Sand im Getriebe der fossilen Industrie sein

Ein Teil der Klimabewegung in Deutschland diskutiert über Sabotageakte. In Protestbewegungen gehörten über Demonstrationen hinausgehende Aktionen immer dazu

Wer Tadzio Müller kennt – vielen nd-Lesern dürften seine Kolumnen noch in Erinnerung sein – dürfte wissen, dass er gern provoziert. Mitte November gab Müller dem »Spiegel« ein Interview. Und sagte, es könnte im nächsten Sommer »zerdepperte Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an Pipelines« geben. Der langjährige Umwelt- und Klimaaktivist geht davon aus, dass ein »kleiner Teil« der Klimabewegung in den Untergrund gehen und eine »grüne RAF« bilden könnte.

Solche Schlagworte riefen erwartbar heftige Reaktionen in den Redaktionen der großen Zeitungen hervor. In vielen Artikeln und Kommentaren wurden Müllers Aussagen als Aufruf zu Mord und Totschlag, zu Terrorismus für das Klima gedeutet. Dass Müller eigentlich vor einer grünen RAF warnte, wurde gern übersehen. Stattdessen kam auch aus der Klimabewegung selbst scharfe Kritik: Warum musste Müller ausgerechnet das Bild der bekanntesten Terrororganisation in der deutschen Nachkriegsgeschichte wählen, die aus der gesellschaftlichen Linken hervorgegangen war? Im Gespräch mit dem »nd« erklärt Müller das so: »Ziel der Nutzung dieses stark resonanten Symbols war die Erweiterung des sogenannten Overton Fensters, also der Bandbreite politischer Aussagen, die für die Mehrheit der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt politisch akzeptabel sind – in diesem Fall durch etwas, was jemand mal einen ›Diskursmolotov‹ genannt hat.« Müller räumt ein, dass er sich mit Akteuren der Klimabewegung hätte besser absprechen können. Im Grunde hält er seine Provokation aber für geglückt. Mit der »grünen RAF« sei ein Pol geschaffen worden, von dem sich zwar alle abgrenzen wollten, über den nun aber geredet werden könne. Den Begriff habe er bewusst gewählt, um »Verdrängungsleistungen im bürgerlichen Kopf« anzugreifen und die Frage zur Debatte zu stellen, was passiert, wenn Teile der Klimabewegung »uns« einmal angreifen. Die Rote Armee Fraktion habe »westdeutsche Eliten aufs Korn genommen«, insofern ergebe es ein »starkes Bild«, sich auf sie zu beziehen.

Allerdings löste gerade der RAF-Vergleich bei vielen Aktiven von Fridays for Future und aus anderen Teilen der Klimabewegung Entsetzen aus. Zu explizit erschien vielen eine positive Bezugnahme auf Gewalt. Doch die Debatte über die Terrororganisation geht an dem Impuls vorbei, den Müller setzen wollte und der schon seit langer Zeit Teil der Bewegung für Klimagerechtigkeit ist. Dafür reicht ein Blick auf die erfolgreichen Kämpfe für Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland. Als in den 1980er Jahren an vielen Orten gegen den Bau von neuen Atomkraftwerken protestiert wurde, war militanter Protest selbstverständlicher Teil der Aktionen. Ohne ihn hätten nicht Tausende Polizisten in Orten wie Brokdorf aufmarschieren und Bauplätze verteidigen müssen. Noch auffälliger wurde es später in den Auseinandersetzungen um das Atommülllager Gorleben. Tausende gingen immer wieder über die Regeln des Demonstrationsrechts hinaus, setzten sich auf die Gleise zum Zwischenlager und sabotierten die Infrastruktur, über die der radioaktive Abfall nach Gorleben gebracht werden sollte.

Auch die Klimabewegung erregte zuerst nicht durch große, friedliche Demonstrationen Aufsehen, sondern durch Aktionen, die darüber hinaus gingen. So waren es bei den Aktionen des Netzwerks »Ende Gelände« jeweils nur ein paar Tausend Menschen, die im rheinischen Revier wie auch in der Lausitz mit ihren Körpern den Prozess der Kohleverstromung zeitweise zum Erliegen brachten. Abseits der Massenaktionen gab es immer wieder Angriffe auf die Infrastruktur der Kohlekonzerne. Im Rheinland brannten regelmäßig Pumpen, die den Grundwasserpegel so weit unten halten sollen, dass der RWE-Konzern ohne Probleme Kohle abbaggern kann. Und Waldbesetzer wie jene im Hambacher Forst warteten über Jahre nicht passiv darauf, dass sie vom Kohlekonzern und der Polizei geräumt werden. Sie leisteten aktiv Widerstand, auch durch die Konstruktion von schwer erreichbaren Baumhäusern.

Über eine »grüne RAF« muss in Deutschland niemand diskutieren. Das Konzept der Elitetruppe im Untergrund hat sich überlebt. Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass die Kämpfe um Klimagerechtigkeit radikaler werden. Fridays for Future hat lange jeden Freitag gestreikt und doch außer freundlichen Worten nicht viel bekommen. Das erzeugt angesichts der Dimension der Klimakatastrophe Frustration. Wie viele Demonstranten angesichts dessen zu »Klimapartisanen« werden, kann heute niemand sagen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.