- Kultur
- Martina Hefter
Wenn Pflanzen »ey« sagen
Eine Art wütendes Stillsein: Martina Hefters Band »In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen«
Bereits in ihrem letzten Gedichtband »Es könnte auch schön werden« hat sich Martina Hefter der gar nicht so kleinen Aufgabe gestellt, Fragen von großer gesellschaftspolitischer, aber auch individueller Tragweite zu formulieren. Im neuen Band »In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen« führt sie diesen fragenden Tonfall eindrucksvoll fort und lässt eine Thematik wieder aufflammen, die in den letzten Jahren eher in den Fachwissenschaften verhandelt wurde: In welcher Weise gehört der Mensch zur Natur, und in welcher Weise hat er sich von ihr entfremdet?
Bereits Blaise Pascal hatte auf den Konflikt zwischen den (falschen) Gewohnheiten des Menschen und seiner ursprünglichen Rolle innerhalb der Natur hingewiesen. Hefters Gedichte rufen jedoch weniger diese geistreiche Diagnose in Erinnerung, als dass sie Worte und Bilder für die eigenen, meist alltäglichen Beobachtungen finden, die das Individuum als Verbraucher und Konsument natürlicher wie künstlicher Dinge betreffen.
So zahlreich die Fragen und so umfangreich die Beobachtungen sind, die diese Gedichte aufwerfen und entfalten, so wenig begnügen sie sich mit dem Versuch eines Anschaulichmachens des Undurchsichtigen. Teilweise knüpfen sie sogar an die Pflanzenontologie eines Francis Ponge, »L’Opionion changée quant aux fleurs«, aus den 50er Jahren, an. Dabei geht es jedoch weniger um die Pflanze als Metapher als um die Dinge. Es geht um ein Erhalten der Pflanzen durch ein Wiederaufblühen der Worte.
»Essays über Pflanzen« ist der erste Teil der Gedichte überschrieben. »Stillleben« heißt es im Kleinen. Und man fragt sich: Warum sollten Gedichte nicht Essays heißen dürfen oder selbst welche sein? Hatte Dietmar Dath nicht einen Roman »Sämmtliche Gedichte« genannt? Und beginnt nicht Adornos berühmter Essay »Der Essay als Form« mit einem Zitat von Georg Lukács, der die Dichtung als Schwester des Essays bezeichnet? Und müsste man nicht mit Adorno ergänzend formulieren, dass die Dichtung sich ihr Ressort nicht vorschreiben lasse: »Sie beginnt mit dem, worüber sie sprechen will, und bricht dort ab, wo sie ihr Ende fühlt, nicht dort, wo kein Rest mehr ist.«
Um Rest geht es in den Essays in verschiedener Hinsicht. Einerseits um Rest und Rast, die Stille der Natur, das zur Ruhe Gekommene und in ihr zu Ruhe Kommende, andererseits um das Stillgestellte und Abgestorbene, die Natura morta. »Die Pflanzen sind ans Haus gerückt, eine Wand. / Fenster auf, greif eine, zieh sie nach innen. / An der Farbe erkennt man den Grad des Nährwerts. / Gelb: bringt dich um. / Grün: zehrt aus dir, ernährt sich von deinem Schwung. / Rosé: nahrhaft, ohne Gift.«
Der Versuch, Pflanzen wie eine Lebensmittelampel zu betrachten, der blind zu folgen ist, wird erschüttert. Nicht grün und gelb und rot sind sie, wie es die künstliche Vorgabe will, denn Pflanzen erstrahlen in anderen Farben, anderem Glanze, in Tarn- und in Signalfarben. »Es stehen eine Menge Pflanzen vorm Haus, ihre Blätter halten dem Wind stand, / ihr Duft lockt die stillen Bienen nach draußen, eine Geschichte, fass sie nicht an.«
Die Frage nach dem Umgang mit dem Gepflanzten berührt lebensweltliche wie ethische Themen. »Gelb grün rosé, / rosé grün gelb, man sieht die Pflanzen sich drehen / der Sonne nach. Dem Mond hin / biegen sie die Köpfe, gute Nacht und goodbye, sie schlafen die Pflanze / aus sich heraus.«
Mit der Beobachtung bewegt sich auch der Text, spielt mit den beschriebenen Zuständen, dem Kolorit von Stimme und Stimmungen. Der angestimmte Abgesang mündet in ein Loblied auf das, was die Natur so freigiebig offeriert: Lebensmittel, Farbvielfalten, Gerüche; sie erscheint sogar als Vorbild im Umgang mit sich selbst und mit anderen: »Leitern aus Pflanzen. Ich zieh mich dran hoch, steige.« Das lyrische Ich erhöht sich mit der Pflanze, weil es sich von der Pflanze dazu angeleitet fühlt. Zu sich und zum Leser spricht es: »Verhalt dich wie eine Pflanze, balz wie eine Pflanze« oder sei politisch, wie Kakteen mit »ihr[em] wütende[n] Stillsein«.
Die Gedichte entfalten selbst eine Art wütendes Stillsein, denn auch dort, wo sie davon sprechen, was alles in Flammen steht, bleibt der Tonfall ein umsichtig-umsorgender. Das lyrische Ich mäandert, wägt ab und zeichnet nach, was es sieht. Es bewegt sich zwischen »alten Foodpornos« auf dem Handy und Vögeln, die »inmitten des Gifts« schlafen, eingefangene Ansichten aus dem Zug heraus: »Maisfeld Rapsfeld Maisfeld Rapsfeld Maisfeld«. Fragen, ob das Essen (oder Nicht-Essen) eine Sache des Wollens oder des Könnens ist und der Notwendigkeit, etwas essen und konsumieren zu müssen: »Hab mein Leben zu füttern, es bettelt mich an. / Gib mir was zu essen, ey.« Dieses fast stille, nachgeschobene »Ey« schwingt in den Texten durchgängig mit.
Als knarrendes »Eh« legt sich das »Ey« bei der Beschreibung des Bettes, dieses so banalen und doch überhaupt nicht banalen Gegenstandes, wieder ins Ohr: »Das Bett, in dem ich schlaf, 2002 gekauft, damals für eins meiner Kinder. / Es blieb irgendwie übrig. / 200 x 90 cm, aus Fichte. / ›Eh‹ machen die Bretter, wenn ich mich aufsetz oder mich dreh.« Hefters Texte benötigen nur sehr wenige Drehungen, um ausgehend vom zusammengekrachten Bett beim die Bewegungen schluckenden Kingsize-Bett und weiter bei der Frage nach dem »guten« Bett zu landen: »Wofür 2006 der Leipziger Toombaumarkt abbrannte. / Wofür ein Holzarbeiter in Brasilien sich den rechten Finger absägt. / Wofür immer jemand anderer schuftet.«
Hier werden Wahrheiten auf schlichte Weise ausformuliert: »Ein abgemagerter Eisbär war das meistgeklickte Foto / des Tages« oder: »Krieg wird ums Essen geführt / diese simple Wahrheit erfasst mich manchmal mit großer Wucht«. An anderen Stellen schimmert trotz der Endlichkeit, die auch Teil der eigenen Natur ist, das Grün einer Hoffnung durch: »Es muss aber enden, ich träum in die falsche Richtung. / Ich glaub noch immer, es geht gut aus.« Damit es gut ausgeht, sollte man mit Martina Hefters Gedichten öfter mal in die Wälder gehen und sich leiten lassen von der Natur.
Martina Hefter: In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen. Kookbooks, 96 S., geb., 19,90 €.
Sie sind neugierig auf die anderen Texte der Lyrikbeilage? Sie können sie auch im nd-Shop beziehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.