Bis zum Tod ins Gefängnis?
Zehn Monate nach dem Putsch in Myanmar wird Aung San Suu Kyi in den ersten von elf Verfahren verurteilt
Vier Jahre Haft, so lautete diesen Montag das erste Urteil gegen die gestürzte Regierungschefin Aung San Suu Kyi in Myanmar. Die rechtmäßig gewählte Regierungschefin des Landes war beim Putsch des Militärs am frühen Morgen des 1. Februar von Uniformierten in Gewahrsam genommen worden. Nach einem immer wieder verschobenen Scheinprozess hinter verschlossenen Türen ist nun ein erstes Urteil gefallen. Weitere Urteile werden folgen, die die einstige Ikone der Demokratie für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis bringen könnte. Daran ändert auch nichts, dass Juntachef Min Aung Hlaing am Montagabend im Fernsehen verkünden ließ, dass er Aung San Suu Kyi und Win Myint zwei Jahre Haft erlasse.
Seit ihrer Verwahrung vor mehr als zehn Monaten gibt es von Aung San Suu Kyi kein Lebenszeichen mehr. Hatte sie vor Myanmars vermeintlichem Übergang zu Demokratie noch fast eineinhalb Jahrzehnte unter Hausarrest der Generäle verbracht, ist sie seit dem 1. Februar komplett von der Außenwelt abgeschirmt und abgeschnitten. Selbst ihr Anwalt weiß oft für Wochen nicht, wie es um seine Klientin steht. Währenddessen dauern die Proteste gegen die Junta im Land an. Am Wochenende fuhr ein Militärtruck in Yangon in eine Menschengruppe von Demonstranten. Mindestens drei Menschen starben, mehrere wurden verletzt.
Jetzt wurde auch die legitime Führerin des Landes, die in Myanmar über breiten Rückhalt verfügt, wegen Anstiftung zum Widerstand und Verstoßes gegen Covid-Regeln für schuldig befunden. Aung San Suu Kyi hat diese und die weiteren insgesamt elf Anklagepunkte immer bestritten. Die auch »Lady« genannte ehemalige Oppositionsführerin hat sich weiter zu mehreren Fällen von Korruption und der Verletzung von Amtsgeheimnissen zu verantworten. Selbst der Schmuggel mit Funkgeräten wird ihr vorgeworfen. Bilder von Aung San Suu Kyi vor Gericht gibt es nicht. Niemand weiß, wie es gesundheitlich um sie steht und welche Bedingungen sie zu ertragen hat. Gerüchten zufolge leidet sie unter Schwindelanfällen.
Vertrauenspersonen zufolge bereiten die Generäle eine so lange Haftstrafe vor, damit ihre Widersacherin im Gefängnis stirbt. Dabei war Aung San Suu Kyi ein Zweckbündnis mit ihren damaligen und heutigen Peinigern eingegangen, um Myanmar auf den Weg der Öffnung und Demokratie zu führen. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren war Aung San Suu Kyi vor die Richter des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag getreten und hatte die Generäle gegen die Anklage des Völkermords an der muslimischen Minderheit Rohingya verteidigt. Jetzt haben ebendiese Generäle mit einem ersten von mehreren Geheimprozessen sichergestellt, dass Aung San Suu Kyi für immer aus dem öffentlichen Leben von Myanmar verschwindet.
Vergangenes Jahr errang ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) einen weiteren Erdrutschsieg. Die gedemütigten Generäle machten Wahlbetrug in großem Stil geltend und rissen Monate später gewaltsam die Macht an sich.
Dabei war der Urnengang unabhängigen Wahlbeobachtern zufolge weitgehend frei und fair verlaufen. Sämtliche Vorwürfe gegen Aung San Suu Kyi und führende Parteimitglieder sind laut der in den Untergrund gedrängten NLD politisch motiviert. Noch fast ein Jahr nach dem Staatsstreich demonstrieren die Menschen gegen die Militärregierung. Aung San Suu Kyi ist eine von mehr als 10 600 Personen, die seit Februar von der Junta verhaftet wurden. Menschenrechtsgruppen sprechen von mindestens 1300 Menschen, die seither bei Protesten starben. Das Land ist wieder weitgehend von der Außenwelt abgeschottet. Sogar der regionale Staatenbund Asean meidet das Putschregime.
Reaktionen von Menschenrechtlern ließen nicht lange auf sich warten. »Dieser Prozess war vom ersten Tag an zu 100 Prozent politisch motiviert und hatte die klare Absicht, Aung San Suu Kyi für immer wegzusperren, damit sie nie wieder die Militärherrschaft anfechten kann«, sagte Phil Robertson, stellvertretender Direktor von Human Rights Watch in Asien. Ming Yu Hah, stellvertretende Regionaldirektorin bei Amnesty International Südostasien und Pazifik, erinnerte an die zahlreichen Gefangenen, denen ebenfalls gerade der Prozess gemacht werde: »Es gibt viele Häftlinge ohne das Profil von Aung San Suu Kyi, die derzeit die erschreckende Aussicht haben, jahrelang hinter Gittern zu sitzen, nur weil sie ihre Menschenrechte friedlich ausüben.«
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