- Wirtschaft und Umwelt
- Atomkraft in der EU
Tschechiens Atomlobby strahlt
Regierung in Prag sieht sich durch den Taxonomie-Vorschlag aus Brüssel in ihrer Energiepolitik bestätigt. Umweltverbände verlangen Ausbau der Erneuerbaren
Investitionen in neue Kernkraftwerke sollen laut einem Vorschlag der EU-Kommission als umweltfreundlich eingestuft werden. Moderne Reaktorblöcke, deren Bau bis 2045 angemeldet wurde, sollen gemäß der künftigen Energie-Taxonomie bis zum Jahre 2050 gebaut werden dürfen. Ebenfalls sollen bis 2035 angemeldete neue Erdgaskraftwerke vorübergehend als alternative und umweltfreundliche Energiequelle betrachtet werden.
Die Taxonomie ist quasi eine Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsvorhaben, die als förderwürdig gelten. Die EU-Kommission kam zu dem Schluss, dass die beiden Energieträger Gas und Kernkraft für eine Übergangsperiode als »umweltfreundlich« angesehen werden und zur Dekarbonisierung beitragen können. Brüssel folgt mit diesem Vorschlag einem Antrag, den Präsident Emmanuel Macron im Namen Frankreichs gestellt hatte. Unterstützt wurde er von zahlreichen EU-Mitgliedern: Bulgarien, Finnland, Kroatien, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Ungarn - und Tschechien. Prag fühlt sich dadurch in seiner Energiepolitik bestätigt.
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Bereits die Vorgängerregierung unter Andrej Babiš hatte an einem Ausbau der Kernreaktoren auf tschechischem Territorium festgehalten. Noch im Oktober versuchte Babiš, Druck auf die EU-Behörden auszuüben. Im Wirtschaftsblatt »Hospodářské noviny« forderte der damalige Premier, Brüssel müsse der tschechischen Kern- und Erdgasenergiepolitik einen »grünen Stempel« aufdrücken. »Wenn die Kommission dies nicht tut, möchte ich gar nicht die Worte verwenden, die ich dann verwenden müsste«, erklärte Babiš kategorisch.
Auch die gerade erst installierte Fünf-Parteien-Koalition unter Petr Fiala von den Bürgerdemokraten bekennt sich zur Stromproduktion aus Kernkraft. In einem Interview mit CNN erklärte der Premier: »Atomkraft muss unter den geförderten Energiequellen sein. Notwendig ist, weitere Blöcke der Atomkraftwerke zu errichten, weil wir in Tschechien sonst nicht genug Energie für einen vernünftigen Preis haben.« Ähnlich sieht das Fialas Parteifreund Alexandr Vondra: »Ohne Kernenergie sind unsere klimatischen Ziele nicht zu erreichen. Dagegen zu opponieren, macht keinen Sinn und ist nur ideologischer Natur. Die Leute, die gegen eine Modernisierung dieser Energieform ankämpfen, beachten dabei gar nicht, dass sie mit ihrem Vorgehen die Europäische Union sprengen könnten«, so der frühere Außenminister und heutige Europaabgeordnete.
Mit dem nun vorliegenden Vorschlag der EU-Kommission fühlen sich die Regierenden in Prag bestätigt. Nun könne der bereits geplante Ausbau der neuen Blöcke in den Kraftwerken Temelin und Dukovany vorangehen.
Beide Standorte sind weniger als 100 Kilometer von der österreichischen sowie deutschen Grenze entfernt. Sowohl Umweltschützer als auch regierungsnahe Stellen der Nachbarstaaten haben ihre Befürchtungen über mangelnde Sicherheit in den Atommeilern geäußert. Österreichische Umweltverbände klagten bereits mehrfach Verstöße gegen internationale Konventionen an. Danach soll die tschechische Seite nur mangelhaft Auskunft und Transparenz zum Betrieb und Ausbau der Reaktoren zeigen.
Scharfe Kritik an dem Entwurf kam am Samstag auch von der österreichischen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne): »Die EU-Kommission hat gestern in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht. Alleine der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeigt schon, dass offensichtlich auch die EU-Kommission selbst nicht überzeugt von ihrer Entscheidung ist«, kritisierte die Politikerin gegenüber der Nachrichtenagentur APA.
Auch in Tschechien meldeten sich Umweltverbände zu Wort. Ihren Erklärungen zufolge muss der Widerstand sowohl gegen den Ausbau der Kernenergie als auch gegen den Neubau von Gaskraftwerken verstärkt werden. Stattdessen solle Tschechien massiv Wind- oder Solarkraftwerke bauen, die Strom günstiger produzieren könnten. »Unsere Regierung fordert und fördert zusätzliche Mittel für die Entwicklung von Gasressourcen oder überteuerten Kernreaktoren, die jedoch keine weiteren 20 Jahre halten«, erklärte Ondřej Pašek von der Umweltorganisation Hnutí Duha.
Die EU-Kommission wird nun in den kommenden zwei Wochen den veröffentlichten Vorschlag diskutieren, verfeinern und zur Abstimmung bringen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Befürworter der Kernenergie am Ende durchsetzen können.
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