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Ein Architekt gerät ins Licht
Jüngstes EuGH-Urteil zu Polens Justizreformen nimmt Justizminister Zbigniew Ziobro in Blick
Mit der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den sogenannten Justizreformen in Polen seit 2015 gerät wieder einmal jemand in den Blick, ohne den qua Person und Ämter der Konflikt mit der Europäischen Union nicht vorstellbar wäre und wohl auch nicht so eskaliert wäre: Zbigniew Ziobro. Der 50-jährige Ziobro ist Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person, ist einer der Architekten des massiven Umbaus des polnischen Justizsystems.
Die Luxemburger Richter urteilten am Dienstag, dass Ziobro, zwar nicht als Person, aber in seiner institutionellen Doppelrolle als Justizminister und Generalstaatsanwalt, zu viel Macht vereine und das rechtliche Gleichgewicht damit unzulässig weit verschoben habe. Konkret ging es wie schon in vorherigen Fragen um den Einfluss auf Richter und die damit einhergehende Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit, vergleichbar mit den umstrittenen Disziplinarkammern.
Ausgangspunkt der jüngsten Entscheidung waren sieben Kriminalfälle, die vor dem Bezirksgericht in Warschau anhängig waren. Das Gericht selbst hatte seine Zweifel darüber, ob entscheidende Gremien rechtmäßig besetzt waren und diese Frage den Luxemburger Richtern vorgelegt. In die betreffenden Kammern war jeweils ein Richter durch den Justizminister Ziobro delegiert worden - dieser konnte sich dabei auf das eine Gesetz über die normale Gerichtsbarkeit berufen.
Doch nun ist der Justizminister gleichzeitig Generalstaatsanwalt. Und so kann Ziobro Folgendes nach polnischem Recht legal tun: Als polnischer Justizminister vermag er Richter jederzeit an eine höhere Kammer zu delegieren. Diese Entscheidung ist von einer gerichtlichen Prüfung ausgeschlossen, die Gründe müssen nicht öffentlich dargelegt werden. Ebenso kann der Justizminister Richter jederzeit dort abberufen. Nun sind solche Fälle eigentlich klar geregelt. Nur hat der Justizminister Mittel an der Hand, Richter zu beeinflussen, eines waren die umstrittenen Disziplinarkammern. Der Justizminister und Generalstaatsanwalt kann damit in einzelnen Verfahren direkten Einfluss sowohl auf abgeordnete Richter als auch die Staatsanwaltschaft haben oder sogar nehmen, hatte das Warschauer Gericht gefürchtet: Kann ein Angeklagter da noch von Unparteilichkeit der Richter ausgehen? Und die Luxemburger Richter gaben diesen Zweifeln Recht: Zweifel an der Unparteilichkeit derart abgeordneter Richter seien berechtigt, mindestens das Verfahren der Abordnung der Richter müsse wiederum gerichtlich überprüfbar sein. Unabhängig natürlich, wobei sich damit im Detail mal wieder die Katze in den Schwanz beißt - wie unabhängig soll die Entscheidung eines Gerichts denn sein in einer Justiz, deren Unabhängigkeit ja in Gänze in Frage steht?
Ziobro selbst werden solche Fragen wohl kaum plagen, zumal er den Vorrang von EU-Recht gegenüber polnischem Recht negiert. Doch hier kommt neben Ziobro als Amtsträger auch Ziobro als Person ins Spiel - samt einer politischen Biografie, die Zweifel an ihm über Polen hinaus noch stärken dürften.
Ziobro, früher selbst für die nationalkonservative PiS Abgeordneter und bereits von 2005 bis 2007 Justizminister, treibt derzeit mit seiner Solidarna Polska, einer Rechtsabspaltung der PiS, einen harten Rechtskurs in der Regierung der Vereinigten Rechten voran, zumal die im Vergleich gemäßigte Porozumienie (Verständigung) mit ihren zwölf Abgeordneten das Bündnis im August 2021 verließ. Die PiS ist auf Ziobros Partei angewiesen, er selbst geht keinem Konflikt aus dem Weg. Im Sommer 2018 musste er sich noch einem Veto des Präsidenten Duda beugen, auch damals ging es um die Justizreformen. Ziobro wollte dort bereits viel mehr Einfluss vor allem auf die Richterschaft. Für Ziobro sind Recht und Justiz oftmals Mittel und Zweck. Das haben verschiedene Vorgänge offengelegt wie sein jahrelanges Vorgehen gegen Ärzte in Krakow, wo sein Vater 2006 in einem Krankenhaus starb - und später gegen Richter in dies betreffende Prozesse. Seine erste Amtszeit endete 2007 mit der Implosion der Rechtsregierung - Ziobro hatte maßgeblichen Anteil daran. Die Vermutung liegt nahe, dass an der Spitze der polnischen Justiz mit Ziobro jemand steht, der nicht nur eine Fehde mit ihr ausficht, sondern seit Jahren Macht dafür in den Händen hält, die kaum noch beschränkt ist.
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