Zweikampf um die Ukraine

Putschvorwürfe: Wolodymyr Selenskyj geht gegen den mächtigsten ukrainischen Oligarchen vor

  • Denis Trubetzkoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Um seine dringende Nachricht loszuwerden, hatte Wolodymyr Selenskyj extra 30 handverlesene Journalisten zusammengerufen: Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, plane mit russischer Hilfe einen Staatsstreich, behauptete der ukrainische Präsident am vergangenen Freitag. Der Umsturz solle ausgerechnet am 1. Dezember stattfinden – dem Tag, an dem Selenskyj seine jährliche Rede an die Nation vor dem Parlament halten wollte. Doch das Datum verstrich – abgesehen von Protesten ukrainischer Kleinunternehmer und der nationalorientierten Opposition passierte am Mittwoch nichts.

Der für viele überraschend kommende Konflikt zwischen Selenskyj und dem wichtigsten Oligarchen des Landes prägt das politische Leben der Ukraine seit Wochen. Das Medienimperium des aus Donezk stammende Achmetow, der dem Präsidenten zunächst loyal gegenüberstand, schießt mit aller Kraft gegen Selenskyj. Grund dafür ist das im September beschlossene Oligarchengesetz. Dieses soll den politischen Einfluss der Superreichen beschneiden und legt vier Kriterien für die Einstufung als Oligarch fest – beispielsweise großer Einfluss auf Medien oder die Kontrolle des Monopols einer Wirtschaftsbranche. Die Erfüllung von drei Punkten genügt.

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Die Folgen des Gesetzes: Achmetow und anderen Oligarchen wird unter anderem die Finanzierung von Parteien sowie die Teilnahme an größeren Privatisierungsprojekten untersagt. Eigentlich überschaubar, doch Achmetows Medien, darunter der beliebteste Sender des Landes Ukrajina und der einflussreiche Nachrichtenkanal Ukrajina 24, stilisieren das Gesetz zum Instrument im Kampf gegen die Medienvielfalt.

Der im Energiesektor aktive Achmetow fürchtet vor allem den direkt dem Präsidenten unterstehenden Sicherheitsrat: Das für die Einstufung als Oligarch zuständige Gremium, laut Verfassung lediglich Beratungsorgan, sperrte in diesem Jahr bereits drei prorussische Sender sowie eine russlandfreundliche Nachrichtenseite ohne Gerichtsbeschluss.
Im Hintergrund laufen zudem weitere Konflikte, die für Achmetow vermutlich eine noch größere Rolle spielen. So sind seine Energieunternehmen beim Erztransport auf niedrige Tarife bei der ukrainischen Eisenbahn angewiesen – doch diese erhöhte die Preise, um ihren Fuhrpark zu erneuern. Außerdem toben Streitereien um staatliche Zahlungen an Achmetows Energiekonzern DTEK.

Derweil verschärft sich der Schlagabtausch in den Medien: Dmytro Gordon, einer der bekanntesten ukrainischen Journalisten, erklärte Selenskyj in Achmetows Sender Ukrajina 24 für erledigt. Seitdem meiden Vertreter des Präsidenten und von Selenskyjs Partei »Diener des Volkes« Achmetows Medien.

Dabei hatte Selenskyj dem Sender erst wirklich Gewicht gegeben, seine Minister traten täglich in dem Infokanal auf. »Offensichtlich wollte man mit Hilfe Achmetows eine mediale Unterstützungsmaschine aufbauen, die nun gegen Selenskyj arbeitet«, erklärt Andrij Janizkyj, Leiter des Journalismus-Zentrums an der Kyiv School of Ecomonics. Gefährlich für den Präsidenten sei auch, dass Achmetows Medien positiv über Selenskyjs ehemaligen Wahlkampfmanager und Ex-Parlamentsvorsitzenden Dmytro Rasumkow berichten, der erst vor Kurzem auf Anweisung des Präsidenten entlassen wurde.

In Umfragen liegt Rasumkow bereits bei acht Prozent, während Selenskyj mit nur noch rund 21 Prozent führt. Die noch schlechtere Nachricht für den Präsidenten: Neuen Studien zufolge würde Rasumkow bei einer Stichwahl gegen Selenskyj gewinnen. Ganz überraschend ist das nicht: Der frühere Verbündete des Präsidenten vertritt eine ähnliche liberale Agenda in der Geschichts-, Kultur- und Sprachpolitik wie Selenskyj während dessen Wahlkampf 2019. Der Präsident setzt dagegen mittlerweile die national orientierte Agenda seines Vorgängers Petro Poroschenko fort.

Kernzelle einer neuen politischen Kraft um Rasumkow könnte eine neue interfraktionelle – von Achmetow unterstützte – Vereinigung im Parlament werden. Die hat inzwischen 25 Mitglieder, die meisten davon kommen aus Selenskys Fraktion »Diener des Volkes«. Laufen diese von Selensky über, würde dessen Partei die absolute Mehrheit in der Rada verlieren.

Die Situation ist für Selenskyj aber auch deswegen gefährlich, weil Achmetows Unternehmen ein Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft sind und der Oligarch als größter Steuerzahler des Landes gilt. Der Kampf mit dem einflussreichen Unternehmer könnte für die Ukraine noch teuer werden.

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