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Filiale dicht wegen Fachkräftemangel
Der Mangel an qualifiziertem Personal bereitet Unternehmen zunehmend Probleme
Feinkost Lindner hat seine Filiale am Mühlenkamp kürzlich geschlossen. Im Schaufenster des Hamburger Traditionsunternehmens ist der Grund zu lesen: Fachkräftemangel. »Dieses Geschäft ist von der angespannten Arbeitsmarktsituation betroffen«, steht dort. »Unsere engagierte Suche nach qualifizierten Mitarbeitern/innen hat leider einen Engpass nicht vermeiden können. Ohne genügend geeignete Fachkräfte können wir mit unserem umfassenden Feinkostangebot nicht angemessen für Sie da sein.« Lindners dünne Personaldecke ist kein Einzelfall, nicht im Einzelhandel, nicht in Hamburg.
Schon im Frühjahr hatte das Ifo-Institut davor gewarnt, dass der Fachkräftemangel zu einer ernsthaften Belastung der deutschen Wirtschaft führen wird. »Der Fachkräftemangel in den Betrieben ist zurück: schneller und in größerem Umfang als von vielen erwartet«, sagte kürzlich der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag ist der Spitzenverband der 79 Industrie- und Handelskammern. »Wir haben bei den Arbeitskräften den Zenit erreicht.« Der Verband hat rund 23.000 Unternehmen befragt.
51 Prozent von ihnen können offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Das sind weit mehr als im Herbst 2020 und auch deutlich mehr als vor der Coronakrise. »Und das, obwohl die Krise und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in vielen Betrieben nicht überstanden sind und der Konjunkturaufschwung schwächelt«, gibt Dercks zu bedenken.
Insgesamt schätzt der DIHK die Zahl der aktuell nicht besetzten Stellen auf 1,7 bis 1,8 Millionen. Das hat Folgen: Fehlen beispielsweise IT-Experten, betrifft dies auch Mittelständler, die sich um eine bessere Cybersicherheit kümmern möchten; fehlen Lkw-Fahrer, können industrielle Produktionsprozesse ins Stocken geraten, weil Vorprodukte nicht rechtzeitig geliefert werden, und fehlen Fachkräfte etwa zur Verlegung von Glasfaserkabeln, verlangsamt sich der Ausbau der Breitband-Infrastruktur.
Für den Fachkräftemangel gibt es verschiedenste Gründe. IG Metall und Verdi beklagen seit Langem geringe Ausbildungsquoten in vielen Betrieben und Branchen. Gewerbe und Industrie verweisen auf mangelnde Qualifikationen von Schulabgängern. Gute Schüler*innen seien dagegen oft auf Traumberufe eingeschworen oder wählten lieber den vermeintlich leichteren und erfolgversprechenderen Weg eines Studiums. Dabei seien beispielsweise in vielen Handwerksberufen die Karrierechancen ausgezeichnet.
Eine immer wichtigere Rolle spielt die Demografie. Deutschland gehört neben Japan zu den »ältesten« Gesellschaften. Und bis 2035 wird die Zahl der Menschen ab 67 Jahre noch um 22 Prozent steigen, erwartet das Statistische Bundesamt. Daher nimmt die Zahl der möglichen Werktätigen ab. Die Gesamtzahl der Erwerbspersonen zwischen 15 und 74 Jahren in Deutschland wird – je nach zugrunde liegenden Annahmen – von 43,6 Millionen im Jahr 2019 mindestens auf 41,5 Millionen und höchstens auf 33,3 Millionen im Jahr 2060 drastisch abnehmen. Einen ähnlichen Schwund an Arbeitskräften erwarten Demografen für fast alle EU-Staaten.
Von der neuen Bundesregierung erwarten die Wirtschaftsverbände in Deutschland, dass sie die berufliche Bildung weiter stärkt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert, damit insbesondere Frauen stärker am Erwerbsleben teilnehmen können. Außerdem setzt man auf Zuwanderung aus dem Ausland.
Auf Werften, in der Altenpflege oder bei Zustelldiensten werden Hunderttausende EU-Bürger beschäftigt. Oft unter schlechten Bedingungen und von dubiosen Subunternehmern angeheuert. Zunehmend werden auch Kräfte außerhalb der EU angeworben. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz – seit März 2020 in Kraft – soll die Zuwanderung von beruflich Qualifizierten erleichtern. DIHK und andere Verbände sehen allerdings an einigen Stellen Nachbesserungsbedarf, um noch mehr auswärtige Arbeitskräfte rekrutieren zu können.
Doch wo die Zuzugsländer, jedenfalls deren Unternehmen, profitieren, leiden Herkunftsländer wie Polen, Bulgarien oder Rumänien längst spürbar an dem Verlust ausgebildeter Fachkräfte. Ein Ende dieses »Brain Drain« ist nicht in Sicht. »In den kommenden Jahren«, so Dercks, »wird es für die Unternehmen ein immer mühsameres Geschäft, sich gegen die Fachkräfteengpässe zu stemmen.«
Zur Energiewende gesellt sich für die Betriebe nun auch die Herausforderung einer Fachkräftewende. Die will auch Feinkost Lindner schaffen. Der Laden im Mühlenkamp soll im kommenden Jahr wieder öffnen.
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