Die Mehrheit bricht ihr Schweigen

In mehreren sächsischen Städten regt sich Unmut über anhaltende Demonstrationen von Coronaleugnern

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir sind fassungslos«, heißt es in einer Erklärung, die eine Initiative namens »Bautzen gemeinsam« am Montag in der ostsächsischen Stadt vorstellte. Sie liegt in einem Kreis, in dem seit Beginn der Corona-Pandemie mehr als 1000 Menschen an dem Virus gestorben sind. Fassungslos sind die Initiatoren über den Umstand, dass »Protestler die Krise durch Egoismus befeuern«, dass sie Gegenmaßnahmen verächtlich machen, sich ihnen bewusst verweigern und dagegen auf die Straße gehen. Unlängst hatten Querdenker in Bautzen demonstrativ Sachsens »längste Infektionskette« gebildet und Polonaise getanzt. Auch an diesem Montag beteiligten sich laut Polizei in der Stadt wieder rund 500 Menschen an derlei Protesten.

Solche Aufzüge gibt es seit Wochen in vielen sächsischen Städten. Sie verstoßen gegen die geltende Corona-Notverordnung des Freistaats, die nur stationäre Kundgebungen mit höchstens zehn Beteiligten zulässt. Dennoch blieb die Polizei lange auffallend untätig. Daneben gab es jedoch auch aus der Gesellschaft praktisch keinen Widerspruch. Die Schlagzeilen dominierten die Protestierer – obwohl sie allen Umfragen zufolge nur eine Minderheit der Bevölkerung darstellen.

Nun aber bricht der andere Teil der Gesellschaft zunehmend sein Schweigen. »Die stille Mehrheit wird laut!«, erklärt das Netzwerk »Tolerantes Sachsen«. Ein Beleg dafür ist die Erklärung aus Bautzen, in der es heißt: »Wir können es nicht zulassen, dass diese kleine, viel zu laute Gruppe immer lauter wird.« Man wolle »Verantwortung für unsere Stadt übernehmen (...), denn wir sind die Mitte der Gesellschaft«. Zu den Erstunterzeichnern gehören Unternehmer und Wissenschaftler, Theaterleute und Pfarrer, der Vorsitzende des sorbischen Dachverbandes Domowina sowie die Sängerin und weitere Mitglieder der in Bautzen gebürtigen Band »Silbermond«. Das Papier, das auf der Plattform change.org veröffentlicht wurde, fand in weniger als 24 Stunden schon mehr als 5000 Unterstützer.

Dass es bisher so wenig Widerspruch gegen die zunehmend radikaleren Aufzüge der Maßnahmegegner gibt, ist in einem Dilemma begründet: Wer die Corona-Maßnahmen für begründet hält, kann nicht guten Gewissens in großer Zahl auf die Straße gehen, für welches Anliegen auch immer. Es müsse darum gehen, »Pandemie-konforme Wege und Mittel zu finden«, sagte Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen kürzlich zu »nd«. Zuerst gelang das dem Bündnis »Freiberg für alle«, das einen offenen Brief veröffentlichte und sich darin dagegen verwahrte, dass die Stadt zum »Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Corona-Leugner« wird. Das Bündnis appellierte an die Politik, die illegalen Protestdemonstrationen nicht länger zu dulden: »Wir sind sauer, wir sind wütend und wir wollen das nicht länger hinnehmen!«

Ähnliche Aufrufe werden in immer mehr sächsischen Städten veröffentlicht, teils unter Bezug auf Freiberg oder sogar unter Verwendung des dort entworfenen Textes. Das Zwickauer Bündnis für Demokratie und Toleranz etwa solidarisiert sich ausdrücklich mit dem dortigen Vorstoß. Auch in einer Petition aus Zittau finden sich entsprechende Formulierungen. In beiden Städten gehörten mit Constance Arndt und Thomas Zenker die parteilosen Oberbürgermeister zu den Erstunterzeichnern.

Auch im Vogtland hat das dortige Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage Stellung bezogen. »Wir denken, dass es Zeit ist zu zeigen: Die überwiegende Mehrheit der Vogtländer denkt demokratisch, solidarisch und achtet die Würde aller Menschen«, heißt es in einem Aufruf. Dieser übt auch Kritik an der vor allem in Plauen zu beobachtenden Vereinnahmung der Ereignisse vom Herbst 1989 durch die Protestierer. »Die Geschichte so zu verdrehen, von einer Diktatur zu sprechen und dies für eigene politische Zwecke auszunutzen« sei eine Missachtung von Menschen, die in der DDR gelitten hätten »und verharmlost gleichzeitig wirkliche Diktaturen«, heißt es. In Plauen sammeln sich die Kritiker der Coronapolitik immer wieder am Wendedenkmal. Die Aufzüge werden maßgeblich von Rechtsextremen organisiert, etwa der Partei III. Weg.

Die Unmutsbekundungen aus den jeweiligen Stadtgesellschaften haben bisher freilich nicht zu einem Abflauen der Proteste geführt. Die Polizei meldete illegale Versammlungen aus Dutzenden sächsischen Städten. Allein die Polizeidirektion Chemnitz griff in Freiberg und Zwönitz, Mittweida, Frankenberg und Hainichen ein, sprach 300 Platzverweise aus und erteilte 116 Anzeigen wegen des Verstoßes gegen die Coronaverordnung.

Es seien 1000 Beamte im Einsatz gewesen, darunter von der Bundespolizei und aus Nordrhein-Westfalen. Ähnlich sah es anderswo im Freistaat aus. Die Polizeieinsätze gaben dabei ein widersprüchliches Bild ab. In Bautzen wurde die Menge in Grüppchen zu je zehn Menschen »vereinzelt«. In Freiberg wurden Demonstranten auf dem Parkplatz eines Supermarktes gekesselt, aber vor Feststellung der Personalien laufen gelassen, da sie angeblich nicht von Kunden zu unterscheiden gewesen seien. In Zittau demonstrierten 400 Menschen ungestört und stellten Kerzen vor der Redaktion der Lokalzeitung ab, die als »Lügenpresse« beschimpft wurde.

Zudem scheint die Strategie der rechtsextremen »Freien Sachsen« zu fruchten, die eine koordinierende Rolle für die Proteste im Freistaat haben und das Ziel verfolgen, diese in andere Bundesländer zu tragen. So versammelten sich am Montag in Magdeburg 3500 Menschen. Der Rechtsextremismusexperte David Begrich twitterte: »Das war kein Spaziergang. Das war ein rechts dominierter Aufmarsch!« In Mecklenburg-Vorpommern hätten sich 7000 Menschen in zwölf Städten beteiligt, davon 2900 in Rostock, meldet die Nachrichtenagentur dpa. In Thüringen seien bei 26 Versammlungen 6000 Teilnehmer gezählt worden, in Mannheim demonstrierten 2000 Menschen. Dort hätten erst starke Polizeikräfte die Lage beruhigen können.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.