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Sie wussten genau, was sie taten

Der Immobilieninvestor und ehemalige Verleger Bernd F. Lunkewitz über Revolution und Kapitalismus, die Treuhandanstalt und seine wiederholten Käufe des Aufbau-Verlags

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 14 Min.
Bernd F. Lunkewitz – Sie wussten genau, was sie taten

Herr Lunkewitz, bevor sie Immobilieninvestor und Verleger wurden, galten sie als »Che von Kassel«. Verstehen Sie sich noch als links?

Bernd F. Lunkewitz
Bernd F. Lunkewitz, Jahrgang 1947, hatte an der Studentenbewegung der 60er Jahre teilgenommen und verdiente seit den 70er Jahren im kapitalistischen Immobiliengeschäft viel Geld. Wie viel er davon nach der Wiedervereinigung mit dem Kauf des Aufbau-Verlages verloren hat, dessen Verleger er bis 2008 war und den es ohne ihn heute nicht mehr geben würde, darüber schreibt er in seinem aktuellen Buch »Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt« (Europa-Verlag, 383 Seiten, 14 Euro). Lunkewitz lebt heute in Kalifornien. Das Interview wurde per Videokonferenz geführt.

Links ist eine Himmelsrichtung und hängt vom Glauben ab. 1968 glaubte ich als junger Mann, dass die Revolution in Russland und China den Sozialismus herbeiführt. Erst Anfang der siebziger Jahre begriff ich, dass sie dort stattdessen die bürgerliche Revolution zum Kapitalismus nachholen. Bekanntlich kommt der ja vor dem Sozialismus, nicht nachher. Die Sowjetunion war deshalb eher dem absolutistischen Feudalismus ähnlich, in dem Landwirtschaft und Rohstoffe wichtiger waren als Technik. Daran gemessen war die DDR fortschrittlich und wurde von vielen Russen beneidet, wie erst recht die kapitalistische BRD im Westen. Ich habe mich damals entschieden, im Kapitalismus lieber Ritter als Knecht zu sein, also Kapitalist zu werden, aber nie die Hoffnung verloren.

Welche Hoffnung?

Dass die Menschheit möglichst bald ihre größten Probleme durch die Verwirklichung des Sozialismus löst.

Viele Ihrer früheren Genossen sind in den Siebzigern zu den Grünen gegangen.

Ich habe Joschka Fischer schon damals gesagt: Die Grünen unterscheiden sich von der FDP darin, dass sie den Kapitalismus nachhaltig wollen. Deshalb fordern sie den Schutz der Umwelt, des Friedens und der Bürgerrechte. Das finde ich gut, finde ich wichtig. Aber ich sage voraus, dass die Menschheit entweder den Sozialismus oder den Untergang erleben wird.

Was ist Sozialismus?

Eine Gesellschaftsordnung, deren Produktionsmittel nicht mehr dem privaten Profit, sondern dem allgemeinen Interesse dienen. Was man »Kapital« nennt, ist ja nicht Geld allein, sondern ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem sehr wenige über die Produktionsmittel verfügen und die sehr vielen nur vom Verkauf ihrer Arbeitskraft an diese Kapitalisten leben können. Lenin und Mao haben dieses gesellschaftliche Verhältnis lediglich verstaatlicht und dann mit rabiaten Mitteln versucht, durch den eisernen Willen der Partei die Produktionsverhältnisse erst herbeizuführen, die aber paradoxerweise die Voraussetzung dieser Revolution sein sollen.

Und Trotzki?

Ach, Trotzki, von wegen permanente Revolution - die gibt’s tatsächlich! Nur eben angeführt von Amazon, Microsoft und Leuten wie Elon Musk. Das wird an der Börse finanziert und das ist auch gut so. Denn es ist ja die Aufgabe des Kapitalismus, weltweit die Produktivkräfte zu entwickeln und der Menschheit ein globales Wirtschaftssystem zu verpassen in dem Wohlstand für alle möglich ist. Bevor das nicht vollendet ist, geht da sowieso nix mit Sozialismus.

