- Politik
- Wolfsverordnung
Streit um Wolfsschutz
Nabu sieht in Niedersachsens Regularien Verstoß gegen EU-Recht und will klagen
Lebt »Roddy« noch? Gegen diesen von Tierfreunden nach seinem Revier so benannten Wolf aus dem Rodewalder Rudel in der Nähe von Nienburg/Weser hatte der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) schon vor fast zwei Jahren eine Ausnahmegenehmigung zum Abschuss erteilt. Immerhin waren dem Graurock gut 40 Nutztierrisse zur Last gelegt worden. Doch »Roddy« entkam und entkommt seinen Häschern offenbar nach wie vor. Sagte doch eine Sprecherin des Ministeriums dem »nd«: »Wir haben keine Kenntnis darüber, dass der Rüde GW717m tot ist.« So heißt »Roddy« amtlich. Dass auf ihn und seine Artgenossen überhaupt angelegt werden darf, besagt die im November 2020 in Kraft getretene Wolfsverordnung des Landes.
Gegen die hat jetzt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg Klage erhoben, einen sogenannten Normenkontrollantrag gestellt. Ihm zufolge prüft das Gericht, ob der Wolfsverordnung höheres Recht, solches des Bundes oder der Europäischen Union, entgegensteht. Den hohen Schutzstatus der Tiere dokumentieren die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU und das Bundesnaturschutzgesetz. Finanziell unterstützt wird der Nabu bei der Klage durch den Freundeskreis frei lebender Wölfe und dem World Wide Fund for Nature.
Nach Ansicht dieser Verbände ist die Wolfspolitik der schwarz-roten Landesregierung gescheitert, da sie den Schwerpunkt auf Abschüsse lege. Die aber würden Nutztierrisse nur dann verhindern, wenn der Wolf ausgerottet werde, der seit 2006 wieder in Niedersachsen lebt. Inzwischen seien dort nach einer Zählung aus April 36 Wolfsrudel und zwei Wolfspaare heimisch. Der feste Bestand betrage rund 80 ausgewachsene Tiere, zähle man Jungtiere dazu, seien es höchstens 300 Wölfe im zweitgrößten Bundesland, weiß der Nabu. Dessen Landesvorsitzender Holger Buschmann kritisiert unter anderem, dass Niedersachsens Verordnung bereits das Verfolgen, das Töten solcher Wölfe erlaubt, die sich »von Menschen genutzten Strukturen« nähern, also auch unbewohnten Scheunen in freier Gegend. »Das ist völlig absurd, da sich Wölfe frei in der Landschaft bewegen, den Menschen zwar grundsätzlich meiden, aber seine Gebäude nicht«, so Buschmann. Er plädiert für konsequente Herdenschutzmaßnahmen. Sie seien die einzige Möglichkeit, mit dem Wolf konfliktfrei zusammenleben zu können. Dort, wo die Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, gingen die Nutztierrisse nachweislich zurück. Beispielsweise im Land Brandenburg, das eine höhere Anzahl an Wölfen habe als Niedersachsen.
Der Landvolk-Verband dort kommentiert die Klage der Naturschützer durch seinen Vizepräsidenten Jörn Ehlers. Er meint, dass die Darstellung der Verbände zur Situation in Niedersachsen unzutreffend sei. »Der Nabu verharmlost die Lage«, bekräftigt Ehlers, der auch Sprecher des Aktionsbündnisses Aktives Wolfsmanagement ist. »Die betroffenen Weidehalter gehen davon aus, dass auch das OVG Lüneburg unsere Einschätzung teilen wird, dass Maßnahmen gegen die ungehinderte Vermehrung der Wolfspopulation zulässig sind«, so der Landvolk-Vize.
Das OVG erwartet nun eine Stellungnahme des Landes zum Normenkontrollantrag. Das Umweltministerium wird, so ist zu erwarten, seine Verordnung verteidigen. Ressortchef Lies hatte schon bei Veröffentlichung der Wolfsverordnung erklärt: Ihr Kern sei die Regelung der in Niedersachsen zumutbaren Herdenschutzmaßnahmen. Wenn diese aber nicht ausreichten, zähle zum »Management beim Wolf« am Ende auch die Entnahme, im Klartext: Der Abschuss des Graurocks. Ziel sei es, sowohl dem Artenschutz, also dem Wolf, als auch den Weidetierhaltern gerecht zu werden, bekräftigt der Minister.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.