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- Geraubte Kunst aus Kolonialzeit
Geschichte bleibt unter Verschluss
Zwar ist es gut, geraubte Kunstgegenstände zurückzugeben, meint Sheila Mysorekar. Das aber hat vor allem symbolischen Wert.
Schon verwunderlich, wie reumütig sich manche europäischen Staatsoberhäupter geben, wenn afrikanische, asiatische oder lateinamerikanische Länder Kunst- und Sakralgegenstände zurückfordern, die während der Kolonialzeit geraubt wurden. Man hat großes Verständnis; Museen in Großbritannien und Frankreich diskutieren über die Liste der Raubkunst. Nur Deutschland mauert und möchte die Büste der Nofretete gern behalten. Wir befinden uns damit in einer fast 100-jährige Tradition: Schon die Weimarer Republik, das NS-Regime und später die alte Bundesrepublik verweigerten die Rückgabe des Kunstwerkes an Ägypten.
Bei der Rückführung geht Frankreich voran: 26 geraubte Kunstgegenstände aus dem ehemaligen afrikanischen Königreich Dahomey werden heute an den Staat Benin zurückgegeben. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Staatsakt persönlich vollzogen.
Nun kann man zu Recht fragen, ob dieser Tamtam wegen 26 Stücken notwendig ist? Das ist schließlich nicht viel für 400 Jahre Kolonialherrschaft in Afrika. Da liegt noch mehr Gerümpel im Keller, nehme ich mal an. Aber sei’s drum, ein Anfang ist gemacht.
Bei aller Freude über die Rückgabe von Raubkunst sollte nicht vergessen werden, was die ehemaligen Kolonialmächte auf keinen Fall zurückgeben wollen: die Archive über jene Zeit. Also alle schriftlichen Beweise, welche die Gräueltaten der Kolonialzeit offenlegen würden. Vieles weiß man, aber noch viel mehr bleibt zu erforschen. Nur: Das geht leider nicht.
Frankreich beispielsweise weigert sich hartnäckig, die vorhandenen Archive an Algerien zurückzugeben. »Die algerische Regierung möchte ihre Archive zurück. Aber für uns sind sie nicht algerisch, sondern französisch; das ist also ein großes politisches Problem«, erklärte Hervé Lemoine, der ehemalige Leiter des Nationalarchivs. Das »politische Problem« liegt darin, dass Frankreich mit den Archiven den Algerier*innen die Unterlagen geben würden, um die Geschichte neu zu schreiben. Und dabei käme Frankreich nicht gut weg. Also mauert die Regierung.
Zum Trost haben Leiter*innen französischer Archive angekündigt, die »afrikanische Perspektive« von nun an mit einzubeziehen. Im Juli wurde es mittels eines neuen Gesetzes erleichtert, in den Archiven über Algerien zu recherchieren. Und Frankreich erkannte durch seine Regierung dieses Jahr seine Verantwortung für das Massaker vom 17.Oktober 1961 an algerischen Demonstrant*innen in Paris an. 60 Jahre später.
Wenn das Ausmaß der Unterdrückung, Morde und Ausplünderung schwarz auf weiß vorliegen würde, dann könnte die europäische Lebenslüge zerbrechen, dass die Kolonialzeit Zivilisation in die Welt getragen hätte. Die Öffnung der Archive ist daher von zentraler Bedeutung. In diesem Kontext wirkt Macrons Rückgabe afrikanischer Raubkunst nicht mehr ganz so großzügig.
Kenia zum Beispiel fordert seit langem die Herausgabe der Archive über die Kolonialzeit, aber Großbritannien weigert sich: Gerade in Kenia gingen die Briten während des Mau-Mau-Krieges von 1952 bis 1960 mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Unabhängigkeitsbewegung vor. Diese Unterlagen Kenia auszuhändigen, könnte eine Welle von Wiedergutmachungsforderungen auslösen. Eine rühmliche Ausnahme sind die Niederlande, wo Archive nach Suriname und Indonesien zurückgebracht wurden.
Dies betrifft jedoch nicht nur die Kolonialzeit. Ein neueres Beispiel ist die militärische Invasion der USA 1983 in dem karibischen Inselstaat Grenada, um die marxistische Regierung dort abzusetzen. Bei ihrem Abzug nahmen die U.S. Marines die Archive des Staates mit. Möchten Historiker*innen heutzutage etwas über die linke Regierung in Grenada recherchieren, bekommen sie die Antwort: »Ist alles in Washington. Wir haben nichts mehr hier.«
Wenn eine Bevölkerung keinen Zugang zu Informationen über ihre eigene Geschichte hat, dann fragen sich die Menschen: Was steht in diesen Archiven, das wir nicht sehen sollen?
Die gleiche Frage wird auch an die hessische Regierung gestellt – nur in einem anderen Kontext. Hessen hält nämlich Unterlagen über den NSU hartnäckig unter Verschluss, vor allem einen Bericht des hessischen Verfassungsschutzes von 2014. Einige Dokumente konnte »die tageszeitung« vor kurzem einsehen; vieles aber war geschwärzt. Dort stand, dass »interessanten Hinweisen (auf rechtsextreme Gruppen) nicht immer konsequent nachgegangen« wurde. Ein »Offenbarungseid«, wie der Journalist Konrad Litschko kommentiert hat.
Deswegen: Öffnet die Archive! Egal welche – Kolonialgeschichte, Militärinvasionen, Verfassungsschutz, einfach alle. Eure dreckigen Geheimnisse sind unsere Geschichte und unser Schmerz.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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