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Allein mit dem Alleinsein

Unter dem Brennglas der Pandemie wurden einsame Menschen noch einsamer - Daniel Schreiber hat dazu einen Essayband verfasst

  • Isabella A. Caldart
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie umgehen mit der Einsamkeit? Die Frage, die vor allem Singles beschäftigt, ist in den Jahren der Pandemie umso dringlicher geworden. In seinem Essayband »Allein« nimmt sich Daniel Schreiber dem Thema an. »Aber kann man allein, ohne eine romantische Beziehung, wirklich ein gutes Leben führen?« Das ist die Kernfrage, die der Journalist zu Beginn stellt, und die er auf 160 Seiten versucht, zu beantworten. Schreiber, der schon in früheren Büchern (»Nüchtern«, »Zuhause«) in klassisch anglosachsicher Tradition ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen aufs größere Ganze blickt, zieht auch in »Allein« wieder die Psychoanalyse, Soziologie, Philosophie und Kulturgeschichte zu Rate.

»Allein« ist dabei gleichsam ein Buch über die Einsamkeit wie über die Freundschaft. Daniel Schreiber liefert keine abschließenden Antworten, die müssen die Leser*innen für sich selbst finden. Aber er gibt ihnen die Instrumente, schaut von Aristoteles über Hildegard von Bingen bis zu Hannah Arendt und Derrida auf die Definition von Freundschaft, samt kurzem Exkurs zu Sitcoms wie »Friends« oder »How I Met Your Mother«. Diese stellen Freundschaft als »Zeit des Übergangs« ins Erwachsenenleben - in den Serien zumeist die heterosexuelle monogame Ehe - dar. Es scheint fast, als sei fast unweigerlich, dass an einem gewissen Punkt Freundschaften durch Paarbeziehungen ersetzt werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Was macht das mit denen, die zurückbleiben? Ist Freundschaft genug? Immerhin, so stellt der Autor fest, führt er mit einigen seiner Freund*innen längere und engere Beziehungen, als er je mit seinen Ex-Partnern hatte. Diese Chosen Family zu haben, kann für viele Menschen erfüllend sein. Schreiber aber fragt sich, ob nicht mehr dahinterstecke, »ob ich grundsätzlich etwas vermisse, ohne mir das einzugestehen. Ob ich so gut gelernt habe, alleine zu leben, dass mir meine Einsamkeit nicht mehr auffällt.«

Ein wichtiger Schritt, um mit diesen Gefühlen umzugehen, sei Scham und Stolz zu überwinden. Und doch bleibt die Angst, irgendwann »mit dem Alleinsein allein zu sein«, wenn die Freund*innen Partner*innen finden und man selbst nicht.

Diese Angst wird nach Ausbruch der Pandemie umso stärker. Sein Essay, auch wenn er es eventuell schon früher begonnen hat zu schreiben, ist maßgeblich von Corona beeinflusst. Vor allem davon, dass sich die Freund*innen zurückbesinnen auf ihre eigene Kernfamilie, was Singles außen vor lässt: »Die Herausforderungen der neuen Zeit riefen einen ausgeprägten Nestinstinkt wach.« Spätestens die Pandemie macht aus dem Alleinsein ohne Liebesbeziehung eine Einsamkeit, die von generell wenigen Kontakten geprägt ist und Schreiber wie viele andere in depressive Phasen stürzt.

»Die gemeinsam verbrachte Zeit vor der Pandemie, all das, was man selbstverständlich zusammen gemacht hatte, trat mit einer erschreckenden Geschwindigkeit in den Hintergrund. […] Für die meisten Menschen sorgte das pandemische Geschehen dafür, dass die Welt kleiner wurde.« Befreiend sind für ihn Aufenthalte in der Natur, ob ein Garten im Berliner Umland, die Schweizer Berge oder auf Lanzarote, ein langsames Rückbesinnen auf sich selbst.

Mitunter formuliert Schreiber in einem arg salbungsvollen Ton, lässt sich auch zu absoluten, anfechtbaren Aussagen wie »Doch niemand kann über lange Strecken einsam sein, ohne Schaden zu nehmen« hinreißen. Zwar ist er sich seiner privilegierten Situation bewusst, reflektiert diese in »Allein« aber leider zu wenig. Immerhin hat er eine Wohnung für sich in Berlin, geht Wandern in der Schweiz, kann es sich leisten, eine mehrmonatige Auszeit auf Lanzarote zu nehmen.

Sehr viele alleinstehende Menschen werden es ähnlich wie Schreiber während der ersten Phase der Pandemie erlebt haben, wie sich die Freund*innen von ihnen entfernen. Jede Person, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat, versteht die Frustration des Autors, gepaart mit dem Hadern über die eigene Lebenssituation. Aber trotzdem ist das darüber Nachdenken ein Luxus, den viele Menschen in Deutschland (wir wollen gar nicht erst von anderen Staaten anfangen) nicht haben. Die Menschen, die in prekären Verhältnissen arbeiten, beengten Wohnungen leben, sich um ihre finanzielle Situation und Homeschooling der Kinder sorgen müssen.

So hat »Allein« ein ganz bestimmtes Milieu als Zielpublikum. Dennoch ist das ein größtenteils lesenswerter Essay, mit einer umfangreichen Literaturliste zu den Komplexen Freundschaft und Einsamkeit. Ohne die Pandemie hätte das Thema aber noch besser funktioniert.

Daniel Schreiber: Allein. Hanser, 160 S., geb., 20 Euro.

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