- Kultur
- Buchbeilage »Sinnvoll Schenken«
Macht mal ein bisschen mehr Natur und weniger Kirchen …
77 Texte über den Reichtum des Heiligen Landes, über Buntes, Anziehendes und Vielfältiges, über Verstörendes, Widersprüchliches und Himmelschreiendes
Vorwort
Werte Leserin, werter Leser,
Hat Israel je an einer Fußball-WM-Endrunde teilgenommen? Wie viele anerkannte Kirchenoberhäupter gibt es in diesem Land? Welches palästinensische Familienunternehmen existiert seit dem Jahr 1300? Wie lautet der häufigste männliche Vorname in Israel? Welcher Palästinenser saß fast 400 Wochen in israelischer Haft, ohne je angeklagt zu werden? Wie viele Muslime leben in Israel?
Dieses Buch beleuchtet nicht nur schöne, angenehme Seiten des Heiligen Landes wie Nationalparks oder Israels blühende Start-up-Szene, es stellt auch Dialoginitiativen, Friedens- und Menschenrechtsgruppen vor. Zudem schildert es exemplarisch einige Facetten der seit 1967 bestehenden israelischen Militärbesatzung, die in Österreich, Deutschland oder der Schweiz nahezu unbekannt sind.
In 77 Texten bildet der Autor den Reichtum des Heiligen Landes ab, das Bunte, Anziehende und Vielfältige. Er benennt gleichwohl auch Verstörendes, Widersprüchliches und Himmelschreiendes.
manche haben Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete längst abgeschrieben. Sie wollen nichts mehr von dieser Region hören, aus der seit 140 Jahren meist Deprimierendes zu uns dringt: Unruhen, Ausschreitungen, Gewalt und Gegengewalt. Dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben, freut mich und zeigt: Sie haben noch einen Funken Hoffnung! Oder: Sie wollen etwas jenseits von Gewalt und Terror lesen. Oder: Sie wollen hinter Gewalt und Terror schauen.
Sie werden auf den nächsten Seiten Zahlen in der Überschrift finden, doch handelt es sich dabei um keine Jahreszahlen. Es sind angenehme, überraschende, verblüffende Zahlen, aber auch schockierende. Man könnte beim Heiligen Land fast von heiligen und unheiligen Zahlen
sprechen. Sie berühren unterschiedlichste Lebensbereiche: Von Ausgangssperre bis Zugvögel streife ich Themen wie Archäologie, Frieden, Küche, Kultur, Natur, Politik, Religion, Sprachen bis zum Sport. Viele Texte entsprangen einem eigenen Erleben, einer Begegnung im Heiligen Land oder einem Interview, das ich führte. Stellenweise lasse ich Sie an eigenen Gedanken, Gefühlen, Träumen teilhaben.
Alle Geschichten - bis auf die letzten zwei - habe ich unter Mühen auf eine Doppelseite gepresst, auch das heikle Thema Wasser. Da ist es nur zu verständlich, dass manches ungesagt bleiben muss und nur angeschnitten werden kann. Ich habe mich bemüht, das Wesentliche unterzubringen. Kleiner Trost: Jeder Text lässt sich dank Quellenangaben und Tipps zum Weiterlesen vertiefen; mitunter finden Sie dort auch wichtige Informationen rund um das Interview oder beispielsweise die Notiz, dass meine E-Mail an eine Institution zwecks Recherche nie beantwortet wurde.
Zusätzlich finden Sie Listen mit allgemeinen Bücher-, Film-, Internetseiten- und Webinar-Tipps.
Der vorletzte Text dokumentiert eines meiner schlimmsten Erlebnisse als Journalist in Jerusalem: den Abriss eines palästinensischen Hauses mitzuerleben, zumal im Winter. Dafür brauchte ich vier Seiten. Gleiches gilt für die letzte Geschichte, eine der Hoffnung und Zuversicht, mit der ich den Hauptteil beschließe und ein Licht am Ende des endlos scheinenden Nahosttunnels aufscheinen lasse.
Hinter manchen Zahlen verbergen sich ebenso viele Schicksale, schlaflose Nächte, Ängste, Sorgen. Es sind Zahlen, die den Unfrieden zwischen Israelis und Palästinensern bezeugen oder eine Facette der israelischen Militärbesatzung in den palästinensischen Gebieten widerspiegeln. Dieser Terminus der Besatzung taucht in deutschsprachigen Medien kaum auf, ist aber ein Faktum.
Was will dieses Buch?
Es will den Reichtum des Heiligen Landes abbilden, das Schöne und Anziehende, Bunte und Vielfältige, Erstaunliche und Bewundernswerte. Es will jedoch auch die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit zeigen, Ungereimtheiten und Himmelschreiendes. Und es möchte einige der Initiativen porträtieren, die Brücken über Gräben bauen und Zerrissenes heilen wollen.
Ich wünsche Ihnen Offenheit, sich auf dieses Buch einzulassen!
