Weben und Wirken mit Köpfchen

Einfallsreichtum rettete in der Lausitz eine alteingesessene Branche

  • Hendrik Lasch, Zittau
  • Lesedauer: 6 Min.
Seit Jahrhunderten wird in der Lausitz gewebt und gewirkt. 1990 schien die Branche am Ende. Doch Erfindergeist und der Umstieg auf ungewohnte Kunden rettete viele Betriebe.
Dass die Tampons in die Lausitz kamen, liegt am Staatsplan und einem Großbrand. Die Lenker der DDR-Wirtschaft hatten 1989 beschlossen, gewisse Defizite im Bereich Damenhygiene durch das Kombinat Technische Textilien, genauer: die Zwirnerei Großpostwitz in der Lausitz, beheben zu lassen. Für harte Währung wurden fünf Maschinen für die Tampon-produktion gekauft - und ins Lager gestellt. Dort wären sie wohl auch geblieben, wäre nicht ein Jahr später der Stammsitz des Tamponproduzenten Ontex in Belgien abgebrannt. Firmengründer Paul van Malderen hörte von den Maschinen in der Lausitz. Das, sagt Jürgen Preusche, »hat uns gerettet«.

Mit Tamponwerbung auf das Spielfeld
Preusche ist Prokurist bei Ontex Großpostwitz. Mit Damenhygiene kennt er sich genauso gut aus wie mit Zahlen. Er referiert anschaulich, wenngleich mit der gebotenen Diskretion, über Tampontypen. Ähnlich unaufdringlich erzählt er die Erfolgsgeschichte von Ontex in der Lausitz. Denn während die Zwirnerei seiner Ansicht nach auf dem globalisierten Markt keine Chance gehabt hätte, arbeiten im Werk heute 52 Mitarbeiter, viermal so viele wie bei der Gründung 1991. Das Werk stellt vier Millionen Tampons her - am Tag. Geliefert werden sie an Handelsketten, die sie aber unter eigenem Namen verkaufen. Für die Fußballer des SV Großpostwitz-Kirschau ist das ein Vorteil. Der Verein wird, ebenso wie Feuerwehren oder Chöre, von Ontex unterstützt; auf den Trikots prangt das Firmenlogo. Anzügliche Bemerkungen gebe es selten, so Preusche: Weil Ontex nicht unter eigenem Namen verkaufe, »sind wir recht wenig bekannt.«
Das unterscheidet sein Unternehmen von der Firma Frottana. Deren Produkte hingen praktisch in jedem DDR-Badezimmer: Handtücher, Waschlappen, Bademäntel. Heute wird in den Hallen, die am Rand des Zittauer Gebirges in Großschönau stehen, nichts anderes hergestellt. Einen großen Saal füllen 30 hochmoderne Webstühle. Das flauschige Gewebe, das sie ausstoßen, wächst in beeindruckendem Tempo. Binnen Minuten sind Dutzende Handtücher fertig, komplett mit dem Signet einer Fluggesellschaft, deren Kunden damit womöglich für einen rauhen Flug entschädigt werden.
Eine holprige Reise hat auch Frottana in den zurückliegenden 15 Jahren hinter sich gebracht - ebenso wie viele andere Textilunternehmen der Lausitz. Zwar hat die Branche in dem hügeligen Landstrich eine lange Tradition. Schon im 13. Jahrhundert wurde Flachs angebaut und zu Leinen verarbeitet; im Jahr 1729 zählte man allein um Zittau 5000 Webstühle. Herstellung und Export von Leinen, das in Großschönau auch zu edlem, glänzendem Bilddamast verfeinert wurde, verhalfen der Region zu erheblichem Wohlstand, wovon noch heute stolze Fabrikantenvillen oder protzige öffentliche Gebäude zeugen.

