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Ohne himmlischen Beistand
Olaf Scholz kann sich bei seiner Wahl zum Regierungschef ganz auf die Stabilität seiner Ampel verlassen
Eine durchaus bemerkenswerte, wenngleich für die Regierungsgeschäfte nicht zwingend erhebliche Differenz zwischen Olaf Scholz und seiner auf der Tribüne des Bundestages sitzenden Vorgängerin offenbarte sich, kurz nachdem jener am Mittwochmittag aus Schloss Bellevue unter die Reichstagskuppel zurückgekehrt war: Gott. Anders als Angela Merkel verzichtete der neue Bundeskanzler, soeben von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu selbigem ernannt, bei seiner Vereidigung im Parlament auf die bekannte religiöse Formel »so wahr mir Gott helfe«. Das hatte er bereits im Vorfeld angekündigt und dürfte ob der Umstände auch kein weiteres Erstaunen hervorgerufen haben: Der protestantischen Ostdeutschen folgt nun, nach seinem Austritt aus der evangelischen Kirche, der erste konfessionslose Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik.
Aufmerksame Beobachter dürften feststellen, dass Scholz und seine Ampel – das ist tatsächlich ein fundamentaler Unterschied zu den Jamaika-Querelen von 2017 – bis jetzt auch keinen himmlischen Beistand vonnöten haben: Diese bisher nur auf Landesebene erprobte Koalition erweist sich auch im Bund als erstaunlich stabiles Konstrukt und bewies ihre Robustheit beim Wahlakt am Mittwoch erneut: Bei 737 Bundestagsabgeordneten hätten Scholz 369 Ja-Stimmen für die erforderliche absolute Mehrheit gereicht, er bekam 395 – gleichwohl 21 weniger, als SPD, Grüne und FDP Sitze im Parlament haben.
SPD kann mit Ergebnis zufrieden sein
Ein dezenter Verlust, der einerseits mit den aus Reihen der Koalitionsfraktionen eingereichten Krankmeldungen zu erklären gewesen sein mag – aber nicht ausschließlich. Die SPD verzeichnete auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP vier Erkrankungen, Grüne und FDP jeweils eine. Dennoch: Scholz kann mit dem Ergebnis zufrieden sein. Dass ein Regierungschef weniger Stimmen erhält, als nach Mandaten der regierungstragenden Fraktionen rechnerisch möglich, ist fast schon parlamentarische Tradition. Es kann aber auch andersherum laufen: Für Gerhard Schröder, der nebst Scholz-Gattin Britta Ernst das Treiben im Bundestag von der Tribüne aus verfolgte, hatten 1998 sechs zusätzliche Abgeordnete votiert.
Alle Mutmaßungen, in wessen Reihen sich die Abweichler versteckt hielten, waren ob der stabilen Mehrheit für Olaf Scholz höchstens Nebenschauplätze – wenngleich es sich der designierte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nicht nehmen ließ, die Verantwortung gekonnt auf die beiden kleineren Koalitionspartner abzuwälzen: Denen falle es »naturgemäß etwas schwerer noch, jemanden von einer anderen Partei zum Kanzler zu wählen«, sagte der Ex-Juso-Chef dem Sender »Phoenix« und fügte mit Blick auf die verflogenen Sehnsüchte der neuen Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hinzu: »Manche von denen hatten sich ja auch selber Hoffnung gemacht, in diesem Jahr das Kanzleramt zu übernehmen.«
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Dass es anders kam, hatte vielleicht weniger mit Scholz selbst als mit den Fehlern seiner Gegner zu tun. Vor allem mit Armin Laschet, dem sein von einer Fernsehkamera eingefangenes Lachen während eines Besuchs der Flutopfer von Nordrhein-Westfalen zum Verhängnis wurde, der sich nun aber als fairer Verlierer zeigte und Scholz nach dessen Wahl Corona-konform faustete. Den Blumenstrauß der Linken überreichten Fraktionschef Dietmar Bartsch und die überparteilich geschätzte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, während Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband eine Kiste Äpfel brachte. Nur die AfD geizte mit Geschenken – mehr als ein flüchtiger Händedruck war von Fraktionschefin Alice Weidel allerdings auch nicht zu erwarten gewesen. Zuvor hatte sich die AfD als einzige Fraktion auch den stehenden Ovationen für Angela Merkel verweigert.
Linke-Fraktion vor schwerer Aufgabe
Derweil beginnt nun für das um fast die Hälfte geschrumpfte 39-köpfige Linke-Fraktiönchen ein schweres Unterfangen: Die Hauptaufgabe dürfte darin bestehen, im Duell der weitaus größeren Oppositionsfraktion CDU mit der Ampel-Koalition irgendwie wahrgenommen zu werden. »Das wird eine große Herausforderung«, wusste auch Parteichefin Janine Wissler gegenüber »Phoenix« und kündigte eine »eigenständige« Oppositionsarbeit an – denn die Gemeinsamkeiten mit der CDU seien »äußerst begrenzt, um es vorsichtig zu sagen«.
Zugleich zeigte sich Wissler »ein bisschen erfreut« über die Ernennung von Nancy Faeser zur Innenministerin, mit der sie in Hessen »gut zusammengearbeitet« habe im Kampf gegen Rechts. Mit dem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe es in der Vergangenheit derweil auch »große Differenzen« gegeben, wenngleich man in der Corona-Pandemie mehr auf seine Warnungen hätte hören sollen.
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