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Weniger Alkohol und Drogen, mehr Fälle von Onlinespielsucht
Laut einem Bericht der Krankenkasse DAK haben Jugendliche in der Pandemie weniger Substanzen mit Suchtpotenzial konsumiert. Andere Risiken nahmen zu
Der pandemiebedingte Mangel an Möglichkeiten zum Feiern verringert auch die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche eine Alkoholvergiftung erleiden oder mit einer Drogen-Überdosis in der Klinik landen. Das ist der Befund einer Studie, die die DAK am Dienstag veröffentlicht hat. Suchterkrankungen bei Minderjährigen sind das Schwerpunktthema des diesjährigen Kinder- und Jugendreports der Krankenkasse. Demnach waren im Corona-Jahr 2020 deutlich weniger Schulkinder wegen Alkoholmissbrauchs in ärztlicher Behandlung. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die deshalb Krankenhäuser oder Arztpraxen aufsuchten, sank im Vergleich zu 2019 um 28 Prozent.
Auch bei Tabak, Cannabis und weiteren Drogen zeigte sich laut dem Bericht ein Rückgang. So wurden insgesamt 18 Prozent weniger Kinder wegen Substanzmissbrauchs ärztlich versorgt.
Für den Report untersuchten Wissenschaftler der Universität Bielefeld anonymisierte Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahre, die bei der DAK versichert sind. Der Report basiert nach Angaben der Autoren auf Daten von 5,7 Prozent aller Personen dieser Altersgruppe in Deutschland. Er weise damit eine »hohe Repräsentativität hinsichtlich Alters- und Geschlechtsverteilung« wie auch Ausbildung und Einkommen der Eltern auf.
Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, rät indes zur Vorsicht bei der Interpretation der Daten. Der auffällig starke Rückgang der in Kliniken und Praxen dokumentierten Fälle könne »auch damit zusammenhängen, dass Eltern stark mit sich selbst beschäftigt waren, damit weniger Probleme bei den Kindern auffielen und deshalb auch weniger behandelt wurden«, erklärte Fischbach am Dienstag. Zudem gibt es, nicht nur, aber vor allem in der warmen Jahreszeit, gerade auf dem Land viele Möglichkeiten für Jugendliche, sich jenseits offizieller Veranstaltungen zu verabreden.
Der Anstieg bei dokumentierten neuen Fällen von Depressionen zeigt darüber hinaus, dass der Rückgang bei den ärztlich behandelten Fällen gefährlichen Drogenkonsums kein Grund zur Sorglosigkeit ist. Dass die pandemiebedingte Ausnahmesituation für die Kinder eine enorme Belastung darstellt, ist bereits hinreichend belegt. Bei Depressionen ist auffällig, dass bei Neuerkrankungen an einer Depression 15- bis 17-jährige Mädchen dreimal so häufig betroffen waren wie Jungen. Ebenso besorgniserregend ist auch, dass laut Studie die Zahl der Impfungen von jungen Mädchen gegen Humane Papillomviren (HPV) 2020 um 14 Prozent zurückgegangen ist. Die Viren werden sexuell übertragen, daher soll eigentlich vor dem ersten Sex geimpft werden.
Besondere Sorge bereiten DAK-Vertretern derweil Phänomene, die besonders schwer medizinisch zu behandeln sind: der Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen. Laut Report ist die Nutzung von Computerspielen bei vier Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen in Deutschland als krankhaft einzuschätzen. Hochgerechnet wären damit 220 000 Jungen und Mädchen hier stark gefährdet, was gegenüber 2019 einen Anstieg um 52 Prozent bedeutet. Jungen sind mit 3,2 Prozent deutlich häufiger betroffen als Mädchen mit 0,9 Prozent. Das zeigten Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung der DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zum sogenannten Gaming und zur Nutzung von Onlinemedien.
Im Rahmen der separaten Untersuchung wurde in bundesweit 1200 Familien mehrfach die Nutzung digitaler Medien durch Kinder, Jugendliche und Eltern abgefragt. Laut Studie hängt der Anstieg der Mediensucht eng mit längeren Nutzungszeiten zusammen. Beim Gaming beträgt die durchschnittliche Spielzeit an einem Werktag jetzt 109 Minuten. Das sind 31 Prozent mehr als vor der Corona-Pandemie. Nach Einschätzung von Studienleiter Rainer Thomasius ist besonders der wachsende Anteil der Zehn- bis 14-Jährigen unter den »pathologischen« Mediennutzern auffällig. Nach Einschätzung des Suchtexperten führt die exzessive Mediennutzung zu Kontrollverlust: »Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst.« Ein »Stillstand in der psychosozialen Reifung« sei die Folge. Laut Studie stellt rund die Hälfte aller Eltern keine Regeln zu Art und Dauer der Nutzung digitaler Medien auf. DAK-Chef Andreas Storm forderte angesichts dieser Ergebnisse eine »Präventionsoffensive zur Medienkompetenz«.
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