Und wann soll das sein?

Marx nennt kein Datum, beschreibt aber die gesellschaftlichen Voraussetzungen, also die weltweite Entwicklung und Konzentration der Produktionsmittel in wenigen Händen. Das hat er vor 170 Jahren zu Papier gebracht, als es die heutigen supranationalen Konzerne noch gar nicht gab. Wenn man bedenkt, dass in den oberitalienischen Stadtstaaten im 13. Jahrhundert die ersten kapitalistischen Strukturen entstanden, sind ja immerhin schon achthundert Jahre vergangen, aber für die Entwicklung einer neuen Gesellschaftsordnung nach der Sklaverei und dem Feudalismus, die Jahrtausende gedauert haben, ist das eine relativ kurze Zeit.

Was heißt das für den Sozialismus?

Es wird noch dauern. Aber ich hoffe: Der Sozialismus siegt! Es gibt schon jetzt eine hohe Konzentration des Reichtums in extrem wenigen Händen. Unternehmen wie Amazon sind schon fast Monopole, wie es der im Vergleich dazu winzige Volksbuchhandel in der DDR war. Die hundert größten Konzerne zu sozialisieren, ist viel leichter als hunderttausend mittelständische Betriebe. Sehr simpel gesagt müssen die Menschen nur warten, bis alles am Kapitalismus Nützliche für die Gemeinschaft erreicht ist. Bis dahin müssen sie für sozialen Ausgleich, Frieden und Freiheit kämpfen. Am Ende werden ein paar Genossen, ganz oben bei Amazon eingesetzt, und die Sache ist erledigt. (lacht)

»Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist« heißt ein Roman, den Sie vor vielen Jahren verlegt haben. Spricht Ihnen der Autor, Selim Özdoğan, mit dem Titel aus dem Herzen?

Der typische Leser dieses in der neunten Auflage lieferbaren Buches ist deutlich jünger als ich es schon damals war. Der Roman ist eine »Coming-of-Age-Story«, die für Leute unter oder um zwanzig attraktiv ist, denn es geht um jugendliche Liebesgeschichten und deren Scheitern, aber nicht um das Scheitern des Sozialismus. Ich habe den Titel verlegt, weil ich damals das Programm des Verlages dringend um jüngere Autoren aus »dem Westen« und auch mit Migrationshintergrund, aber besonders für jüngere Leser öffnen wollte. Noch wichtiger war die Erweiterung des Programms durch Autoren aus der amerikanischen Literatur, die ja in Deutschland einen extrem hohen Marktanteil hat. Aus dem Grund hatte ich schon vorher den kanadischen Autor Douglas Coupland mit dem Bestseller »Generation X« in das Programm aufgenommen und dann mit dem Buch »Die Päpstin« von Donna Cross, den Aufbau-Taschenbuchverlag saniert. Das sprach mir aus dem Herzen: Von dem Band haben wir mehr als sechs Millionen Exemplare verkauft.

Was war Ihr wichtigstes Buch?

Die Tagebücher von Victor Klemperer. Das Jahrhundertwerk »Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten« ist ebenfalls ein sensationeller Bestseller, aber vor allem ein bleibendes Zeugnis für die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Die Editionsarbeit an den von Klemperer geheim und unter Lebensgefahr geschriebenen Texten hatte der Aufbau-Verlag schon in der DDR begonnen. Als ich das Typoskript zum Jahr 1942 gelesen hatte, wusste ich, dass dieses Buch ein Meilenstein in der Geschichte des Aufbau-Verlages sein wird.

In Ihrem eigenen Buch schreiben Sie, dass Ihnen die Treuhandanstalt 1991 den Aufbau-Verlag verkauft hat, ohne dass sie Eigentümerin war.

