Schwanger ist man nur allein

Isabel Rodríguez engagiert sich in Mexiko für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und die Legalisierung von Abtreibungen. In mehreren Bundesstaaten hat Protest im Land schon dazu geführt, dass das Abtreibungsverbot abgeschafft wurde

  • Valentina Mariebelle Meyer- Oldenburg Torres
  • Lesedauer: 7 Min.
Isabel Rodríguez (ganz rechts) zusammen mit Kolleginnen des Frauennetzwerks REDMYH in Campeche/Mexiko
Isabel Rodríguez (ganz rechts) zusammen mit Kolleginnen des Frauennetzwerks REDMYH in Campeche/Mexiko

Isabel Rodríguez ist eine junge Frau mit pink gefärbtem Haar und einem fröhlichen Lächeln. Während die 28-Jährige erzählt, ist im Hintergrund das Bellen ihrer drei Hunde zu hören. »Ich habe drei Hündchen und fünf Katzen, aber die müssen sich gleich beruhigen«, sagt sie lachend, bevor sie beginnt, von ihrer Arbeit als Aktivistin zu berichten und ihr Gesichtsausdruck etwas ernster wird.

Isabel Guadalupe Rodríguez Casanova ist Mitglied des Netzes von Frauen und Männern für öffentliche Meinungsbildung in Bezug auf Gender-Perspektiven in Campeche in Mexiko, kurz REDMYH AC. Seit sie 18 Jahre alt ist, engagiert sie sich für Menschenrechte, insbesondere für die Rechte von Frauen, Mädchen und Jungen. Über diese Arbeit ist sie auch zu REDMYH gekommen - und inzwischen aufgestiegen zur Repräsentantin für sexuelles und reproduktives Recht, also das Recht auf geplante Elternschaft, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch.

Sexualität ist für Rodríguez ein fundamentaler Teil des Lebens, deswegen hat sie sich entschieden, Sexologin - natürlich feministische Sexologin - zu werden. »Dabei ist für mich besonders die Nachbegleitung von Menschen wichtig, die sexuelle Gewalt erlebt haben, damit sie wieder ein sexuell erfülltes und selbstbestimmtes Leben führen können.« Abgesehen von Sexualität und Lust steht für sie fest, dass auch der Zugang zu legalen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen eine essenzielle Voraussetzung für die Selbstbestimmtheit von Frauen darstellt.

Dass ihre Arbeit vor allem darauf abzielt, Frauen über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren und sie bei Schwangerschaftsabbrüchen zu begleiten, hat auch persönliche Gründe: »Ich selbst bin eine Frau, die eine Teenager-Schwangerschaft erlebt hat. Ich bin mit 14 Jahren schwanger geworden.« Als sie in dieser Situation war, wusste Rodríguez nicht über ihre Rechte Bescheid. Im Bundesstaat Campeche, der auf der mexikanischen Halbinsel am Golf von Mexiko liegt, ist der Abbruch einer Schwangerschaft aufgrund sexueller Gewalt oder bei gesundheitlichen Risiken legal. Allerdings hat Isabel erst vier Jahre später durch ihre Arbeit bei REDMYH davon erfahren.

In Mexiko wurden Schwangerschaftsabbrüche zum ersten Mal 2007 entkriminalisiert, und zwar in Mexiko-Stadt. Seitdem hat die feministische Bewegung das Gleiche in fünf weiteren Bundesstaaten erreicht. Zuletzt in Baja California an der Grenze zu den USA. Nach massiven Protesten im Land, bei denen das Recht auf Selbstbestimmung und die Rechte von Frauen eingefordert wurden, folgte am 7. September dieses Jahres ein entscheidender Schritt auf rechtlicher Ebene: das einstimmige Urteil des Obersten Gerichtshofs der Nation, welches festlegt, dass es verfassungswidrig ist, einer Frau das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu verweigern. »Das gibt uns endlich die rechtliche Grundlage, um Entscheidungen entgegenzutreten, die auf der Basis persönlicher moralischer oder religiöser Überzeugung getroffen werden. Denn jemandem den Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, ist ein Akt der Folter.«

Obwohl dieses Urteil die strafrechtliche Verfolgung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hatten, unmöglich macht, ist der Kampf für den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen noch nicht gewonnen. Die einzelnen föderal organisierten Staaten müssen jeweils für sich entscheiden, diesen Eingriff zu ermöglichen.

Rodríguez’ anfängliche Fröhlichkeit ist inzwischen einem tiefen Ernst gewichen. Sie stellt klar: Nur wer seine Rechte kennt, kann als Frau autonom über den eigenen Körper und die Zukunft entscheiden. Dafür setzt sich das Netzwerk REDMYH seit ungefähr 15 Jahren ein. Das bedeutet politische Arbeit mit denjenigen, die letztendlich im Kongress entscheiden, aber auch Aufklärungsarbeit und die Ausarbeitung bestimmter Verfahrensweisen für Schwangerschaftsabbrüche, um Frauen fachgerecht betreuen zu können.

In Campeche betreut die Organisation einige Frauen persönlich. Sie übernimmt soweit möglich auch für jene Frauen, die sich den Abbruch nicht selbst leisten können, die Kosten, die zwischen 100 und 400 Euro liegen. Andere erreicht ihre Hilfe über das »Telemedizin«-Projekt, das über Nachrichten und soziale Netzwerke eine digitale Begleitung ermöglicht.

