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Es geht um Rechte der Whistleblower
Hans-Eberhard Schultz kritisiert das Londoner Urteil gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange
Ein Berufungsgericht in London hat kürzlich das Auslieferungsverbot für den Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA aufgehoben. Die Organisation Reporter ohne Grenzen bezeichnet das Urteil »als brandgefährliches Signal für freie Journalistinnen und Journalisten«. Würden Sie dem zustimmen?
Ja. Das gilt vor allem für kritische und investigative Journalist*innen, die sich nicht scheuen, offizielle Lesarten zu hinterfragen. Für sie ist diese Entscheidung des High Court gefährlich. Betroffen sind alle, die zu Recht oder zu Unrecht als Vaterlandsverräter*innen, Agent*innen fremder Mächte, vor allem Russlands und Chinas, und Feind*innen unserer äußeren und inneren Sicherheit gebrandmarkt werden.
Lag das Problem nicht schon im vorigen Urteil des High Court? In diesem Urteil wurde das Auslieferungsverbot lediglich mit dem Gesundheitszustand von Julian Assange begründet. Aber das Gericht hatte nicht seine Tätigkeit für straffrei erklärt.
Sicher lag es auch daran. Aber das ist dem komplizierten angelsächsischen Justizsystem geschuldet, das mit unserem kontinentaleuropäischen Rechtssystem nur bedingt vergleichbar ist. Aber es war auch kaum zu erwarten, dass die Richter es für gerechtfertigt erklären würden, dass Assange schwere Kriegsverbrechen der Nato entlarvt hatte. Da gibt es schon entsprechende Erfahrungen sowohl mit der deutschen als auch mit der EU-Justiz.
Können Sie da ein Beispiel nennen?
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Verfahren gegen die Verantwortlichen für das Massaker von Kundus. 2009 hatte der deutsche Oberst Klein in Afghanistan den Angriff auf einen Tanklastzug nahe Kundus befohlen, bei dem mehr als 100 Menschen starben. Der Generalbundesanwalt stellte das Verfahren gegen Klein nach wenigen Monaten ein. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschied, dass die deutsche Justiz in diesem Fall ausreichend ermittelt hat. So blieb ein Kriegsverbrechen sowohl von der deutschen als auch der Justiz der Europäischen Union ungesühnt. Das betraf auch schon Kriegsverbrechen der Nato während des Krieges im damaligen Jugoslawien.
Warum ist Assange auch ein Thema für die deutsche Politik?
Die Hauptverantwortlichen sitzen in London und den USA. Dort befinden sich die angeblichen Wiegen von moderner Demokratie und Menschenrechten. Aber die Auswirkungen auf zumindest indirekte Mittäter bei uns sind ebenso verheerend wie bezeichnend. Kürzlich war der offizielle UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, nach einem Gefängnis-Besuch bei Assange im Berliner Auswärtigen Amt, dem er vorab einen Bericht hatte zukommen lassen, aus dem unmissverständlich hervorgeht, dass Assange schwerer Folter ausgesetzt war und ist.
Was folgte daraus?
Erst einmal nichts. Anschließend berichtete Nils Melzer der Presse nämlich Unerhörtes: Die offiziellen Gesprächspartner*innen vom Auswärtigen Amt hatten seinen Folter-Bericht vor dem Treffen nicht einmal gelesen. Offenbar hatte dies auch danach dort niemand vor. Als ich das hörte, war ich zunächst sprachlos. Schließlich erinnerte ich mich an die oppositionelle Politikerin aus einem jener Unrechts- oder Feindstaaten, nämlich Belarus, der die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel umgehend nach Bekanntwerden erster Foltervorwürfe den Aufenthalt in Deutschland inklusive einer erstklassigen medizinischen Behandlung in der Berliner Charité versprochen hatte.
Wie geht es in dem Fall Assange nun weiter?
Die Verteidigung hat schon angekündigt, so schnell wie möglich die Entscheidung anzufechten. Ob sie damit durchkommt, bleibt zu hoffen. Aber das ist höchst ungewiss. Vor allem vor dem Hintergrund der engen Kontakte zwischen maßgeblichen Personen der Justiz und der Politik.
Assange hat hierzulande einige Unterstützer. Wie ist die Solidaritätsbewegung mit ihm aufgestellt?
Sie versucht, die Öffentlichkeit auf die Konsequenzen aufmerksam zu machen, wenn ein Whistleblower der Kriegsverbrechen öffentlich gemacht hat, bestraft wird, während die Verbrechen, die er bekannt machte und die auch nicht bestritten werden konnten, juristisch folgenlos bleiben. Was allerdings bis heute leider fehlt, ist die breite Unterstützung der Basisbewegungen, der Parteien für die Freilassung von Assange. Es ist eine breite gesellschaftliche Debatte auf allen Ebenen notwendig, auf der deutlich wird, dass es hier nicht um eine Person geht, sondern um grundlegende Rechte von Whistlbeblower*innen.
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