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»Ungeheuerliches Beispiel von Klima-Heuchelei«

Die schottische Umweltaktivistin Caroline Rance protestiert in Glasgow gegen ein geplantes Erdölprojekt des Gipfelgastgebers Großbritannien

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 6 Min.

Es sind etwa 30 Menschen, die sich an diesem kalten Mittwochabend am Ausgang des Verhandlungszentrums der UN-Klimakonferenz in Glasgow versammelt haben, um gegen Gas- und Ölprojekte in aller Welt zu protestieren. Vor drei Erdölfässern berichten die Aktivist*innen von den verheerenden Folgen. So erzählt ein Aktivist aus Mosambik von einem großen Flüssigerdgasterminal, das im Norden seines Lands geplant ist. Hier seien Tausende Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden. Nach jeder Rede rufen die Aktivist*innen im Sprechchor: »Fossil Fuels? Not here, not anywhere!« (Fossile Brennstoffe? Nicht hier, nirgendwo!).

Caroline Rance ist eine von ihnen. Die 37-jährige Schottin arbeitet seit fünf Jahren bei Friends of the Earth Scotland. Gemeinsam mit vielen anderen Gruppen wie Greenpeace oder Extinction Rebellion engagiert sich Friends of the Earth seit Monaten besonders gegen Cambo, ein geplantes Erdölprojekt im Norden des Landes. »Es ist toll, alle können einfach bei der Kampagne ›Stop Cambo‹ mitmachen. Wir sind keine feste Gruppe, sondern bestehen aus unterschiedlichen Kollektiven und Menschen«, sagt Rance. Das Projekt sei ein »ungeheuerliches Beispiel von Klima-Heuchelei«, dass Großbritannien dieses Projekt vorantreibt und sich gleichzeitig als grüner Gastgeber der COP 26 präsentiert.

Das Nordsee-Erdölfeld westlich der Shetlandinseln, dessen Name sich auf ein Dorf in der Grafschaft Northumberland bezieht, gilt als einer der größten Funde in britischen Gewässern. Das geplante Projekt läuft zu 70 Prozent über die Firma Siccar Point Energy, der Rest über den Shell-Konzern. Das Fassungsvermögen wird auf 800 Millionen Barrel geschätzt. Hier sollen 25 Jahre lang insgesamt 170 Millionen Tonnen Öl und Gas gefördert werden. Nach Angaben von Siccar Point Energy sollen pro Jahr 134 000 Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen werden, was weniger als ein Prozent aller Emissionen entspreche, die bei der Förderung von Erdöl und Gas in Großbritannien entstehen.

Diese Zahlen berücksichtigen jedoch nicht die weit größere Menge an Emissionen, die bei der Verbrennung des Erdöls und Gases entstehen, kritisiert Caroline Rance. »Die Industrien versuchen Wege zu finden, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie möchten sich so ökologisch wie möglich darstellen. Aber das ist Greenwashing.« Die Kritiker*innen vermuten zudem, dass die Firmen die komplette Kapazität des Erdölfeldes ausschöpfen wollen.

Konzerne wie Shell wurden lange nicht dafür verantwortlich gemacht, was andere mit den von ihnen geförderten Rohstoffen anstellen. Das änderte sich im Mai, als Aktivist*innen eine Klage gegen Shell in den Niederlanden gewannen. Nach dem Urteil eines Bezirksgerichts in Den Haag muss der Konzern nun nicht nur seinen eigenen CO2-Ausstoß erheblich senken, sondern auch die Emissionen, die bei der Verbrennung von Öl und Gas anfallen. Auf diesen Präzedenzfall beruft sich auch die schottische Kampagne.

Kurz nachdem Siccar Point Energy im Juni angekündigt hatte, einen Antrag für die Erschließung des Erdölfelds zu stellen, begannen Mobilisierungen zu Protesten. Im Juli besetzten Aktivist*innen die Lobby eines britischen Regierungsgebäudes in Edinburgh. Anfang August gab Friends of the Earth im Büro von Premier Minister Boris Johnson in London eine Petition ab, die 80.000 Menschen unterschrieben hatten. Im August fuhren Aktivist*innen von Greenpeace mit Kajaks in die Nähe eines Schiffes der Firma Petrofac, die Dienstleistungen für Erdölunternehmen anbietet, da sie annahmen, dass die Firma bereits mit den Arbeiten am Cambo-Projekt beginnen wollte, obwohl die Lizenz noch nicht erteilt wurde.

