Basis-Initiativen übernehmen zwei große US-Gewerkschaften

Bei den Teamsters und der United Auto Workers (UAW) ist die alte und korrupte Garde entmachtet worden. Nun setzen die Organisationen auf einen militanten Kurs

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Glatzköpfiger Ex-Footballspieler mit militanten Tönen: Der neue Präsident der Teamster-Gewerkschaft Sean O Brien
Glatzköpfiger Ex-Footballspieler mit militanten Tönen: Der neue Präsident der Teamster-Gewerkschaft Sean O Brien

Die Gewerkschaft United Auto Workers hat auf einen Schlag 17 000 neue Mitglieder bekommen. Der Grund ist die Entscheidung der University of California, die neue Gewerkschaft Student Researchers United anzuerkennen. Diese trägt hinter dem Bindestrich den Zusatz United Auto Workers und zeigt damit, dass sie sich unter das Dach der traditionsreichen US-Autogewerkschaft stellt, die insgesamt etwa eine Million Mitglieder hat. Das ist ein Beispiel dafür, wie alte Gewerkschaften neue Mitglieder in einer veränderten Arbeitsgesellschaft, in der Wissensgesellschaft, anziehen und organisieren können.

Auch eine weitere Großgewerkschaft organisiert und unterstützt die gewerkschaftliche Organisation der Wissensarbeiter*innen, der studentischen Hilfskräfte. Es handelt sich um die Transportarbeitergewerkschaft Teamsters mit ihren 1,4 Millionen Mitgliedern, in diesem Fall an der US-Ostküste an der Eliteuniversität Columbia University.

Beide Gewerkschaften reformieren sich auch intern, entwickeln sich weiter und demokratisieren sich - auch durch den Einfluss der Neumitglieder. Anfang Dezember jubelten linke Aktivist*innen und basisdemokratisch gesinnte UAW-Mitglieder. Mit rund 63 Prozent Zustimmung war ihre Initiative »One member, one vote« (Pro Mitglied eine Stimme) angenommen worden. Sie sieht es die Direktwahl der Gewerkschaftsspitze vor. Die Abhaltung der Abstimmung war eine Auflage und Teil eines gerichtlichen Vergleichs zwischen der Gewerkschaft und dem US-Justizministerium im Zuge von Anti-Korruptionsverfahren gegen ehemalige UAW-Spitzenfunktionär*innen. Es ging um Missbrauch von Mitgliedsbeiträgen für persönliche Zwecke und Bestechung durch die Arbeitgeber*innen - für das Akzeptieren von für die Hersteller vorteilhaften Tarifverträgen.

Aus Frust gegen aus ihrer Sicht zu weitgehende Zugeständnisse an die US-Autobauer bei Tarifvertragsverhandlungen hatten sich Aktivist*innen an der Basis schon Mitte der 80er Jahre für eine Direktwahl des Vorstands eingesetzt. Doch erst jetzt, nach zwei Jahren Kampagne und einem Vergleich mit dem Ministerium, konnten sie sich durchsetzen. Das Delegiertensystem wird abgeschafft. Vorher wählte jede UAW-Ortsgruppe einen Delegierten und die Delegierten wählten die Gewerkschaftsführung. Die als korrupt geltende Gewerkschaftsspitze hielt die wenigen Hundert Delegierten mit verschiedensten Mitteln auf Linie. Bei Hunderttausenden Mitgliedern, die direkt wählen, ist dies nicht möglich, so das Kalkül der Reformer*innen.

Eine ähnliche Auflage hatte das US-Justizministerium Anfang der 90er Jahre auch der Teamster-Gewerkschaft gemacht. Dort entschieden sich die Mitglieder bei der angeordneten Abstimmung ebenfalls für eine Direktwahl ihrer Spitze. Ende November hat sich die Reformliste »Teamsters United« gegen die Vertreter der alten Garde durchgesetzt. Zu denen gehörte unter anderem der Sohn des 1982 verschwundenen berüchtigten Gewerkschaftsbosses Jimmy Hoffa, der die Teamster jahrzehntelang geführt hatte. Seit Gründung der Gewerkschaft 1903 setzten sich nur zweimal Außenseiter durch, die nicht von der Gewerkschaftsführung unterstützt wurden. Nun stimmten zwei Drittel der Mitglieder für den Herausforderer. Der neue Teamster-Präsident und Hoffa-Kritiker Sean O’Brien will eine Graswurzel-Gewerkschaft und schlägt militante Töne an. »Für Arbeiter kämpfen ist Vollkontaktsport«, erklärte er.

Der Highschool-Football-Spieler war in seiner Ortsgruppe fünfmal als Präsident wiedergewählt worden. In seiner Amtszeit wuchs die Mitgliedschaft um 30 Prozent. Nächstes Jahr wird er die Tarifverhandlungen beim Paketdienst UPS über den größten Tarifvertrag der Teamster leiten, der 2023 ausläuft. O’Brien will die Schlechterstellung von Arbeiter*innen abschaffen, eine Erhöhung des Einstiegsgehalts von 14 auf 20 Dollar in der Stunde erkämpfen und die Auslagerung von Fahrertätigkeiten in Uber-artiger Form zurückdrängen. Der Tarifkonflikt soll Vorbild für die Organisierungsbemühungen bei Amazon werden. Man müsse Arbeiter*innen schwarz auf weiß zeigen, »was die Teamster, was eine Gewerkschaft für euch erreichen kann«, so O’Brien.

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