Spaß statt Schlammschlachten

Der Zustand der Linken in Nordrhein-Westfalen ist desolat. Der Parteitag am Samstag soll die Wende bringen

Abwahlanträge, öffentlich ausgetragene Schlammschlachten und nur noch halb so viele Bundestagsabgeordnete wie zuvor: In NRW liegt Die Linke am Boden. Jules El-Khatib will am Wochenende Landessprecher werden und die Partei stabilisieren.

Wer einen Eindruck vom Zustand der nordrhein-westfälischen Linken bekommen möchte, der sollte sich einen Facebook-Beitrag der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sylvia Gabelmann anschauen. Gabelmann kritisiert darin, dass das Landesvorstandsmitglied Tamara Helck einen Post des Verschwörungsideologen und Hitler-Fans Attila Hildmann teilt. Es geht, wen wundert es in diesen Zeiten, um Corona-Impfungen. In dem Text werden falsche Behauptungen aufgestellt. Unter Gabelmanns Beitrag gibt es weit über 200 Kommentare, die meisten von Parteimitgliedern aus Nordrhein-Westfalen. Eine sachliche Debatte gibt es nicht. Selbst dass die ehemalige Abgeordnete für eine Krebstherapie nach Portugal gereist war, wird gegen sie in Stellung gebracht. »Wie hat es sich in Portugal ohne Arbeit, aber mit hohen Abgeordnetengeldern gelebt?«, fragt eine Vertraute von Helck.

Andere wiederum schießen aus allen Rohren gegen Sahra Wagenknecht. Die Ausfälle von Helck und Co. sind für sie auch Folge der von der prominenten Linken öffentlich geäußerten Skepsis gegen das Impfen. Die Debatte auf Facebook ist der bizarre Höhepunkt von Streitigkeiten, die es in der NRW-Linken schon seit Langem gibt. Am Donnerstagnachmittag beendete Tamara Helck die Debatte um ihre Position selbst: Sie gab ihren Austritt aus der Linken bekannt. Damit kam sie einem Antrag an den am Wochenende stattfindenden Parteitag zuvor, der ihre Abwahl aus dem Landesvorstand forderte.

Helck ist nicht die einzige Person, die beim Parteitag abgewählt werden soll. Auch gegen Edith Bartelmus-Scholich gibt es einen solchen Antrag. Dieser wird von vielen Linken allerdings als Retourkutsche für den gegen Helck bewertet. Bartelmus-Scholich hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die Positionen von Sahra Wagenknecht gestellt und die Bundestagsabgeordnete scharf kritisiert. Im Abwahlantrag werden ihr »Hetze« und Verstöße gegen »Grundsätze und die Ordnung der Partei« vorgeworfen. Die Abwahl von Bartelmus-Scholich gilt aber als unwahrscheinlich.

Eigentlich sollen solche Auseinandersetzungen am Wochenende nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die NRW-Linke hat Wichtigeres zu tun. Das Wahlprogramm für die Landtagswahl im Mai 2022 muss beraten werden. Und es gibt Nachwahlen für den Landesvorstand. Die wichtigste Personalie hier: Nach fünf Jahren als Landessprecher tritt Christian Leye ab. Der ehemalige Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht ist im September als einer von nur noch sechs Linke-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt worden. In einem Abschiedsbrief an die Mitgliedschaft bedankt sich Leye für die zurückliegenden Jahre, schreibt aber auch, dass es »nicht nur schöne Momente« gegeben habe. Viele Debatten seien »auf einzelne Personen reduziert oder auf den Machtkampf gegen Andersdenkende verkürzt« worden. Leye hofft, dass sich das ändert und die Diskussionen im Landesverband »repolitisiert« werden.

Dieser nicht ganz einfachen Aufgabe will sich Jules El-Khatib stellen. Der Essener bewirbt sich – als bislang einziger Kandidat – für die Nachfolge von Leye und will den Landesverband gemeinsam mit Nina Eumann führen, die 2020 gewählt wurde. Gegenüber »nd« sprach El-Khatib von den »großen Herausforderungen«, vor denen die Linke stehe. Die Bundestagswahl sei ein Tiefpunkt gewesen. »Als größter Landesverband müssen wir unseren Teil dazu beitragen, dass die Partei aus dem Tief kommt und stabiler und geeinter dasteht«, beschreibt El-Khatib, was er als seine wichtigste Aufgabe sieht. Dafür wollen Eumann und er mehr Debatten organisieren, viele Kreisverbände besuchen und hören, was die Basis will. Inhaltlich will El-Khatib »deutlich machen«, dass »es mit der Ampel keinen sozialen Wandel geben kann«. Das hätte der Koalitionsvertrag »gerade erst bewiesen«. Deswegen brauche es auch im nordrhein-westfälischen Landtag eine starke Linke. Soziale Politik sei für ihn »nicht nur eine Frage von Renten und Löhnen, sondern auch die Frage der sozialen Sicherheit von Geflüchteten, der Kampf gegen den Gender-Pay-Gap und der Einsatz für vielfältige Lebensformen«, betont er. Dass der Wiedereinzug in den Landtag nicht einfach wird, weiß El-Khatib. Mit dem schwachen Bundestagswahlergebnis sind mehrere Abgeordnetenbüros und deren Mitarbeiter verloren gegangen – ein Rückschlag für die Arbeitsfähigkeit der Partei. Damit müsse man umzugehen lernen. Wichtig sei es jetzt, wieder »Spaß und Freude in die Parteiarbeit« zu bringen, sagt El-Khatib.

Kann das gelingen? Der 30-Jährige ist optimistisch. Personen, die die Gefahr durch die Corona-Pandemie leugnen, seien eine Minderheit in der Linken, versichert er. Der Landesvorstand habe jüngst ein Papier beschlossen, in dem er sich »ganz klar« dafür ausspreche, »dass es mehr Anstrengungen bei der Impfung geben muss, vor allem in abgehängten Quartieren«. Man werbe entschieden für das Impfen. Ob diese Positionierung überall im Landesverband gut ankommt, wird sich am Samstag zeigen. Sollte der Parteitag von Corona-Debatten überschattet werden, wäre das fatal. Die Linke kann keinen Streit mehr gebrauchen, wenn sie eine Chance haben will, 2022 in den Landtag gewählt zu werden.

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