Nein, das habe ich so nicht geschrieben. Meine Argumente sind juristisch genauer, aber für Nicht-Juristen auch etwas komplizierter. Die Treuhandanstalt hat tatsächlich nicht den »Aufbau-Verlag« verkauft, sondern nur die angeblichen Geschäftsanteile an einer angeblichen »Aufbau-Verlag GmbH im Aufbau«, die aber nicht existierte und die auch nicht mehr entstehen konnte. Die Treuhandanstalt war ja nur für die Privatisierung der ehemals volkseigenen, sprich: staatseigenen Betriebe zuständig. Die Betriebe der Parteien und Organisation der DDR gehörten aber nicht dem Staat. Deshalb konnten sie durch das Treuhandgesetz nicht in vorläufige (»im Aufbau«) befindliche Kapitalgesellschaften umgewandelt werden.

Und der Aufbau-Verlag?

Der war nie volkseigen oder gar Eigentum der SED. Stattdessen war er das - auch von der SED - anerkannte gemeinschaftliche Eigentum der Mitglieder des Kulturbunds. Nicht nur in meinem Buch, sondern noch detaillierterweise ich das in den Gerichtsverfahren gegen die Treuhandanstalt nach. Die Bundesregierung behauptet nur noch dort, dass der Aufbau-Verlag Eigentum der Treuhandanstalt geworden sei und bisher tun die Gerichte so, als würden sie das glauben, um den Staat vor berechtigten Ansprüchen zu schützen. Die Obrigkeit kann sich ja die Richter aussuchen. Sie findet auch einen, der zur Rechtsbeugung bereit ist. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Treuhandanstalt und dem Urteil des Landgerichts Berlin hat jetzt das BADV, das Bundesamt zur Klärung von offenen Vermögensfragen, einen seit 1990 unbearbeiteten Antrag des Kulturbunds auf Restitution des Aufbau-Verlages, zurückgewiesen, weil der seit dem Erwerb der Geschäftsanteile an der Aufbau-Verlag GmbH durch den Kulturbund im Jahre 1946 fortlaufend dessen Eigentum geblieben war, bis er den Aufbau-Verlag im Jahre 1995 an mich persönlich verkauft und übertragen hat.

Seit vielen Jahren klagen Sie gegen die Treuhandanstalt. Warum?

Einige kriminelle Mitarbeiter dieser seit 1995 in BvS umbenannten Behörde, darunter der Vorstand Klintz, der Direktor Sinnecker und der Abteilungsleiter Molinari, haben mich gezielt belogen und betrogen. Sie wussten vor dem Verkauf, dass der Verlag dem Kulturbund gehört und hätten wissen müssen, dass aus dem nicht vorhandenen Vermögen eines nicht existierenden VEB keine Kapitalgesellschaft entstehen kann. Die mir von der Treuhand verkaufte angebliche »Aufbau-Verlag GmbH i. A.« war deshalb eine nicht existierende Scheingesellschaft. Was nicht existiert, das kann man logischerweise auch nicht »übertragen«. Die Erfüllung des Kaufvertrages ist daher von Anfang an objektiv unmöglich und der Vertrag ist deshalb nichtig. Weil die Treuhandanstalt dies wusste oder wissen musste, schuldet sie mir den Ersatz des vergeblichen Aufwands. Ich will also von der Treuhandanstalt nur mein Geld zurückhaben. Den Aufbau-Verlag habe ich ja erst Ende 1995 vom Kulturbund gekauft.

