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Der Zorn über die Zustände
Die Linke in Thüringen diskutiert über die Bundestagswahlpleite – und wählt eine neue Parteiführung
Es ist nicht so, dass die Linken in Thüringen nicht auch erfolgreich sein könnten. Worauf die zu diesem Zeitpunkt noch stellvertretende Parteivorsitzende Heike Werner am Samstag ziemlich am Anfang ihrer Rede hinweist, mit der sie Rechenschaft ablegt über das, was die Linken im Land in den vergangenen beiden Jahren unter auch ihrem Zutun getan haben. Immerhin, sagt Werner, sei die Linke bei der Landtagswahl vom Oktober 2019 stärkste politische Kraft in Thüringen geworden. Damals war die Partei auf einen Zweitstimmenanteil von 31 Prozent gekommen. Das waren noch einmal etwa drei Prozentpunkte mehr, als die Partei bei der Landtagswahl 2014 erreicht hatte. »Das war bisher einmalig in Deutschland«, sagt Werner.
Vor allem mit diesem Wahlerfolg sei es möglich gewesen – nach langem Ringen im Zusammenhang mit dem CDU-AfD-FDP-Dammbruch von Erfurt im Februar 2020 –, die Wiederwahl des ersten und einzigen linken Ministerpräsidenten Deutschlands, Bodo Ramelow, zu sichern, sagt Werner. Als sie das tut, wirkt sie nicht unzufrieden mit dem, was die Partei in der jüngeren Vergangenheit erreicht hat. Das ist die eine Art von Geschichten über die zurückliegenden Jahre und Monate, die auf diesem Parteitag erzählt werden.
Homburg. Die saarländische Linken-Politikerin Barbara Spaniol wird ihre Partei als Spitzenkandidatin in die Landtagswahl im März 2022 führen.
Auf einer Landesmitgliederversammlung in Homburg-Erbach wählten am Sonntag 85,1 Prozent der Mitglieder die 58-Jährige auf Platz eins der Landesliste. 252 stimmten für die stellvertretende Landesvorsitzende der Partei, es gab 30 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen. »Das ist ein tolles Ergebnis. Wir rocken das«, sagte Spaniol. Nach innerparteilichen Streitigkeiten vor allem in den vergangenen Wochen hatte sie zuvor zu Geschlossenheit aufgerufen: »Befindlichkeiten sollten hinter uns bleiben. Lasst uns an einem Strang ziehen«, sagte sie in ihrer Rede.
Ihre Kür zur Spitzenkandidatin bedeutet bei den Linken an der Saar eine historische Zäsur: Bei den Wahlen 2017, 2012 und 2009 stand stets Zugpferd Oskar Lafontaine (78) auf Platz eins der Landesliste. Der Fraktionschef der Linken im Landtag des Saarlandes kündigte vor kurzem das Ende seiner politischen Karriere an – und tritt bei der Saarlandwahl am 27. März 2022 nicht mehr an.
Bei der Landtagswahl 2017 hatten die Linken 12,8 Prozent der Stimmen bekommen und waren mit sieben Abgeordneten ins Parlament eingezogen. Infolge von innerparteilichem Streit kam es zu einer Spaltung: Seit 10. November gibt es eine neue Fraktion »Saar-Linke« im Landtag, zu der als Fraktionsvorsitzende Spaniol und als Stellvertreterin und parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Ensch-Engel gehören.
Die Bibliothekarin und Lehrerin für Bürotechnik Spaniol ist seit 2004 Abgeordnete im Landtag. Zunächst saß sie für die Grünen in dem Parlament, ab 2009 dann für die Linken. dpa/nd
Die andere Art, die während des Treffens in Bad Blankeburg immer wieder aufkommt, ist deutlich pessimistischer. Sie überlagern nicht nur die Erzählung vom Wahlerfolg von 2019. Sie überlagern sogar die Wahl der neuen Linken-Spitze in Thüringen, die auf diesem Parteitag auch stattfindet. Der Linke-Landtagsabgeordnete Christian Schaft und die Anwältin Ulrike Grosse-Röthig werden als Team zu den Nachfolgern von Susanne Hennig-Wellsow gewählt, die das Amt bereits vor einigen Monaten niedergelegt hatte, nachdem sie zu einer der zwei Bundesvorsitzenden der Partei gewählt worden war. Die neue Doppel-Landesspitze konnte dabei nur ein mäßig starkes Ergebnis einfahren: Grosse-Röthig erhielt eine Zustimmung von 67,2 Prozent, Schaft von 79,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Beide waren ohne Gegenkandidaten angetreten.
Die pessimistischen Geschichten, sie handeln von einem Ereignis, das auch für die Thüringer Genossen alles andere als gut ausging: die Bundestagswahl. Von der Hennig-Wellsow gleich zu Beginn einer Rede sagt, sie sei »eine echte Klatsche« gewesen. Gerade einmal 11,4 Prozent hatte die Linke dabei im Freistaat noch bekommen. Warum? Sie, so sagt Hennig-Wellsow, gehöre nicht zu denen, die das schon wirklich erklären könnten. Man müsse komplexe Ursachen als komplexe Ursachen verstehen, die es sorgsam zu analysieren gelte. Sicher sei aber, dass die Partei nun so neu aufzustellen sei, »wie wir es seit Jahren schon tun müssten«.
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Auch die anderen, die sich im Zuge von Aussprachen oder Antragsberatungen zu Wort melden, haben keine vollumfängliche Erklärung dafür, warum die Linke bei der Bundestagswahl mit einem bundesweiten Zweitstimmenanteil von 4,9 Prozent sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht ist. Bei ihnen wird doch noch deutlicher als bei Hennig-Wellsow, wie tief der Frust bei vielen Genossen vor allem über den inneren Zustand der Linken sitzt. Immer wieder. Noch immer. Mal wieder.
Eine Delegierte beklagt zum Beispiel, die Linke spreche von sich selbst als solidarische Partei. Aber die Partei sei das im Umgang im Inneren gar nicht. »Ich möchte mit vielen anderen diese solidarische Partei wieder zurück haben«, sagt sie. Ein Delegierter sagt, viel zu oft würden innerparteiliche Diskussionen auf einer persönlichen Ebene geführt. Ein anderer fordert, die Partei müsse sich weiterentwickeln. Es reiche im 21. Jahrhundert nicht mehr, als Anti-Hartz-IV-Partei aufzutreten. Zudem dringt mehrfach auch die Unzufriedenheit der Delegierten mit der Bundestagsfraktion durch, deren Mitglieder Parteibeschlüsse, so der Vorwurf, einfach ignorierten. Oder die im Angesicht von Krisen allzu oft untätig seien.
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Die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss setzt den schärfsten Ton, als sie den eigenen Bundestagsabgeordneten vorwirft, bislang nichts versucht zu haben, um das Leid der Flüchtlinge zu lindern, die an der polnisch-belarussischen Grenze festsitzen. »Verdammt noch mal, kriegt euren Arsch hoch und kümmert euch um die Leute, die da verrecken«, schimpft sie. Dafür bekommt sie viel Applaus. Das ist der eindrücklichste Beweis des Tages dafür, wie unzufrieden, vielleicht zornig gerade viele Linke nicht nur in Thüringen auf ihre eigene Partei sind.
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