- Kultur
- Frieden
Die unerfüllte Sehnsucht
»Wo sie eine Öde schaffen, sprechen sie von Frieden«, kritisierte Tacitus die Pax Romana von Augustus bis Vespasian
Fred oder Heiwa, Irini, Shalom, Mir, Paix - diese Worte in verschiedenen Sprachen der Welt bedeuten das eine und Wichtigste: Frieden. Ob nun »Ein bisschen Frieden« (Nicole), »Ewiger Frieden« (Immanuel Kant) oder »Weltfrieden« (68er) - es drückt sich hier eine Sehnsucht aus nach einem gewalt- und waffenfreien Zustand.
Die alten Griechen hatten ihre Göttin Eirene, die Gesetz und Ordnung verkörperte und die Macht besaß, Frieden, Reichtum, Wohlstand und Überfluss zu garantieren. Bei den Römern war es die Göttin Pax, die durch Recht und Verträge geordnete Verhältnisse zwischen Menschen, Staaten und Göttern sicherte, wodurch Ackerbau, Handel und Kunst blühen konnten. Doch die Zeiten änderten sich und mit ihnen die Symbole.
Als im ersten Jahrhundert vor Christi Geburt in Rom die Republik als Staatsform am Ende war und mehrere Anwärter aus der reichen Oberschicht um die alleinige Herrschaft stritten, war Chaos angesagt. Nach rund 100 Jahren Bürgerkrieg blieb - nach der Schlacht bei Actium 31v. Chr. - nur noch ein Kandidat übrig: Octavian, Adoptivsohn von Caesar und späterer Kaiser Augustus. Seine Mitbewerber hatte er in mehreren Schlachten besiegt, töten lassen, ins Exil geschickt oder korrumpiert. Der Krieg im Innern war endlich vorbei. Von seinem gescheiterten und gemeuchelten Ziehvater Caesar hatte er gelernt, bei der Sicherung der Macht vorsichtiger vorzugehen. Dazu griff er auf alte republikanische Traditionen zurück - und die Friedensidee wieder auf.
Als sich innenpolitischer Frieden und wirtschaftlicher Aufschwung in Rom abzeichneten, sollte auch Ruhe in den Provinzen und an den Grenzen des Imperiums folgen. Augustus erfand die Pax Romana. Wie der »Römische Frieden« funktionieren sollte, erzählt uns frank und frei der römische Dichter Vergil in seiner »Aeneis«: »Dein sei, Römer, das Amt, als Herrscher die Völker zu zügeln. Dies ist die Kunst, die dir ziemt, die Gesetze des Friedens zu schreiben. Ihm, der gehorcht, zu verzeihen, Hoffärtige (aber) niederzukämpfen!«
Die Pax Romana bedeutete nicht generell Frieden auf Erden. Kriege gegen äußere Feinde (Germanen, Parther) zur Sicherung der Grenzen und »Befriedung« der Provinzen standen nach römischer Auffassung dazu nicht im Widerspruch. Frieden bedeutete lediglich ein Leben ohne Bürgerkrieg. Garant für diese Friedensordnung, und daran sollte es keine Zweifel geben, war der Kaiser. Die Pax Romana wurde zur Pax Augusta, der römische Friede zum Kaiserfrieden.
Augustus gerierte sich als Friedensbringer und Friedensbewahrer. Die Pax Augusta wurde Mittelpunkt einer breit angelegten religiösen und politischen Propaganda. Die berühmte Panzerstatue des Augustus von Primaporta (Foto, heute in den Vatikanischen Museen, Rom) ist ein bildhaftes Beispiel. Im Jahre 20 v. Chr. gelang es Augustus ohne militärische Aktionen, die 33 Jahre zuvor von den Parthern erbeuteten römischen Legionsadler wieder zurückzuholen, ein großer Erfolg im Zeichen seiner Pax. Die Statue zeigt den Kaiser als siegreichen Feldherrn. Als Augustus dann 13 Jahre vor der vermeintlichen Geburt Jesu von einem Feldzug siegreich aus Spanien und Gallien zurückkehrte, beschloss er, der römischen Friedensgöttin einen Altar auf dem Marsfeld zu errichten: die Ara Pacis Augustae. Relieffriese zeigen feierliche Festzüge mit Augustus und der Priesterschaft sowie die Göttin Roma, Personifikation der »Ewigen Stadt«, auf Beutewaffen sitzend.