Die Vorgänge um den Verkauf des Aufbau-Verlages berühren auch die frühe PDS-Geschichte …

In der Umbruchszeit geriet der Verlag in Gefahr, weil er, wie gesagt, dem Kulturbund gehörte. Dessen Präsident und Präsidialrat traten zurück. Die hohen staatlichen Subventionen gab es nicht mehr. Der Organisation drohte der Untergang. Deshalb hatte der damalige Verlagsleiter Elmar Faber schon am ersten Arbeitstag nach der Wende erklärt, dass die Verlage aufhören müssen, »Geldspender für Parteien und Massenorganisationen zu sein«. Dann hat er mit Klaus Höpcke, dem langjährigen stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der »Hauptverwaltung Verlage«, die vorgetäuschte Übergabe in Volkseigentum verabredet, die aber erst im Frühjahr 1990 stattfand. Der Verlag erhielt fast zehn Millionen aus Geldern der SED, wurde als Volkseigentum deklariert und sollte staatlich finanziert werden. Später gab sogar die Treuhandanstalt der nicht existierenden GmbH i. A. mehr als acht Millionen Kredit. Klaus Höpcke hat im Jahr 2018 die damaligen Umstände ausführlich in einer eidesstattlichen Versicherung geschildert. Die inhaltlich gleiche Erklärung hatte Dietmar Bartsch aber schon 1995 abgegeben. Alle diese Angaben hat die Justiz gezielt ignoriert. Vor deutschen Gerichten hat die Linke keine Rechte.

Ihr neuer Buchttitel klingt da weniger versöhnlich. Von einer »kriminelle(n) Vereinigung in der SED« ist dort die Rede.

Die SED hat beim Kauf von Lizenzen aus westlichen Verlagen seit Mitte der 60er Jahre vom Aufbau-Verlag verlangt, mehr Bücher zu drucken als vereinbart wurde. Übrigens auch von Volk & Welt und anderen. Man druckte heimlich jeweils 10 000 oder 20 000 Exemplare mehr als »Plusauflage«, wie das intern genannt wurde. Die Lizenzgebühren daraus strich die Zentralkasse des ZK der SED ein. Pro Jahr war das etwa eine Million Mark der DDR. So etwas nennt man Betrug.

Eigentlich war das nett von der SED, jedenfalls gegenüber den Menschen in der DDR?

Das waren Raubdrucke. Man hätte auch den Ladenpreis senken und für die gleichen Lizenzgebühren mehr Bücher verbreiten können, dann wäre es legal gewesen. Es ging also nicht um Bücher, sondern um Geld. Darüber können wir noch lange diskutieren, aber Tatsache ist: Es war kriminell, auch in der DDR.

Wie kam das raus?

Die Kripo hatte die Beweise dafür zufällig bei Ermittlungen zum Altvermögen der Partei im Büro von Dietmar Bartsch gefunden. Er war damals Schatzmeister der PDS und deshalb intern von den längst beendeten Raubdrucken informiert worden. Danach haben sich aber die genannten Mitarbeiter der Treuhandanstalt kriminell verhalten, weil sie mir die Plusauflagen beim Abschluss des Kaufvertrages verheimlicht haben. Ich erfuhr davon erst, nachdem ich den Verlag gekauft hatte und die Kripo dort an meinem ersten Tag als Verleger die Lizenzakten beschlagnahmte. Die Treuhandanstalt tat so, als wäre auch sie von den staatsanwaltlichen Ermittlungen überrascht worden und lehnte jede Haftung für etwaige Schäden ab. Ich konnte leider damals noch nicht beweisen, dass sie schon vor Vertragsabschluss von den Plusauflagen informiert war, und kannte auch noch nicht die Höhe des Schadens.

Was hat die Treuhand dazu gesagt?

Im Februar 1992 haben wir im Verlag die Ansprüche der westlichen Verlage und Autoren mit 8,2 Millionen DM festgestellt. Daraufhin habe ich die Treuhandanstalt angerufen, Herrn Molinari, und ihm gesagt: »Wir haben ein Problem.« - Daraufhin er: »Nein. Wir haben kein Problem. Sie haben ein Problem. Die Treuhandanstalt verkauft Chancen und Risiken, und Sie haben ein Risiko gekauft. Machen Sie den Laden zu.« Das wäre denen am liebsten gewesen, dann wäre alles andere nie hochgekommen. Weil ich keine Beweise hatte, habe ich mich dann auf Kompromisse mit den Betrügern eingelassen.

