- Politik
- Corona in Mecklenburg-Vorpommern
Trompete blasen ohne Maske erlaubt
Viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern steigen bei den komplizierten Corona-Regeln nicht mehr durch
Im Nordosten ist die »Corona-Landesverordnung«, so lautet der offizielle Titel des Druckwerks, besonders dick: Auf 138 Seiten ist akribisch formuliert, was verboten ist und was beachtet werden soll, damit sich die Pandemie nicht weiter ausbreitet. Nicht für alle Interessierten, die sich durch den Vorschriftendschungel kämpfen, ist das darin Gesagte verständlich, weiß Matthias Crone, der Bürgerbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern. Und dass die Auswirkungen jenes Regelkatalogs, jüngst beispielsweise die Schließung des Rostocker Weihnachtsmarktes wegen der Klassifizierung der Hansestadt als »Risikogebiet« so manche Menschen zunehmend »wütender, genervter und gereizter« machen, äußerte der Bürgerbeauftragte diese Tage im NDR.
Dort richtete Crone an die Landesregierung aus SPD und Linkspartei den Appell, sie möge sich zu einer »3-V-Regel« entschließen: »Wir brauchen Vorausschau, was nötig ist. Wir brauchen mehr Vorlauf für neue Regelungen, und wir brauchen auch Vereinfachung«, sagte der Bürgerbeauftragte. Ein Rat, der wohl auch für andere Bundesländer bedenkenswert sein dürfte. Dort sind die Verordnungen zumeist nicht so umfangreich wie im Land zwischen Ostsee und Elbe, aber fast alle wimmeln von Schachtelsätzen, die nicht selten nahezu 80 Wörter umfassen.
Hinzu kommt bei den Verfassern des jeweiligen Regelwerks oft eine ausgeprägte Liebe zum Detail. Das ist oft nicht immer zu umgehen, zumal die Verordnungen rechtssicher sein sollen, was bei juristischen Auseinandersetzungen, etwa Klagen gegen einzelne Bestimmungen, von Bedeutung sein kann. Manche Formulierungen jedoch entbehren nicht einer gewissen Kuriosität. So besagt beispielsweise ein Passus in Mecklenburg-Vorpommerns Anti-Corona-Vorschrift, dass Blasmusiker beim Benutzen ihres Instrumentes keine Mund-Nase-Bedeckung tragen müssen. Weshalb diese »Erlaubnis« zu Papier gebracht wurde, bleibt offen. Käme doch wohl niemand auf den Gedanken, durch eine Maske klangvoll Trompete, Posaune oder Tuba zu spielen.
Ein wenig merkwürdig mutet auch das im selben amtlichen Druckwerk festgeschriebene Vermeiden von »Warteschlangen und Ansammlungen« an Stätten, die der Prostitution dienen. Gedränge vor einem Bordell? Das war wohl auch in coronafreien Zeiten nicht einmal vor »Laufhäusern« in Hamburger Rotlicht-Revieren zu beobachten. Und was bewog die Vorschriftmacher in Schwerin dazu, für Tanzschulen die Reinigung von »Flächen, die mit Körpersekreten in Kontakt gekommen sind«, anzuordnen? Hatten die Verfasser Schweiß treibende Tango-Kurse vor Augen?
Viele Menschen beschweren sich beim Bürgerbeauftragten, so berichtet Crone, weil sie die komplexen Corona-Regeln inhaltlich nicht nachvollziehen und verstehen könnten. Oft gehe es dann um Regelungen zum Schulbetrieb, zum öffentlichen Personennahverkehr oder Schließungen von Einrichtungen. Crone bekannte, es falle auch ihm persönlich und seinem zum Teil juristisch versierten Team zunehmend schwer, den Überblick bei der Corona-Landesverordnung zu behalten.
Allerdings verdiene die Politik Verständnis, räumte der Bürgerbeauftragte ein. Die Pandemie umfasse fast alle Lebensbereiche und erfordere demzufolge ein komplexes Regelwerk, wie es nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern gilt.
Staatskanzleichef Patrick Dahlemann (SPD) reagierte auf Zweifel an der Verständlichkeit der Corona-Verordnung: Die Landesregierung verwende viel Energie darauf, allen Bürgerinnen und Bürgern die Regeln zu erklären; auch würden viele Fragen dazu im Internet auf der Seite www.mv-corona.de beantwortet. Zur Schließung des Weihnachtsmarkts in Rostock sagte Dahlemann im NDR: »Wir sind in einer sehr, sehr ernsten Lage. Und da ist es jetzt nicht das richtige Bild, in Massen bei gebrannten Mandeln und Glühwein durch die Straßen zu schlendern.«
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