Mit Isabel Rodríguez sind es 15 Frauen, die sich bei REDMYH engagieren. Früher haben immer wieder auch Männer mitgearbeitet und Interesse gezeigt, vor allem an neuer Maskulinität, jenseits von emotionaler Härte und Dominanz. »Wir haben viele gute Erfahrungen mit Männern gemacht, und gerade in jüngeren Generationen besteht immer mehr Interesse daran, feministische Bewegungen zu unterstützen. Das ist auch genau das, wonach wir suchen, wir wollen keine Separation schaffen.«

Deshalb kooperiert REDMYH mit Frauen-Organisationen in Ländern wie Kolumbien und Peru, aber auch innerhalb Mexikos. Die Arbeit ist, vor allem in ländlichen Regionen, immer auch ein Kampf gegen die von der katholischen Kirche dominierte Stigmatisierung. Das betrifft nicht nur Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch die selbstbestimmte Sexualität.

Besonders wichtig, aber auch schwierig ist es, die entsprechenden Informationen im südlichen Teil Mexikos zu verbreiten. Ein Großteil der indigen Bevölkerung spricht vor allem Mayathan. Es gibt dort hohe Fallzahlen von geburtshilflicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen. In Gemeinden wie Calakmul oder Hopelchén bieten Rodríguez und andere Aktivist*innen deshalb Workshops zu sexuellem und reproduktivem Recht auf Mayathan an. Wegen der Sprachbarriere ist es für diese Frauen schwerer, auf die entsprechenden Informationen zuzugreifen. Allgemein ist die sexuelle Aufklärung im Land unzureichend und bezieht oft nur sehr oberflächliche Aspekte wie den groben Aufbau der Genitalien ein. »Die Aufklärungssituation ist beschissen«, wie Rodríguez es formuliert.

Dabei liegt Mexiko laut einem UN-Bericht zum Thema Entscheidungsfreiheit in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit weit über dem internationalen Durchschnitt. Es handelt sich hier also nicht um ein mexikanisches Problem oder ein Problem des Globalen Südens, sondern um ein gesamtgesellschaftliches, das Frauen* überall auf der Welt betrifft.

Angesichts patriarchaler Strukturen und religiös-gesellschaftlicher Tabus, die einen offenen Diskurs über Sexualität sowie sexuelle Aufklärung verhindern, fehlt vielen Menschen das grundlegende Wissen, um ihre sexuelle Gesundheit zu schützen. Die Konsequenzen werden offensichtlich, wenn man die hohen Fallzahlen von Teenager-Schwangerschaften betrachtet. Um dem vorzubeugen, haben Rodríguez und ihre Kolleginnen vor der Pandemie Schulen angeboten, Workshops zu geben und Kondome zu verteilen. Es kam oft vor, dass sie von Schulleitungen und Lehrer*innen rausgeworfen und ihnen die Kondome bereits im Vorfeld abgenommen wurden. »Es gibt hier einen großen Kampf um die sexuelle Aufklärung«, sagt sie.

Auf die Sicherheit der Aktivist*innen wird bei REDMYH sehr viel Wert gelegt. Schließlich wurden laut dem Exekutivsekretariat des Nationalrates für öffentliche Sicherheit allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres 692 Femizide gemeldet, und auch in Mexiko sind bereits Frauen verschwunden, die sich lautstark für ihre Rechte eingesetzt haben. Aus diesem Grund hat REDMYH in der Zeit der Pandemie bestimmte Sicherheitsprotokolle ausgearbeitet, denn: »Wenn wir nicht da sind, wer wird dann kämpfen?«, ergänzt Rodríguez. Ihre persönliche Erfahrung, der sexuelle Missbrauch, den sie erlebt hat, und ihre anschließende Schwangerschaft sind die Motivation dafür, dass sie informieren und aufklären will.

Obwohl sie das Privileg hatte, von ihrer Familie unterstützt zu werden, um ihr Studium weiterzuführen, musste sie als alleinerziehende Mutter sehr jung bereits viel Verantwortung tragen. »Ich bin mit meinem ›Chilpayate‹, wie ich gerne sage - mit meinem Sohn -, allein auf diesem Weg, aber wir hatten wirklich viel Unterstützung. Vor allem meine Abuelita, meine Großmutter, ist die Frau, die mich immer dabei unterstützt hat, weiterzumachen.«

Nachdem Rodríguez anfangs vor allem Lesetreffen betreut und mit Kindern gearbeitet hat, konnte sie mit der Zeit Stück für Stück ihre eigene Stimme finden. »Seit zehn Jahren begleite ich Schwangerschaftsabbrüche, und wenn ich nachrechne, habe ich in den letzten fünf Jahren fast 100 Frauen pro Jahr begleitet. Das bedeutet, dass ich fast mehr als 500 Frauen dabei unterstützt habe, frei über ihren Körper zu entscheiden. Das macht mich sehr zufrieden. Diese Frauen konnten ihre eigenen Entscheidungen treffen: über ihren Körper, über ihr Leben, ihre Zukunft. Sie können selbst entscheiden, wann sie Mutter werden, und die frei gewählte Mutterschaft ausüben, die wir suchen und uns wünschen.«

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