Betrogen wurden auch andere …

Ja, der Kulturbund. Allein die Grundstücke des Verlages waren damals mehr als 35 Millionen DM wert. Die Treuhand hat sie von ihrer angeblichen Aufbau-Verlag GmbH i. A. für nur 8,2 Millionen DM gekauft und den Preis mit ihren Darlehen an diese nicht existierende Gesellschaft verrechnet. Das Vermögen des Kulturbunds am Aufbau-Verlag war fast 40 Millionen DM wert. Bei 260 000 Mitgliedern macht das über 150 Mark pro Nase. Das war mehr als das Begrüßungsgeld. Eben dieses Vermögen hat die Treuhandanstalt den kulturinteressierten Mitgliedern des Kulturbunds wegegenommen. Mit diesem Betrug an 260 000 Bürgern der DDR fing die deutsche Wiedervereinigung an.

Wie oft haben Sie den Verlag jetzt eigentlich gekauft?

Drei Mal von der Treuhand, drei Mal vom Kulturbund. Erworben habe ich den Verlag aber nur durch den Vertrag mit dem Kulturbund im Dezember 1995.

In Ihrem Buch und bei jeder sich bietenden Gelegenheit bezeichnen Sie mehrere Mitarbeiter der Treuhandanstalt als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Gab es Reaktionen darauf?

Nein. Keine Resonanz. Diese Gauner wissen, dass ich jederzeit den Wahrheitsbeweis für meine Behauptungen antreten kann. Schon 1998 hatte ich etwas Ähnliches in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gesagt. Daraufhin gab es eine Strafanzeige von der Treuhandanstalt beim Landgericht Düsseldorf. Der Dienstherr muss doch seine Mitarbeiter vor Beleidigungen schützen. Das Verfahren wurde eröffnet, aber ich habe von meinen Anwälten - einer hieß übrigens Otto Schily - erklären lassen, dass ich den Wahrheitsbeweis erbringen werde und die Unterlagen vorgelegt.

Und dann?

Daraufhin wollten die Richter das Verfahren einstellen, was ich abgelehnt habe. Schließlich wurde die Strafanzeige zurückgezogen. Seitdem sage ich über die Treuhandanstalt, was ich für richtig halte. Wenn es vor einem Strafgericht um die Wahrheitsfindung geht, kann ich auch noch auf weitere Beweise hindeuten. Der erste Satz in meinem Buch lautet: »Viele Akten der Treuhandanstalt sind noch geheim. Irgendwann werden sie allgemein zugänglich sein und belegen, dass alles noch viel schlimmer war.«

Das Landgericht Berlin hat im Herbst aber Ihre Klage gegen die Treuhandanstalt abgewiesen.

Die Richter bei den Zivilgerichten müssen im Prozess die Wahrheit nicht selber ermitteln. Sie bewerten nur die von den Parteien jeweils vorgetragenen Tatsachen und beweiskräftigen Dokumente. Da gibt es viele Möglichkeiten, ungünstigen Tatsachenvortrag zu übergehen oder mal die Behauptung einer Partei angeblich zu »glauben«. Bei einem Streit zwischen privaten Parteien kommt Rechtsbeugung selten vor, da ist man gern »unabhängig«. Aber wenn der Staat von einem einzelnen Bürger verklagt wird, verteidigen manche Richter gezielt die fiskalischen und politischen Interessen der Obrigkeit. Den Bürger sehen sie nie wieder, aber mit der Obrigkeit haben sie jeden Tag zu tun. Das erklärt die Befangenheit einiger Richter und die Tatsache, dass in der Bundesrepublik noch nie ein privater Kläger gegen den Staat einen zweistelligen Millionenbetrag als Schadensersatz erhalten hat. Die deutsche Verwaltung macht halt keine Fehler und hat dafür gesorgt, dass die Treuhandanstalt wegen der Privatisierungen nur nach dem Zivilrecht verklagt werden kann. Ich selber habe nach der Wiedervereinigung den Fehler gemacht, der Treuhandanstalt zu vertrauen. Als ich den Fehler erkannte, machte ich noch einen größeren Fehler: Ich vertraute auf die Unabhängigkeit der Justiz.

