei 650 und 180 liegen, überschritten; für nächste, spätestens übernächste Woche wird damit gerechnet, dass die »Überlastungsstufe« von 1300 Normal- oder 420 ITS-Betten erreicht ist. Zuletzt hatte sich die Zahl der Intensivpatienten binnen 14 Tagen verdoppelt, sagen Ärzteverbände. 90 Prozent der betroffenen Patienten seien ungeimpft oder älter als 60 mit einem geschwächtem Immunsystem. Die Verbände sprechen von einer »Flut an Infektionen«; die Inzidenzen seien »dramatisch«.

Angesichts dessen hat die sächsische Landesregierung die Notbremse gezogen und in einer am Montag in Kraft getretenen Verordnung harte Einschnitte für Ungeimpfte verfügt. In Gastronomie und Kultur, Klubs und Bars, für Feste und Großveranstaltungen gilt die 2G-Regel: Zutritt nur noch für Bürger, die vollständig geimpft oder genesen sind. Ausgenommen sind Unter-16-Jährige und Menschen, die sich nicht impfen lassen können; sie müssen aktuelle Tests nachweisen. Ausnahmen gibt es auch für Gottesdienste; die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens betont, Gottesdienste müssten »für alle Menschen zugänglich bleiben«, weshalb 3G oder gar 2G als »nicht geeignet« angesehen würden. Nach bisherigem Stand werden Lockerungen auch für »landestypische« Veranstaltungen wie die traditionellen Bergparaden im Erzgebirge sowie Weihnachtsmärkte erlaubt. Für diese gelten aber komplexe Regelungen wie die Aufteilung in »Flanier- und Verweilbereiche«. Manche Beobachter sprechen von »Realsatire hoch drei«.

Die Regierung weiß sich angesichts explodierender Fallzahlen aber keinen anderen Ausweg mehr. Man müsse »jetzt in einer besonderen Weise auf die Bremse treten«, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer am Wochenende auf einem Parteitag der von ihm geführten Landes-CDU: »Es ist die letzte Ausfahrt, die jetzt kommt vor einem Lockdown.« Davon überzeigt sind auch nicht alle Parteifreunde. Kretschmer wurde mit mageren 73 Prozent als Vorsitzender bestätigt.

Generell gilt der Schritt zu 2G als heikel. Schon jetzt ist die Stimmung in Sachsen aufgeheizt und die Gesellschaft gespalten. Regelmäßig gibt es Protest gegen eine angebliche »Corona-Diktatur« und Impfzwang durch die Hintertür. Leserbriefseiten der Regionalzeitungen sind voll mit empörten Zuschriften, in denen »autoritäres Gebaren« der Landesregierung angeprangert und davor gewarnt wird, dass »bestimmte Gruppen der Gesellschaft aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen« würden. Aufkleber auf Autos künden von einer verbreiteten Opferpose: »Ungeimpft, gesund – Mensch 2. Klasse«.

Zugleich treffen die jetzt verhängten Beschränkungen auch Geimpfte und Genesene, wenn etwa Lokale zeitweise schließen und Kulturveranstaltungen gänzlich abgesagt werden, statt sie unter 2G-Regeln durchzuführen. Die »Freie Presse« zitiert eine Wirtin aus dem Vogtland mit der Aussage: »Lieber kein Gastgeber, als ein halber Gastgeber.«
Erregte Debatten gibt es auch im Sportbereich. Im Stadion von Erzgebirge Aue, das in der 2. Bundesliga spielt und zu Heimspielen nur Geimpfte und Genesene einlassen darf, wurde Kretschmer auf Spruchbändern unflätig beschimpft. In der Region Chemnitz wurden unterklassige Fußballspiele teils abgesagt. Auslöser ist, dass sich bei »privaten Zusammenkünften« maximal zehn Personen treffen dürfen, die weder geimpft noch genesen sind. In diese Kategorie fallen auch Sportveranstaltungen. Hermann Winkler, Präsident des Sächsischen Fußballverbands, spricht von einem »falschen Signal«. Unmut gibt es unmittelbar vor Beginn der Karnevalssaison auch bei Faschingsvereinen. Am Sonntag um 11:11 Uhr protestierten 250 Vertreter vor dem Chemnitzer Rathaus gegen 2G oder einen Karneval mit Maske und Abstand: »Wer will schon mit Mund-Nasen-Schutz tanzen?«, fragte ein Funktionär.

Angesichts dessen äußern sich auch Kommunalpolitiker wie Thomas Zenker, Oberbürgermeister von Zittau, skeptisch. 2G sei ein »sehr harter, aber ziemlich hilfloser Versuch«, die Pandemie einzudämmen, schreibt er auf Facebook: »Es schadet denen, die bis jetzt durchgehalten haben, und überzeugt die, die nicht wollen, null.« Auf diese Weise, fügt er hinzu, »erreichen wir die Menschen nicht, die sich der Impfung verweigern«. Er plädiert statt dessen für flächendeckende und kostenlose Tests sowohl bei Ungeimpften als Geimpften. Zudem sei das »permanente, laxe Unterlaufen der Regeln« durch konsequentere Kontrollen zu unterbinden. Die stehen in Aussicht: Die Landkreise müssen laut neuer Verordnung je drei Kontrollteams bilden und etwa in Kneipen schicken.

Auch Sachsens Landräte – allesamt CDU-Politiker – halten 2G für den falschen Ansatz. Damit werden den Bürgern »eine Sicherheit vorgespielt«, die wegen der Ansteckungsgefahr auch durch Geimpfte »nicht gegeben« sei. Auch sie setzen auf eine »umfassende Teststrategie« und die Rückkehr zu kostenlosen Tests. Im Gegenzug warf SPD-Landeschefin Kathrin Michel den Landräten vor, die Zuspitzung der Lage mit einer »›Wir-lassen-das-jetzt-mal-so-laufen‹-Politik« und fehlende Kontrollen mit befördert zu haben. Sie rügte einen »Verfall des Gemeinsinns und des Verantwortungsbewusstseins« bei konservativen Kommunalpolitikern. In dasselbe Horn stieß im Konflikt mit den Sportverbänden SPD-Gesundheitsministerin Petra Köpping. Es sei »eines unserer größten Probleme in Sachsen, dass wir glauben: Ist uns doch egal, machen wir nicht, ist doch der Köpping ihre Pandemie«, sagte sie am Freitag vor Journalisten. Sie fügte an: »Ist es aber nicht.« Allein am Sonntag gab es 2423 Erkrankte.

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