Besonders große Aufmerksamkeit erregte eine Aktion Mitte Oktober in Edinburgh. Zu einer Podiumsdiskussion im Vorfeld der UN-Klimakonferenz war zwar Shell-Geschäftsführer Ben Van Beurden eingeladen, aber kein Projektgegner. Nach heftiger Kritik durfte dann doch die »Stop-Cambo«-Aktivistin Lauren McDonald mitdiskutieren. Das Video, wie diese Van Beurden unter Tränen für seine Verantwortung in der Klimakrise anklagte, ging später viral.

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Bislang läuft die Projektplanung aber weiter. Siccar-Point-Chef Jonathan Roger beteuert: »Die Entwicklung von Cambo unterstützt die Energiewende des Landes und gewährleistet eine sichere Versorgung des Vereinigten Königreichs.« Auch die Regierung in London behauptet, das Land benötige weiterhin Öl und Gas, weil diese für die Herstellung vieler lebenswichtiger Güter unerlässlich seien. Auch gehe es um Arbeitsplätze.

»Es ist nicht wahr, dass britisches Erdöl unsere Deckenlampen am Leuchten hält«, hält Aktivistin Rance dem entgegen. Laut ihr werden 80 Prozent des britischen Nordseeöls ins Ausland exportiert. »Um die Energiesicherheit aufrechtzuerhalten, müssen wir erneuerbare Energien ausbauen«, fordert sie. Für Schottland sehen Expert*innen vor allem im Ausbau der Windkraft viel Potenzial.

Auch beim Argument, dass die Förderplattform so gebaut werden soll, dass sie später zu Erzeugung von Erneuerbaren genutzt werden könnte, winkt die Aktivistin ab. »Es ist absurd, dass in Großbritannien der Klimanotstand ausgerufen wurde, aber Erdöl und Erdgas weiterhin bis 2050 verbrannt werden sollen.« Laut Studien wie zuletzt von der Internationalen Energieagentur dürften keine neuen Öl- und Gasfelder erschlossen werden, wenn die Welt das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 erreichen will.

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Obwohl im ersten Corona-Jahr fast der gesamte Strombedarf Schottlands aus erneuerbaren Energien gedeckt wurde, hält sich die Regionalregierung dem Cambo-Projekt gegenüber bedeckt. Erst nach langem Schweigen bat Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon im August in einem Brief Premier Johnson, die Pläne für das Erdölprojekt Cambo zu überdenken. Greenpeace allerdings kritisierte dies als PR-Aktion. »Wenn die Ministerpräsidentin in Sachen Klimaschutz eine Führungsrolle übernehmen will, muss sie klipp und klar sagen: Stoppt Cambo!«, so der Kampaigner Sam Chetan-Walsh.

In Schottland hängen rund 100.000 Arbeitsplätze an der Erdölindustrie. In den 1970er Jahren lieferten die damit verbunden finanziellen Interessen das Hauptargument für die Unabhängigkeit Schottlands. Heute spiele Erdöl hier keine Rolle mehr, glaubt Caroline Rance. »Mit der zunehmenden Debatte um den Klimawandel in den letzten Jahren ist der schottischen Regierung und vielen Menschen klargeworden, dass wir auf erneuerbare Energien umstellen müssen.«

Die britische Regierung wies zeitweilig die immer lauter werdende Kritik mit dem Argument zurück, da die behördliche Genehmigung vorliege, könne sie nichts mehr tun. Friends of the Earth erläuterte daraufhin in einem offenen Brief, dies sei gelogen. Die Regierung habe immer ein Mitspracherecht, solange ein »öffentliches Interesse« bestehe, was außer Frage stehe. Mittlerweile räumte London ein, dass man die Möglichkeit habe, das Erdölprojekt zu stoppen – ein großer Erfolg für Caroline und ihre Kolleg*innen.
Glaubt sie noch daran, dass Cambo aufzuhalten sei? Ja, das tue sie, erwidert sie selbstbewusst und berichtet, dass britische Minister wiederholt von Delegierten auf der COP 26 auf das Erdölprojekt angesprochen worden seien. »In nur vier Monaten haben wir es geschafft, großen öffentlichen Druck aufzubauen – dank der Unterstützung von überall. Ich denke, wir werden es schaffen.«

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