Was bedeutet das für den Rechtsstaat?

Der Rechtsstaat im Kapitalismus beruht auf der privaten Eigentumsordnung. Das Urteil des Landrichters Dominik Reith ist deren Bankrotterklärung. Er hat die Klage abgewiesen, weil ich angeblich nicht »zweifelsfrei« beweisen konnte, dass der Kulturbund sein unstreitig rechtmäßig erworbenes und allgemein anerkanntes Eigentum am Aufbau-Verlag nicht an die SED oder das Volkseigentum übertragen hat. Die beklagte Treuhandanstalt musste ihren nur behaupteten Eigentumserwerb nicht und schon gar nicht »zweifelsfrei« beweisen. Nach diesem Urteil könnte zum Beispiel jedermann ungestraft urheberrechtlich geschützte Werke nutzen, weil die Rechteinhaber ja »zweifelsfrei« nachweisen müssten, dass sie die Verwertungsrechte daran nicht übertragen haben. So etwas wie »Plusauflagen« gäbe es danach gar nicht, denn die damals geschädigten Verlage müssten ja beweisen, dass sie den zusätzlichen Auflagen nicht zugestimmt haben.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt der Grundsatz, dass jede Partei die Umstände darzulegen und zu beweisen hat, aus denen sich die für sie positive Rechtsfolge ergibt. Der Kulturbund hat sein Eigentum am Aufbau-Verlag mit notariellen Urkunden bewiesen. Die Treuhandanstalt hat den angeblichen »Übertragungsakt« dieses Eigentums an die SED oder in Volkseigentum oder an die Treuhandanstalt nur behauptet, aber nicht bewiesen, weil er nie erfolgt ist.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Landrichter Dominik Reith hatte merkwürdigerweise bei der Urteilsverkündung gesagt, »der Fall hat sehr viel Potential« und mir die Berufung fast angeraten. Mein Vertrauen in die Berliner Justiz ist zwar auf einem Tiefpunkt und der »entscheidende« Einfluss der Exekutive des Bundes auf solche Prozesse ist mir gut bekannt, aber trotzdem habe ich Berufung zum Kammergericht eingelegt. Wegen eines rechtswidrig beendeten Amtsermittlungsverfahrens zur Eintragung des Verlages im Handelsregister läuft zwar gegen einen Senat noch eine Verfassungsbeschwerde, aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass es in Deutschland Richter gibt, die sich auch bei einer Klage gegen den Staat an Gesetz und Recht halten.

Warum sind Sie 2015 nach Los Angeles gezogen?

Ich habe schon seit 30 Jahren einen Wohnsitz in Los Angeles. In der Nazizeit war dieser Ort das Exil für viele Autoren, zum Beispiel Lion Feuchtwanger, Thomas und Heinrich Mann oder Bertolt Brecht, deren Bücher später der Aufbau-Verlag veröffentlicht hat. Ich fühle mich wohl in dieser Umgebung. Ich weiß, dass es auf der Welt sehr viel größere Ungerechtigkeiten gibt als das Verhalten der deutschen Justiz in dem Streit um den Aufbau-Verlag. In Russland oder Saudi-Arabien hätte ich diese Prozesse nicht geführt, denn ich wäre irgendwann aus dem Fester gefallen oder durch den Fleischwolf gedreht worden. Die Urteile zum Aufbau-Verlag sind dagegen nur Rechtsbeugung. Aber auch das verachte ich. In der Bibel steht im 7. Kapitel Matthäus »wie ihr über andere urteilt, werdet auch ihr einst beurteilt, und das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, wird auch an euch angelegt werden«.

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