- Wirtschaft und Umwelt
- Arbeitskampf gegen Armut
Generalstreik in Italien
Gewerkschaften mobilisieren gegen das neue Haushaltsgesetz und die zunehmende Armut
Einberufen wurde der Generalstreik von zwei der drei großen italienischen Arbeitervertretungen: dem Gewerkschaftsbund CGIL und dem Gewerkschaftsbündnis UIL. Der Gewerkschaftsbund CISL dagegen hat sich zwar mit den Zielen einverstanden erklärt, nicht aber mit dem Generalstreik als Instrument.
Die Regierungsparteien, angefangen mit Ministerpräsident Mario Draghi, äußerten ihr »Unverständnis«, was den Gewerkschaftern allerdings höchstens ein müdes Lächeln abverlangt. Streitpunkt zwischen ihnen ist das neue Haushaltsgesetz, das in diesen Tagen verabschiedet werden soll. Es würde in keiner Weise zu der Umverteilung beitragen, die das Land dringend benötige, sagt Maurizio Landini, Generalsekretär der CGIL, und führt ein Beispiel an: Um die steigenden Energiekosten abzumildern, hatten die Gewerkschaften einen Solidaritätsbeitrag von denjenigen gefordert, die mehr als 75.000 Euro jährlich verdienen - die Regierungsparteien haben das abgelehnt.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Landini erinnert daran, dass Italien das einzige Land in Europa ist, in dem die Löhne heute unter dem Niveau von 1990 liegen. »Wenn man dazurechnet, dass im gleichen Zeitraum die Steuern und die Lebenshaltungskosten gestiegen sind«, sagt der Gewerkschafter weiter, »dann sollte man sich vielleicht fragen, ob es nicht nur ein von der Verfassung verbrieftes Recht, sondern vielmehr eine Notwendigkeit ist, dass wir jenen Raum geben, die die Krise am eigenen Leib erfahren.« Ein weiterer Grund für den Generalstreik ist die Situation der jungen Menschen, die sich »an prekäre Arbeitsverträge klammern« müssten: »85 Prozent der neuen Verträge, die im letzten Jahr abgeschlossen wurden«, unterstreicht Landini, »sind prekär, und das trotz der vielen schönen Worte, die in diesen Monaten über das Programm ›Next Generation EU‹ für die jungen Menschen gesagt wurden.«
Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär der UIL, Pierpaolo Bombardieri: »Im letzten Monat haben wir unzählige Versammlungen an den Arbeitsplätzen abgehalten und ein Land gesehen, in dem nicht alles in Ordnung ist, wie die Regierung gerne behauptet, sondern in dem die Ungleichheiten wachsen.« Das Gesetz müsse sich daher stärker an Arbeitnehmer, Arbeitslose und die Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen wenden.
Heute umfasst die Regierung des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank Mario Draghi alle im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der Ultrarechten. Alle verurteilen den Generalstreik oder zeigen zumindest »Unverständnis«. Arbeitsminister Andrea Orlando von der sozialdemokratischen PD gibt zwar zu, dass das Haushaltsgesetz »Schatten und Licht« aufweise, bestreitet aber, dass es die Lage »der Arbeitnehmer und Rentner verschlechtert«. »Die Entscheidung der Gewerkschaften ist sicherlich legitim und verdient auch Respekt - aber ich teile sie nicht.« Ministerpräsident Draghi erklärte sich bereit, weiter mit den Organisationen der Arbeitnehmer zu verhandeln, allerdings erst nach dem Generalstreik.
Die meisten Parteien äußern sich höchstens zum neuen Haushaltsgesetz, lassen aber alle anderen Themen außer Acht, die die Gewerkschaften in den Vordergrund stellen. »Diese Regierung hat keine Wirtschafts- und Industriepolitik, die Arbeitsplätze schafft, die prekäre Lage der Jugendlichen und die Benachteiligung der Frauen bekämpft«, so CGIL-Generalsekretär Landini. »Das Land muss ein soziales Modell schaffen, das auf Gerechtigkeit aufbaut. Die Politik ist sich offenbar selbst genug, und die Arbeitgeber müssen akzeptieren, dass sie die Arbeitnehmer stärker einbeziehen müssen.« »Wir fordern alle auf, zu streiken und auf die Straße zu gehen, weil wir alle zusammen eine soziale Pandemie ohnegleichen bekämpfen müssen«, rief Landini kurz vor Beginn des Ausstandes auf. »Die Lebensbedingungen der Menschen haben sich klar verschlechtert, also müssen die Entscheidungen der Regierung geändert werden.«
Auf den Vorwurf, dies sei ein »politischer« Streik, der die Kompetenzen der Gewerkschaften überschreite, antwortet er: »Natürlich ist der Generalstreik ›politisch‹. Wenn die Politiker sich mal im Land umsehen würden, würden sie merken, wie schlecht es den Menschen geht. Und wenn sie das schon nicht interessiert, sollten sie darüber nachdenken, warum die Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren so stark gesunken ist.«
Ausgenommen vom Generalstreik ist aufgrund der Pandemie der gesamte Gesundheitsbereich. Corona hat auch in Italien wieder Fahrt aufgenommen, obwohl die Impfquote bei weit über 80 Prozent liegt und die Lage allgemein nicht mit der beispielsweise in Deutschland vergleichbar ist.
Die Hauptkundgebung wird in Rom stattfinden, weitere Demonstrationen sind im ganzen Land vorgesehen. Der letzte Generalstreik hatte in Italien im Dezember 2014 stattgefunden, als die damalige Regierung mit dem »Jobs Act« den prekären Arbeitsverhältnissen Tür und Tor öffnete.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.