Augustus hatte 45 Jahre lang mit der Pax Augusta regiert, ein neues Zeitalter eingeleitet und unauffällig das Prinzipat (frühe Kaiserzeit) durchgesetzt. Seinem Adoptivsohn und Nachfolger Tiberius gelang es, diese Herrschaftsform fortzuführen. Doch bald schon sollte sich das ändern. Der kurzen Schreckenszeit unter Kaiser Caligula folgte später die brutale Herrschaft Neros (wobei nach neusten Erkenntnissen die antiken Nachrichten über dessen Exzesse differenzierter bewertet werden). Das Prinzipat jedenfalls war beendet. Die Folge nach der Diktatur Neros, durch Selbstmord beendet, war neuer Bürgerkrieg samt Plünderungen und Verwüstungen in Rom. Die im sogenannten Dreikaiserjahr 68/69 n. Ch. ausgerufenen Herrscher Galba, Otho, Vitellius verloren schon nach wenigen Monaten Thron und Leben. Der nächste Bewerber um das Kaiseramt war Vespasian. Mit seinem Sohn Titus war er noch von Nero in den Osten des Reiches geschickt worden, um die römischen Legionen im Krieg gegen die aufständischen Juden anzuführen. In Alexandria riefen ihn seine Truppen im Juli 69 zum Kaiser aus, der Senat in Rom bestätigte dies noch Ende Dezember des Jahres.
Sohn Titus hatte inzwischen den Krieg in Judäa siegreich beendet. Bei der Eroberung von Jerusalem wurde der Herodianische Tempel in Brand gesetzt und geplündert, ein bis dahin reges, stark frequentiertes Wirtschaftszentrum, Bank und Schatzhaus zugleich. Die mit Silbermünzen von allen männlichen Juden gezahlte Tempelsteuer - bekanntlich von Jesus gegeißelt -, Weihgaben aus dem gesamten Mittelmeerraum sowie goldene und silberne Kultgeräte waren hier aufbewahrt und wurden nun von den siegreichen römischen Legionären nach Rom verschleppt: »Ungeheure Summen Geld, große Mengen Kleider und andere Kostbarkeiten, kurz, die gesamten Schätze der Judäer«, wie Flavius Josephus in seiner Geschichte des Jüdischen Krieges berichtet.
Doch die Römer sehnten sich nach all den Kriegen nach endlich normalen, geordneten Verhältnissen. Ein friedlicher Neuanfang musste gewagt werden. Um sich von Nero abzugrenzen, kehrte Vespasian zu einigen Prinzipien der Augusteischer Politik zurück. Der Krieg im Osten war entschieden, die Grenzen gesichert, die Legionen neu geordnet. Er konnte seinen römischen Untertanen ergo Frieden schenken.
Im Juni 71 feierten Vespasian und Titus gemeinsam den Triumph über Judäa. »Denn diesen Tag feierte die ganze Stadt Rom als Dankfest für den siegreichen Feldzug als das Ende der inneren Wirren und als den Anfang einer, wie man hoffte, glücklichen Zukunft«, schreibt Flavius Josephus. Im Triumphzug wurde die Kriegsbeute aus Jerusalem präsentiert. »Beutestücke wurden in Mengen vorbeigetragen: ein goldener Tisch im Gewicht von mehreren Talenten und ein gleichfalls goldener Leuchter … Das Gesetzbuch der Judäer wurde als letztes Beutestück zur Schau getragen.« Gemeint sind der goldene Schaubrottisch, die goldene Menora (siebenarmiger Leuchter) und die Tora-Rolle. Diese kostbaren, im Triumphzug mitgetragenen jüdischen Ritualgegenstände sind auf den Reliefplatten des Titusbogens in Rom noch heute zu sehen.
Die Pax Romana war höchst ambivalent. Sie wurde nicht von allen Zeitgenossen als Glück und Segen gepriesen. Der römische Historiker Tacitus berichtet, wie Calgacus, Heerführer der Kaledonier im heutigen Schottland, 83 n. Chr. seine Krieger in die Schlacht gegen die Römer führte. »Plündern, Niedermetzeln, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie eine Öde schaffen, sprechen sie von Frieden«, kritisierte Tacitus in seiner » Agricola«. Dessen ungeachtet erlebte der Friedenskult unter Vespasian eine bis dahin nicht gekannte Dimension, von propagandistischem Trommelwirbel begleitet. Einher gingen damit umfangreiche öffentliche Investitionen, die einen Wirtschaftsaufschwung bewirkten, unter anderem mittels eines ehrgeizigen Bauprogramms, das die Errichtung eines riesigen Amphitheaters, das spätere Kolosseum, einschloss. Und mehr noch: »Nach dem Triumph und der völligen Befriedung des Reiches beschloss Vespasian, der Friedensgöttin einen Tempel zu bauen«, notiert Flavius Josephus. Vier Jahre nach Baubeginn wurde die Anlage 75 n. Chr. eingeweiht. Der jüdische Geschichtsschreiber erwähnt, dass Vespasian hierfür ungeheure private Mittel fließen ließ. Es dürfte sich dabei auch um enorme Geldsummen aus dem geraubten Tempelschatz der Juden gehandelt haben.