Luxus-Bademäntel auch mit Totenkopf
Bis 1990 war die Herstellung von Garn, Tuch und Bekleidung eine Großindustrie, die Tausende Menschen beschäftigte. Dann aber brach sie unter einer doppelten Last regelrecht zusammen: Die einstigen VEB-Betriebe mussten sich, wenn sie nicht stillgelegt wurden, im Markt behaupten; zugleich wirkte sich die Globalisierung gerade in der Textilbranche mit äußerster Härte aus.
Auch Bademäntel stellt man in China in großen Mengen, anständiger Qualität und vor allem zu niedrigsten Preisen her. Trotzdem behauptet sich Frottana. Das ist, sagt Geschäftsführer Matthias Kretschmer, nicht zuletzt der »Möve« geschuldet. So heißt eine Marke, die Frottana 1993 kaufte und die für edle Badtextilien steht. Möve-Frottiertücher gehen im Berliner KdW über den Ladentisch, ebenso wie in Zürich oder Shanghai. Im betriebseigenen Verkaufsraum zeigt Kretschmer einige der Badutensilien, die bald sogar im Londoner Edelkaufhaus Harrod´s vertrieben werden: knallrote Stolen der Reihe »Superwuschel«, Bademäntel in Jugendstil-Designs - und solche mit Totenköpfen oder in Militärfarben. Kretschmer zuckt die Schultern: »Wir hier hinten in der Lausitz müssen das ja nicht alles schön finden.«
Geschmacklich mögen die Ostsachsen vielleicht nicht auf der Höhe der Zeit sein, was ihr Konzept anbelangt, sind sie es. Die Produktion für das »Premiumsegment« sei auch in der darbenden Textilindustrie eine Sparte mit guten Zukunftsaussichten, sagt Professor Franz Rudolf. Der »Textilbeauftragte« von Sachsen hat in verschiedenen Funktionen einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Branche heute in der Lausitz oder rund um Chemnitz wieder brummt. Das Weben gewöhnlicher Stoffe und das Nähen von Hemden wird dabei den flinken und billigen Arbeitern in Fernost überlassen. Die Sachsen, sagt Rudolf, konzentrieren sich auf Luxusgüter, einen Markt, der »15 Milliarden Euro umsetzt und jährlich um 15 Prozent wächst«. Und sie produzieren in Nischen, etwa bei der Nachbildung historischer Stoffe. Der entscheidende Schritt, sagt Rudolf, sei aber der Einstieg in den Bereich technische Textilien gewesen: »Hier liegt unsere Zukunft.«
Die Bandbreite dessen, was als technische Textilien gilt, ist groß. Eine Broschüre des Vereins INNtex (Innovation Netzwerk Textil), dem Rudolf vorsteht, führt Gewebe für den Brückenbau ebenso auf wie Etiketten mit integriertem Chip, neuartige Fasern für die Medizin oder Dämmstoffe für den Flugzeugbau. Gemeinsam ist allen: Es sind Textilien mit Köpfchen, in denen viel Tüftelei steckt. Das vom Wirtschaftsministerium des Landes geförderte Netzwerk vereint Formen der Textil- und anderer Branchen mit Forschungsinstituten. Die dort geborenen Ideen sind verblüffend: Sticken etwa lassen sich nicht mehr nur Plauener Spitzen, sondern auch dreidimensionale Hohlformen für Gießereien.
Dass Sachsen früh die Zeichen der Zeit erkannte und den Umstieg von Firmen auf technische Textilien anregte, zahlt sich aus: In diesem Segment werden 42 Prozent der Umsätze gemacht, sagt Bertram Höfer, Geschäftsführer des ostdeutschen Textil-Branchenverbandes vti, der erstmals seit Jahren wieder einen Zuwachs der Beschäftigtenzahlen vermelden kann. In Sachsen arbeiten 12 000 Menschen in 111 Betrieben der Textil- und Bekleidungsindustrie.
Einer von denen, die erst in den letzten Jahren gegründet wurden, ist die KSO Kettwirkerei und Schärerei in Olbersdorf. Ansässig in einem alten Fabrikgebäude, das vor kurzem noch einer Ruine glich, liefert das Unternehmen vorwiegend Kettbäume an Webereien: Dicke Rollen, auf denen bis zu 1656 Fäden gleichmäßig aufgespult werden, um später das Grundgerüst für Webstoffe zu bilden. Dafür wird das Garn von ebenso vielen Spulen, die in riesigen Gattern stecken, abgewickelt. Das ist viel komplizierter, als es klingt, und braucht Geschick und zarte Finger; schließlich müssen die hauchdünnen Fäden, die im Licht wie Sonnenstrahlen flirren, einzeln geknotet werden. »Gartenarbeit«, sagt Frank Grohse, einer der vier KSO-Geschäftsführer, »ist für unsere Leute tabu.«

Lausitzer Fäden in die Erdumlaufbahn
Mit dem »Schären« will es KSO aber nicht bewenden lassen. Derzeit forscht man an einer neuartigen, extrem hitzebeständigen Faser - gemeinsam mit einem Keramik-Forschungsinstitut. Der zuständige Firmenchef Siegfried Petzold kann bisher nur vier Fäden präsentieren, die silbern auf einer Pappe glitzern. Das Vorhaben ist noch nicht so weit gediehen, dass die Produktion beginnen könnte. »Wenn es einfach wäre, hätten es andere auch gemacht«, sagt Petzold, der aber zuversichtlich ist, 2010 auf den Markt gehen zu können: »Wir wären weltweit die Dritten.« Die Faser, die bis 1600 Grad Celsius aushalten soll und 1000 Euro je Kilo kosten dürfte, werde für Brennerdüsen gebraucht, aber auch in der Raumfahrt. Hitzeschutzkacheln am Space Shuttle werde das Material nicht ersetzen, glaubt Petzold: »Da kümmern sich die Amerikaner selbst drum.« Trotzdem forscht der Ingenieur unverdrossen weiter: »Es fliegen ja auch noch andere ins All.«

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