Instabile Lage in Sachsen-Anhalt

Jahresrückblick: AfD bleibt im Magdeburger Landtag stark und die CDU in ihrer Haltung zur Rechten unklar

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Reiner Haseloff wirkte müde, als er am späten Mittag des 7. Juni im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin der Presse gegenüberstand. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, seit 2011 im Amt, hatte eine kurze Nacht hinter sich. Am Tag zuvor hatte er mit seiner CDU bei der Landtagswahl abgeräumt: 37,1 Prozent. Mit Party-Klassikern wie »Samba de Janeiro« war Haseloff auf der Wahlparty in Magdeburg gefeiert worden, nun sollte er in der Hauptstadt seinen Triumph erklären.

Doch zunächst einmal erklärte er sich selbst: »Es ist eine große Freude, die man vielleicht meinem Gesicht nicht so leicht entnehmen kann, weil ich nur drei Stunden geschlafen habe.« Da schmunzelte er, ebenso wie sein Nebenmann Armin Laschet, der damals noch ernsthaft glaubte, Kanzler werden zu können. Dass es anders kam, dass die CDU diesen Erfolg auf Landesebene bei der Bundestagswahl nicht bestätigen konnte und - ganz im Gegenteil - eine schmerzhafte Niederlage erlitt, sagt sicher einiges über den Kanzlerkandidaten Laschet aus. Vielleicht aber noch mehr über die speziellen Rahmenbedingungen, die in Sachsen-Anhalt herrschen und Haseloff zum Sieg verhalfen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der Wahlgewinner begann zu sinnieren und wirkte zunächst, als sei er sich selbst noch unsicher: »Woran hat es gelegen? Das ist ja der Spruch: Woran hat es gelegen?« Die CDU habe zusammengestanden, sagte er anschließend und meinte damit auch Laschet und dessen innerparteilichen Kontrahenten Markus Söder. Wichtiger war allerdings der zweite Punkt: »Wir haben es geschafft, die Bürgerinnen und Bürger zu sensibilisieren, was es bedeutet hätte, wenn Umfragen noch kurz vor der Wahl eingetroffen wären.«

In der Tat: Noch zwei Tage vor der Entscheidung hatte das Marktforschungsinstitut Insa ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU (27 Prozent) und AfD (26 Prozent) vorausgesagt. Die Wahrheit war dann aber eine ganz andere: Die Christdemokraten lagen am Wahlsonntag ganze 16,3 Prozentpunkte vor ihren rechtsradikalen Widersachern, während die anderen demokratischen Parteien einschließlich der Linken (11 Prozent) höchstens Nebenrollen spielten.

Hauptgrund dafür: die Wählerwanderungen: Die CDU gewann laut Infratest dimap 16 000 Stimmen von der AfD hinzu, aber auch 37 000 von Nichtwählern, 15 000 von der SPD und 14 000 von der Linken. Diese Landtagswahl war, ganz im Gegensatz zur späteren Bundestagswahl, geprägt von der Angst vor der AfD, die keinen demokratischen Zwei- oder gar Dreikampf ermöglichte, sondern in Haseloff einen demokratischen Konsenskandidaten fand - eine Angst, die der Ministerpräsident im Wahlkampf mit entsprechenden Warnungen selbst befeuert und sich zunutze gemacht hatte: »Wer das Kreuz am Sonntag nicht bei mir oder bei uns macht, der schadet Sachsen-Anhalt.«

Was Haseloff nicht sagte: dass gerade seine CDU-Fraktion im Magdeburger Landtag aus der viel zitierten »Brandmauer« nach rechts bereits einige Backsteine herausgerissen hat. Zu erinnern sei etwa an die Denkschrift der beiden CDU-Abgeordneten Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas, die in dem Schriftstück »das Soziale mit dem Nationalen« zu versöhnen forderten. Haseloff selbst hat sich von der AfD stets distanziert, scheint aber mit dieser Haltung in den eigenen Reihen nicht nur auf Gegenliebe zu stoßen. Auch zu Beginn dieser Legislaturperiode erwies sich schnell als Drama, was unter AfD-befreiten Umständen als parlamentarische Selbstverständlichkeit kaum Aufsehen erzeugen würde - doch ob der Stärke der AfD ebenso wie der unklaren Linie der CDU erscheint die Demokratie in Sachsen-Anhalt zuweilen als höchst instabiles Konstrukt.

Konstituierende Sitzung, Anfang Juli: Der AfD-Kandidat Matthias Büttner scheitert bei der Wahl zum Landtagsvizepräsidenten, erhält allerdings mit 32 Ja-Stimmen neun mehr, als die Rechtsradikalen Sitze haben. Und das, obwohl Büttner einst in einer Rede damit gedroht hatte, einen »mit Fackeln und Mistgabeln« bewaffneten Mob vor die Büros anderer Abgeordneter zu führen.

Zweite Sitzungsreihe, Mitte September: Reiner Haseloff wird, trotz seines übergroßen und zuweilen als »Reserverad-Koalition« geschmähten »Deutschland-Bündnisses« mit SPD und FDP, erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt. Acht Mitglieder der regierungstragenden Fraktionen dürften im ersten Wahlgang gegen Haseloff gestimmt haben - mutmaßlich jene rechten Abweichler aus den eigenen Reihen, die bereits in der Vergangenheit auf Distanz zum Regierungschef gegangen waren.

Dritte Sitzungsreihe, Mitte Oktober: Wieder scheitert die AfD bei der Präsidiumswahl, diesmal allerdings richtig knapp: Hagen Kohl erhält 44 Ja- und 48 Nein-Stimmen bei drei Enthaltungen, die nach der Geschäftsordnung des Landtags wie nicht abgegebene Stimmen behandelt werden. Im Vorfeld hatte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Markus Kurze, relativierend über Kohl geäußert. Der »Mitteldeutschen Zeitung« hatte Kurze gesagt, man habe es bei dem AfD-Bewerber mit einem Landesbeamten zu tun: »Wenn man das demokratisch betrachtet, kann man gegen diese Kandidatur nichts sagen.« Vermutet wird, dass etwa die Hälfte der 40-köpfigen CDU-Fraktion Kohl unterstützte, während die andere Hälfte den Kandidaten ablehnte - die Fraktion erscheint gespalten.

Bis heute ist der Umgang mit der AfD in der CDU Sachsen-Anhalt nicht restlos geklärt, bis heute scheint es eine gewisse Kluft zwischen Regierung und Teilen der Fraktion zu geben. In einer Sache hat sich Haseloff aber parteiintern durchgesetzt - wenn auch auf ganz anderer Ebene: Nachdem er einst indirekt für Markus Söder als Kanzlerkandidaten und später für Armin Laschets Ex-Konkurrenten Friedrich Merz als Parteichef geworben hatte, soll dieser nun tatsächlich die Regie in der CDU übernehmen. Mehr noch: Mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer als Vize soll Ostdeutschland innerhalb der Partei mehr Gewicht erhalten.

Die CDU folgt am Ende dieses Jahres längst nicht mehr dem im Osten unbeliebten Laschet, der einst über Reiner Haseloffs Müdigkeit schmunzelte. Eher folgt sie Haseloff selbst.

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