Wegen der Impfverweigerer stecken wir im Corona-Schlamassel

Die Medien schenken den Menschen, die Covid-19 für eine harmlose Krankheit halten, zu viel Aufmerksamkeit, meint Sheila Mysorekar

Mit aller Wucht schlägt die Erkenntnis ein, dass wir wieder mitten in einem Corona-Winter mit irrsinnig hohen Inzidenzen stehen, und dass wir uns monatelang isolieren müssen. Wieder einmal. Aber diesmal mündet das nicht in Depression, sondern in Wut. Diese Impfverweigerer haben uns alle als Geiseln genommen, um ihren wahnhaften Egotrip auszuleben. Und was mich fassungslos macht: Politik und Medien spielen dabei mit.

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Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

Die allermeisten Menschen in diesem Land waren vernünftig, haben die Hygieneregeln beachtet, Masken getragen und sich impfen lassen. Sie haben unter großen persönlichen Opfern – wie etwa soziale Isolation und finanzielle Einbußen – die Solidargemeinschaft unterstützt. Wir könnten jetzt in Deutschland die Pandemie einigermaßen unter Kontrolle haben. Aber nein, stattdessen sitzen wir in einer Zeitschleife und wiederholen den vergangenen Winter. Mit allen deprimierenden Zutate: tausende Corona-Tote, infizierte Kinder, überfüllte Krankenhäuser, soziale Isolation, Home Office oder Arbeitslosigkeit.

Währenddessen laufen immer noch Dokumentationen im Fernsehen, wo Impfgegner*innen einfühlsam interviewt werden, um ihre Denkweise zu verstehen. Ja, meinetwegen können diese Spinner interviewt werden. Aber dann in einem vernünftigen Verhältnis zur Realität. Das heißt: Wenn drei Viertel der Menschen in diesem Land die Corona-Maßnahmen unterstützen, dann möchte ich auch, dass drei Viertel Impfbefürworter interviewt werden. Aber die Medienkolleg*innen widmen unverhältnismäßig viel Zeit jenen Bekloppten, die meinen, mit Globuli eine tödliche Krankheit in Schach halten zu können. Selten hat die »false balance« so drastische Konsequenzen: überfüllte Intensivstationen und sterbende Menschen.

»False balance« nennt man eine Berichterstattung, die den irreführenden Eindruck erweckt, dass sich zwei gegensätzliche, aber gleichwertige Meinungen die Waage halten. Dies ist ein mediales und gesellschaftliches Desaster, denn Fakten sind keine Meinungen. Wenn eine große Gruppe von Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse anerkennt – also beispielsweise, dass Impfungen vor einem tödlichen Virus schützen –, und eine sehr kleine Gruppe von Menschen leugnet diese Tatsache, dann ist es fahrlässig, dies als zwei »Meinungen« präsentieren, die beide akzeptiert werden müssen. Nein, auf der einen Seite stehen harte Fakten und auf der anderen Seite irgendwelche Spinnereien. Das ist nicht gleichwertig und sollte auch nicht so dargestellt werden.

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Die fatalen Auswirkungen dieser »false balance«-Berichterstattung sehen wir momentan. Unter anderem, weil Politik und Medien dem Schwachsinn der Coronaleugner viel zu viel Raum gegeben haben. Mit jedem ungeimpften und infizierten Menschen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus neue Mutationen entwickelt, gegen die dann niemand geschützt ist. Und anderswo auf der Welt würden sich Menschen gerne impfen lassen – aber es gibt keinen Impfstoff.

Ja, sicher hat jeder Mensch ein Recht auf freie Entscheidung, die seinen eigenen Körper betreffen. (Übrigens auch Frauen, die abtreiben wollen, nur zur Erinnerung.) Aber gleichzeitig gibt es persönliche Entscheidungen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Wenn Impfverweigerer ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen wollen, weil sie Covid für ein Märchen halten, dann kann uns das so lange egal sein, wie es nur ihr eigenes Leben betrifft. Aber es betrifft uns alle. Sie reißen die gesamte Gesellschaft mit. Dieselben Leute beanspruchen dann die Leistungen der Solidargemeinschaft, wenn sie sich anstecken und ins Krankenhaus kommen: Die stationäre Behandlung eines Covid-19-Patienten kostet im Durchschnitt 10.700 Euro; schwere Verläufe, wo jemand beatmet werden muss, kosten laut ÄrzteZeitung durchschnittlich 38.500 Euro. zehn Prozent der Fälle schlagen mit über 85.000 Euro zu Buche; wenn eine ECMO eingesetzt wird, wo eine Maschine die Lungenfunktion übernimmt: 92.000 Euro. Für diese Kosten kommen wir alle auf.

Egoistisches Verhalten hat nichts mit individueller Freiheit zu tun. Nennen wir es doch beim Namen: Rücksichtslosigkeit. Impfgegner*innen verteidigen nicht die Freiheit. Sondern ihren krassen Egoismus, der buchstäblich über Leichen geht.

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