- Wirtschaft und Umwelt
- Pandemiefolgen
Corona schmeißt die Kommunen ins Finanzloch
Die meisten Städte und Gemeinden in Deutschland werden das Jahr mit einem Haushaltsdefizit abschließen
Cuxhaven ist pleite. Eigentlich. Im Oktober 2016 erhielt die Stadt an der Nordsee vom Land Niedersachsen eine Finanzspritze in nie dagewesener Höhe: 187,5 Millionen Euro. Damit wurden Altschulden getilgt. Im Gegenzug wurde der Stadt ein Sparkurs auferlegt, und in einer sogenannten Stabilisierungsvereinbarung wurden enge Grenzen für zukünftige Investitionen gezogen. Damit stand die »Cuxhaven-Null«.
Fünf Jahre später ist die Lage weiterhin angespannt. Die Feuerwehr benötigt ein neues Gerätehaus, Umgehungsstraßen sollen gebaut und Schulen saniert werden. Im Sommer 2021 genehmigte das Land dann neue Schulden. 49 Millionen Euro darf Stadtkämmerin Anna-Lena Hesse nun zusätzlich bis zum Jahr 2026 bei Banken pumpen.
Jan Ole Arps ist Redakteur und Co-Geschäftsführer der linken Monatszeitung »Analyse & Kritik« (»ak«), die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiert. Die meisten sagen der »ak«, denn früher war dies - groß geschrieben - die Abkürzung für »Arbeiterkampf«.
Es war die Zeitung des Kommunistischen Bundes (KB), ebenfalls 1971 in Hamburg gegründet. Unter den westdeutschen K-Gruppen war der KB am wenigsten dogmatisch, ein »Trüffelschwein«, wie ihn Georg Fülberth nannte: Stets auf der Suche nach Möglichkeiten der politischen Einflussnahme – in der Ökologie-, Friedens-, Frauenbewegung. Das wurde in der Zeitung offen diskutiert, was sie zu einem sehr interessanten Produkt machte, zu einer Art »Spiegel« der Linksradikalen. Deshalb hat die Zeitung die Auflösung des KB 1991 überstanden, ohne zu einem Nostalgieheft zu werden. Ganz im Gegenteil: Die Zeitung hat sich verändert, verjüngt und verflottet, aber nicht verdummt. Zum Glück!
Dabei stand die Cuxhaven-Null nie wirklich bei null. Auf ein Minus von 17,5 Millionen Euro durfte die »Null« ohnehin pro Haushaltsjahr anwachsen, ohne das Cuxhaven vertragsbrüchig wurde. Zukünftig soll eine neue Schuldenbremse die Ausgaben endlich einhegen. Doch wie im Großen wird von der Politik gerne getrickst: Mindereinnahmen, für welche die Coronakrise verantwortlich gemacht wird, dürfen durch weitere Kredite ausgeglichen werden.
Corona hat bei den deutschen Kommunen insgesamt zu herben Einnahmeverlusten und zu einer sehr angespannten Haushaltslage geführt. So rechnen 40 Prozent der Kommunen in den alten Bundesländern mit einem Anstieg ihrer Verschuldung in den nächsten drei Jahren und nur 29 Prozent mit einer sinkenden Schuldenlast. Im Osten Deutschlands wird die Lage deutlich positiver eingeschätzt: Hier rechnen nur 14 Prozent mit steigenden und 52 Prozent mit sinkenden Schulden.
Aufgrund hoher Sozialausgaben und teils stark gesunkener Einnahmen steigt der Anteil der Städte und Gemeinden, die das laufende Jahr voraussichtlich mit einem Haushaltsdefizit abschließen werden, erneut an: und zwar auf 55 Prozent. Zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 wiesen nur 13 Prozent der Kommunen ein Haushaltsdefizit auf.
Viele Kommunen reagieren mit harten Einschnitten auf die Krise: Jede vierte Stadt und Gemeinde plant, im laufenden und im folgenden Jahr kommunale Leistungen einzuschränken. Und 70 Prozent werden voraussichtlich kommunale Steuern und Gebühren erhöhen. Teurer werden sollen insbesondere die Wasserversorgung und die Müllabfuhr. Auch Grund- und Gewerbesteuer stehen auf dem Prüfstand. Dabei unterscheiden sich die Hebesätze zwischen den Kommunen bereits erheblich.
Viele Kommunen haben ihre »freiwilligen Leistungen« bereits stark reduziert, so dass hier kaum noch Einsparungen möglich sind. Besonders in strukturschwachen Gegenden bieten viele Kommunen inzwischen kaum noch Leistungen an, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen. Im Standortwettbewerb um Firmen und Steuerzahler drohen diese dann noch weiter zurückzufallen.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie von EY, die auf einer Umfrage unter 300 Kommunen mit mindestens 20 000 Einwohnern beruht. Die Wirtschaftsprüfer von EY gelangen zu einer ähnlichen Einschätzung wie zuvor der »Kommunale Finanzreport« der Bertelsmann-Stiftung. »Viele deutsche Kommunen stehen heute mit dem Rücken an der Wand«, sagt EY-Studienleiter Mattias Schneider. Zwar haben Bund und Länder im vergangenen Jahr mit erheblichen Mitteln eine Schuldenexplosion verhindert. Aber auch im laufenden Jahr fehlt viel Geld in den Kassen.
Immer drängender stellt sich laut EY die Frage nach einer langfristigen finanziellen Perspektive. »Selbst in konjunkturell sehr guten Jahren war nur ein langsamer Schuldenabbau möglich«, so Schneider. Die aktuelle Krise zeige, dass die finanzielle Ausstattung alles andere als nachhaltig ist - und dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinandergehe.
Gleiches lässt sich übrigens für die Bundesländer zeigen, von deren Zuweisungen wiederum die Kommunen stark abhängig sind. Bei Schulden und Zinslasten driften die Länder weit auseinander, wie die Bundesbank in Ihrem »Monatsbericht« zeigt.
Bei allen lokalen Aspekten ist der traditionsreiche Badeort Cuxhaven mit seinem schönen Sandstrand dann doch eher typisch. Von den Steuereinnahmen in Deutschland in Höhe von 740 Milliarden Euro kommen lediglich 108 Milliarden unten bei den Kommunen an. Gleichzeitig zahlen viele Pendler, die in Städten wie Cuxhaven arbeiten, ihre Einkommensteuer in den Gemeinden des »Speckgürtels«. Klein- und Mittelzentren stellen zudem für das Umland viele Funktionen bereit, wie etwa weiterführende Schulen und Krankenhäuser. Die Kommunalfinanzen bleiben auch für die neue Bundesregierung eine Herausforderung.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.