Goldbach bei Aschaffenburg (Bayern), im August 2021
Johannes Zang
43 Nationalparks laden ein
»Macht mal ein bisschen mehr Natur und weniger Kirchen«, riet mir der israelisch-jüdische Reiseführer Assaf Zeevi beim Erfahrungsaustausch im Kibbuzferiendorf Ma’agan am See Genezareth. Damit empfahl er genau das, was ich als Reiseleiter seit jeher praktiziere. Bei einer zehntägigen Rundreise baue ich mindestens vier Spaziergänge oder Wanderungen ins Programm ein: in der Oase Ein Gedi am Toten Meer, durchs Wadi Qelt in der judäischen Wüste, über den Berg der Seligpreisungen und vom Banias-Wasserfall nach Cäsarea Philippi. Erst- und letztgenannter Spaziergang finden in einem israelischen Nationalpark statt. 43 davon sind über das ganze Land verteilt; die Parks Herodion oder Qumran befinden sich im besetzten palästinensischen Westjordanland in israelischer Hand und sind historisch-archäologische Stätten.
Als ich 1986 wie viele andere vorwiegend jugendliche Abenteurer vom Banias-Wasserfall in das Becken sprang, in das er sich ergießt, war dort noch kein Nationalpark eingerichtet. Man konnte sich ohne Eintrittsgebühr und wachsame Ranger in der grünen Wasseroase aufhalten.
Manche der Nationalparks wurden bereits in den 1960er-Jahren zu solchen erklärt, andere erst vor wenigen Jahren. Betreut werden sie von The Israel Nature and Parks Authority (INPA). Viele der mit einem Steinbock-Emblem markierten Nationalparks sind beliebte Ziele für Schul- oder Armee-Ausflüge, darunter der erwähnte Ein-Gedi-Nationalpark, in dem man in Sichtweite zum Toten Meer auf sehr viel Leben trifft: auf Steinböcke und Klippdachse, natürliche Wasserbecken und -fälle, Schlingpflanzen und Balsamsträucher.
Mancher Nationalpark wurde in den Rang einer UNESCO-Welterbestätte erhoben wie die Felsenfestung Massada (2001), in der man auf Spuren von Herodes d. Gr. stößt (z. B. Nordpalast), auf jene von jüdischen WiderstandskämpferInnen gegen die Römer (z. B. Synagoge und Kolumbarien) oder byzantinischer Mönche des 6. Jahrhunderts (Kirchenruine mit Mosaiken). Mittlerweile finden sich auch die Nationalparks von Tel Meggido oder Mamshit, der Nabatäerstadt im Negev, auf der begehrten Liste.
Daniel Kleine-Kraneburg hat 2016/17 in Jerusalem einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst geleistet. Seine Liste an Wandertouren, Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkten wurde stetig länger, so dass er gestehen musste, sie sei »nicht in drei Monaten, nicht in einem Jahr und auch nicht in fünf« abzuarbeiten. »Beim Wandern oder Spazieren in der Natur hört man auf, die Erlebnisse anderer zu konsumieren. Man fängt an, die Ruhe, die Weite, die Leere der Wüste aufzunehmen, zu genießen oder auch mit dem zu füllen, was in einem vorgeht. Häufig benutzt man salopp den Ausdruck ›über Gott und die Welt reden‹. Aber das trifft sehr gut, was ich auf den Wanderungen erlebt habe.«
Nach 60 Reisebegleitungen mit schätzungsweise 2000 Teilnehmern weiß ich aus erster Hand: Wandern in der Wüste oder in Galiläa tut not, um die bunten, schnell wechselnden, oft widersprüchlichen Eindrücke des Landes zu bedenken und zu verdauen. Angie aus der Nähe von Passau hatte »besonders in der Wüste göttliche Momente«. Auch Thomas war von der Halbtageswanderung durch das Wadi Qelt erfüllt: »Der Gang durch die Wüste hat mich wahnsinnig beeindruckt«, sagte er rückblickend. Nicht nur bei diesen beiden hat eine Wanderung tiefere Spuren hinterlassen als eine heilige Stätte.
21 Vogelarten sind nicht koscher
Sogar der Klebstoff auf israelischen Briefmarken ist koscher. Wie bitte? Das hebräische Wort »kascher« (dt. koscher) bedeutet »geeignet, erlaubt« und meint im Wesentlichen Essen und Trinken. Die Kaschrut - so das Hauptwort - umfasst vier Bereiche:
1. die Art des Schlachtens (Schächten genannt)
2. reine und unreine Tiere
3. Welche Lebensmittel dürfen zusammen verzehrt werden, welche nicht?
4. der zeitliche Abstand zwischen fleischiger und milchiger Mahlzeit
Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, sei dies gesagt: Das geschlachtete Tier muss ganz ausbluten. Dies überwacht ein Vertreter des jüdischen Rabbinats. Dass das Schwein als unrein gilt, dürfte bekannt sein, weniger jedoch, dass auch Kamel, Hase, Krabben und Shrimps tabu sind. Des Weiteren listet die Tora, in den Büchern Levitikus und Deuteronomium, 21 unkoschere Vogelarten auf, erlaubt aber den Verzehr von vier Heuschreckenarten.