Das Forum Vespasian (Friedensforum) war ein großer rechteckiger Platz, etwa 135 mal 100 Meter, der von einer hohen, mit Marmorplatten verkleideten Tuffsteinmauer eingeschlossen war. Innen konnte man durch Säulenhallen wandeln. An der östlichen Seite befand sich der Tempel der Friedensgöttin. An der gewölbten Rückwand (Apsis) des Tempels stand auf einem Sockel die Kultstatue der Pax, vor dem Tempel ein Altar. An der Südseite gab es einen rechteckigen Anbau, zu Vespasians Zeiten als Bibliothek genutzt. Die Innenfläche des Friedensforums war als Garten gestaltet - mit Brunnen, Wasserbecken, Beeten und Podesten. Vespasian »schmückte ihn auch mit uralten Meisterwerken der Malerei und Bildhauerkunst. In diesem Heiligtum sollte alles gesammelt und niedergelegt werden, zu dessen Besichtigung im Einzelnen man sonst die ganze Welt hätte durchreisen müssen«, kommentiert Flavius Josephus. Pausanias erwähnt noch die Statue eines Olympiasiegers, die aus Argos in das Heiligtum der Friedensgöttin verschleppt wordensei. »Es war das reichste aller Heiligtümer, mit goldenen und silbernen Weihgeschenken reich ausgestattet«, weiß wiederum Herodian, ein vermutlich aus Syrien stammender Historiker, zu berichten.
Schon vor Vespasian hatten die Römer massenhaft Kunstwerke in Griechenland geraubt und nach Rom geschafft. Nero tat sich hierbei besonders hervor. Er ließ die Raubkunst in der Domus Aurea, seinem privaten Palast, aufstellen, während Vespasian viele griechische Kunstwerke für alle zugänglich auf seinem Forum präsentierte. »Hierher ließ er auch die goldenen Gefäße aus dem Tempel von Jerusalem bringen, die für ihn besonders wertvoll waren«, so Flavius Josephus. Auch die Menora aus dem geplünderten jüdischen Gotteshaus war auf dem Forum von Vespasian ausgestellt - der letzte sichere Hinweis auf deren Verbleib, danach verliert sich die Spur der Menora. Ob die Zeitgenossen pikiert waren, dass der Kaiser ausgerechnet unter den Augen der Friedensgöttin Kriegstrophäen darbot, sei dahingestellt - ist aber eher zu bezweifeln.
Dann kam die Katastrophe. Im Jahr 191 wurde »der ganze Friedenstempel, das größte und schönste aller Bauwerke der Stadt, ein Raub der Flammen«, schreibt Herodian in seiner »Geschichte des Kaisertums nach Marc Aurel«. Kaiser Septimius Severus baute die Anlage wieder auf, die in den folgenden Jahrhunderten nun ebenfalls als eines der schönsten Bauwerke Roms galt. Wann und wie Tempel und Forum für immer verschwanden, ist ungewiss. 1562 kamen zerbrochene Marmorplatten ans Tageslicht, die für das Verständnis des Friedenstempels und der kaiserlichen Politik von großer Bedeutung werden sollten. Man fand sie auf der Fläche des einst als Bibliothek dienenden Südanbaus des Tempels. Die Zahl der entdeckten Fragmente stieg in der Folgezeit stark an. Sie gelangten zunächst in den Besitz des Papstes, dann in die Hände von Archäologen, die mittels der Bruchstücke allmählich einen monumentalen Plan des antiken Roms zusammenstellten, die Forma Urbis Romae. Auf dieser Karte sind die Grundrisse aller bekannten öffentlichen und privaten Gebäude, Tempel und Thermen, Häuser, Brunnen und Treppen verzeichnet. Beim Betrachten der zeichnerischen Rekonstruktion kann man nachempfinden, wie die seinerzeitigen Besucher von Vespasians Friedensforum beeindruckt waren.
Doch zurück zur Pax Romana, auf die sich Ende des 20. Jahrhunderts, da die USA unilaterale Supermacht waren, das oft zitierte Wort von der Pax Americana bezog. Das frühe Prinzipat und die ersten Kaiser brachten Rom und weiten Teilen des Reiches tatsächlich für zwei Jahrhunderte Stabilität, Sicherheit, inneren Frieden. Wirtschaft und Kultur blühten. Neben dem Kaiserkult wurde intensiv dem Friedenskult gefrönt, von dem freilich Sklaven und Oppositionelle in den unterworfenen Gebieten wenig hatten. Demagogie schwang mit, als die anfänglich eher bescheiden geehrte Göttin Pax zu einer öffentlichen Staatsgöttin avancierte.
Ob Altar, Forum oder Tempel, ob griechische Raubkunst oder jüdische Kriegsbeute, ob Statue, Relief oder Stadtplan -- als wichtige Zeugnisse kaiserlicher Propaganda sollten sie im Zeichen der Friedensgöttin von einer glanzvollen römischen Welt künden, mit dem Kaiser an der Spitze und seinen Legionen als Sicherung der Ordnung. Erst gewaltsame Befriedung, dann deklarierter Frieden - das war die Pax Romana.
Bis heute sind 1186 Marmorfragmente des Friedensforums in Rom geborgen, nach Expertenmeinung gerade mal 10 bis 15 Prozent der gesamten Anlage. Seit 1999 digitalisieren Archäologen und Computerspezialisten der Stanford University in Kalifornien (formaurbis.stanford.edu) alle Bruchstücke. Mögen die antiken Zeugnisse helfen, das Bewusstsein für das kostbarste Gut auch heute - den Frieden - zu stärken.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.