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51.000 Euro für eine Packung
Die Pharmaindustrie kassiert immer höhere Preise für neue Produkte
Durchschnittlich kostet die Packung eines Arzneimittels, das in den vorangegangenen Monaten auf den Markt gekommen ist, 51.189 Euro. Vor zwei Jahrzehnten betrug der Durchschnittspreis 902 Euro. Das geht aus dem »Arzneimittel-Kompass 2021« der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) hervor, den diese kürzlich in Berlin veröffentlichten.
Im vergangenen Jahr hatte der Arzneimittelumsatz der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) mit 49,2 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. Damit stiegen die Ausgaben um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. »Ausschlaggebend dafür ist der ungebrochene Trend zur Hochpreisigkeit bei neuen Arzneimitteln«, erläutert Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK und Mitherausgeber des Arzneimittel-Kompasses.
Außerdem würden »Hochpreiser« nicht nur häufiger von den Herstellern auf den Markt gebracht, sondern nähmen auch immer größere Umsatzanteile ein. Während 2011 noch rund 17 Prozent des Gesamtumsatzes auf Arzneimittel mit Preisen von 1000 Euro oder mehr entfielen, waren es im Jahr 2020 bereits 43 Prozent. Das ist ein Trend, den die Weltgesundheitsorganisation WHO auch international beobachtet.
Gerechtfertigt werden diese hohen Preise vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller mit hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Diese machen etwa ein Fünftel des jährlichen Umsatzes aus. Sie seien zudem mit einem außerordentlichen Risiko verbunden, dass Neuentwicklungen scheitern. Aktuell wird auf das Beispiel des Impfstoffherstellers Curevac verwiesen. Das Tübinger Biotechunternehmen zog im Oktober seinen ersten Corona-Impfstoffkandidaten zurück. Curevac will nun auf dessen Basis ein neues Vakzin entwickeln.
Deutschland war bis Ende der 2000er Jahre eines der wenigen Länder in der Europäischen Union, in denen Pharmaunternehmen Preise frei festlegen konnten. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz von 2011 hatte der schwarz-gelbe Gesetzgeber eine weitreichende Neuregelung vorgenommen. Eingeführt wurde ein mehrstufiges Bewertungs- und Preisbildungsverfahren, das auf zwei Säulen ruht. So soll ein neues Arzneimittel einen therapeutischen Zusatznutzen gegenüber dem derzeitigen Therapiestandard aufweisen.
Ob ein solcher Zusatznutzen vorliegt, wird von einem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) entschieden, in dem Kassen, Ärzte und Krankenhäuser vertreten sind. Nach dessen Einschätzung scheint der Nutzen neuer Mittel allerdings minimal: Von 558 neuen Arzneimitteln, die seit 2011 auf den Markt kamen, haben nur acht einen »erheblichen«, 257 keinen zusätzlichen Nutzen. Die Entdeckung revolutionärer Medikamente wie des Entzündungshemmers Cortison oder von Antibiotika liegt viele Jahrzehnte zurück. Eine Weiterentwicklung gegen resistente Bakterien ist nicht gelungen, viele Firmen haben sogar die Antibiotika-Entwicklung eingestellt.
Trotz einiger Fortschritte gibt es auch für die Volkskrankheit Nummer eins, Krebs, weiterhin keinen Durchbruch bei der Behandlung. Bei »Orphan Drugs« die sehr seltene Krankheiten bekämpfen, sieht die BUKO Pharma-Kampagne, die sich gegen Praktiken der Pharmaindustrie einsetzt, nur »bescheidene Erfolge«, die Mitnahmeeffekte staatlicher Fördermaßnahmen seien dagegen enorm. Das Ergebnis der Nutzenbewertung durch den G-BA ist dann Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem jeweiligen pharmazeutischen Hersteller. Am Ende der Verhandlungen steht fest, wie viel die Krankenkassen für das Arzneimittel künftig bezahlen. Aber in den ersten zwölf Monaten nach Markteintritt gilt allein der vom Hersteller festgelegte Preis. Eine regulatorische Versuchung, der kaum ein Industrievorstand widerstehen dürfte. Beflügelt wird das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Herstellern – oft multinationale Konzerne – und nationalen Abnehmern vom zunehmenden Mangel an »Blockbustern«, Medikamenten, die mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr einspielen. Ob Bayer, Novartis oder Pfizer – der Patentschutz wichtiger Blockbuster läuft aus, und der Preiswettbewerb durch Nachahmerpräparate bedroht die Profitabilität.
Bei der Bayer AG aus Leverkusen, entfallen 40 Prozent der Erlöse in der Pharmasparte auf allein zwei Medikamente. Angesichts eines solchen Klumpenrisikos hat Bayer sein Tier- und Pflanzengeschäft (Glyphosat) massiv ausgebaut. Andere Konzerne setzen auf tödliche Erkrankungen, weil hier selbst kleinste Fortschritte notgedrungen fürstlich honoriert werden. So sind Krebsmedikamente laut der Beratungsgesellschaft EY »der wichtigste Umsatztreiber in der Pharmabranche«. Andere investieren in den Massenmarkt mit Generika und Nahrungsergänzungsmitteln oder suchen ihr Heil in der Impfstoffproduktion. Angesichts der vermehrten Zulassung von Hochpreistherapien wird in Fachkreisen über einen Kosten-Nutzen-Ansatz diskutiert. Dies wirft schließlich ethische Fragen auf. Ist nicht der Preis egal, wenn das Medikament Libmeldy – Listenpreis 2,9 Millionen Euro – die Erbkrankheit eines Kindes heilt? Im Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung taucht das Thema Arzneimittelpreise dennoch nicht auf.
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