Fleisch und Milch werden niemals vermischt. Einem frommen Juden entgeht so der Genuss von Spaghetti Bolognese (Hackfleisch und Parmesan), Züricher Geschnetzeltem (Fleisch und Rahmsoße) oder einer Salami-Pizza. Für Milchiges und Fleischiges sind jeweils eigene Küchen- und Kühlschränke, Spülen sowie getrenntes Geschirr erforderlich. Markierungen mittels eines blauen Punktes (milchig) oder eines roten (fleischig) dienen der Orientierung. Nie werde ich eine Wanderung Mitte der 1980er-Jahre vergessen, bei der ich ungewollt zum Mittelpunkt einer Kaschrut-Frage wurde. Damals arbeitete ich als Volontär in der jüdischen Field School (Naturschule) Ma’ale Efraim im besetzten Westjordanland, nordwestlich von Jericho. An freien Tagen durfte ich an Ausflügen von Gruppen teilnehmen, die sich in der Field School eingemietet und einen Wanderführer gebucht hatten. Einmal ging es mit einer religiösen Jungenklasse durch die judäische Wüste. Die Lehrer waren gleichzeitig Rabbiner. Bei der Mittagspause - fleischig! - verzehrten die vorpubertären Jungen ihre mitgebrachten Hähnchen-Salat- oder Truthahn-Tomaten-Brote. Danach war nur noch eine kurze Strecke bis zum Ziel zurückzulegen. Als wir, die Vorhut, dort einen Kiosk entdeckten, war der Jubel groß. Die erschöpften Stadtkinder wollten sich mit einem Eis belohnen. Gedacht, getan. Und schon schleckten die Knaben genüsslich. Wenige Minuten später erschien die Nachhut. »Werft das Eis sofort weg! Ihr habt doch erst Fleisch gegessen! Das ist noch keine zwei Stunden her!«, schimpfte einer der Rabbis. Die Jungen ließen die Köpfe hängen. Ein ganz Schlauer meinte ernsthaft: »Der Jochanan (so nannte man mich) ist doch kein Jude. Der könnte doch unser Eis zu Ende schlecken!« Und schon streckten mir mehrere Knaben ihren Nachtisch entgegen. Die Rabbiner ließen, ganz toratreu, keinen zu Ende lecken. Die sogenannte Neutralisierungszeit zwischen fleischiger und milchiger Mahlzeit beträgt je nach Land, Rabbi und religiöser Ausrichtung bis zu sechs Stunden.
Koschere Küche ist eine Mitzva, ein göttliches Gebot. »Gesetze definieren die für Juden geeigneten Speisen. Sie wurden den Kindern Israels am Berge Sinai von G-tt gegeben. Moses lehrte sie dem Volk und schrieb die Grundpfeiler dieser Gesetze in Lev. 11 und Deut. 14 auf«, heißt es seitens der ultraorthodoxen Chabad-Bewegung, und weiter: »Wir essen koscher, weil G-tt es uns befohlen hat, und durch Erfüllen SEINES Wunsches verbinden wir uns mit IHM« (die Schreibweise G-tt versucht dem Verbot, den Namen des Höchsten auszusprechen, genüge zu tun).
Kaschrut - ein riesiges Feld. Ich erinnere mich an Forderungen »koscheren Stroms«, die Frage, ob gentechnisch veränderte Tomaten koscher seien und die Aufregung über einen »koscheren Ikea-Katalog«, in dem man Frauen vergeblich sucht. Im Mai 2021 erörterte die Zeitung Ha’aretz tatsächlich die Frage, ob König David Shrimps gegessen hat.
Bislang konnte ich leider nicht herausfinden, wie sich der israelische Klebstoff von einem argentinischen oder österreichischen unterscheidet.
Johannes Zang: Erlebnisse im Heiligen Land
77 Geschichten aus Israel und Palästina. Von Ausgangssperre bis Zugvögel
224 Seiten, Hardcover
19,90 EUR
ISBN: 978-3-85371-490-4
Erschienen im Verlag Promedia
Johannes Zang, geboren 1964 in Aschaffenburg (Bayern), hat in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten als Zitronenpflücker, Altenpfleger, Musiklehrer und Reiseleiter gearbeitet. Als Journalist mit Sitz in Ost-Jerusalem schrieb er unter anderem für »Zeit Online«, »Freitag«, die Katholische Nachrichtenagentur und die »Taz«. Bislang hat er 60 Reisegruppen durch Israel und Palästina geführt. Er lebt in Goldbach bei Aschaffenburg.
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