- Politik
- Außenpolitik der Linkspartei
Linke Außenpolitik braucht die Rückkehr zu Marx
Die Linkspartei muss sich den Auseinandersetzungen um ihren internationalen Kurs stellen – in ihrem Inneren und nach außen
Unter dem unmittelbaren Eindruck der Niederlage der Linken bei den zurückliegenden Wahlen auf EU-, Landes- und Bundesebene begann die Suche nach den inhaltlichen Defiziten. Neben den offensichtlichen Widersprüchen bei Forderungen zum sozialökologischen Umbau wurde dabei auch das außenpolitische Profil der Linkspartei angesprochen.
Allerdings wurden fast zeitgleich Rufe laut, auf keinen Fall eine programmatische Debatte zu beginnen, die Grundlagen des Erfurter Parteitages müssen unangetastet bleiben, alles andere würde die Partei in einer so angespannten Situation zerreißen. Genau dieses Reaktionsmuster existiert, insbesondere im Themengebiet der Außenpolitik, bereits seit sehr vielen Jahren und verhindert eine den globalen gesellschaftlichen Realitäten adäquate Positionierung durch die Partei. Dabei gibt es genug Baustellen. Was bedeuten eigentlich unsere politischen Grundsätze bei der Beurteilung der Situation in Russland und den anderen osteuropäischen Staaten? Was bedeuten unsere politischen Grundsätze für die Beurteilung des USA-China-Konfliktes? Bedeuten unsere programmatischen Grundlagen, dass wir völlig unabhängig von einer konkreten Situation in jedem Fall den Einsatz von militärischen Mitteln ablehnen oder tun wir das nur, wenn es um eine deutsche Beteiligung geht?
Unüberbrückbare Differenzen
An vielen Stellen haben sich Funktions- und Mandatsträger unserer Partei unterschiedlich positioniert und nehmen trotzdem jeweils für sich in Anspruch, damit linke Positionen zu vertreten. Aufrufe zur Geschlossenheit verlieren dann ihren Sinn, wenn es dafür keine inhaltlichen Grundlagen gibt. Dafür steht die Positionierung zum Evakuierungseinsatz durch die Bundeswehr in Afghanistan exemplarisch. Sowohl im Parteivorstand als auch in der Bundestagsfraktion gab es eine Vielzahl von Stimmen, die aus inhaltlichen Erwägungen entweder für oder gegen diesen Einsatz waren. Die unüberbrückbaren Differenzen zwischen beiden Positionen führten dann zur Empfehlung, sich zu enthalten. Während sich im Nachhinein die Kritik vor allem auf die richtete, die sich an diese Empfehlung nicht gehalten haben und damit Verantwortung für ein Bild der Zerstrittenheit trügen, liegt das eigentliche Problem tiefer, und zwar in der fehlenden gemeinsamen inhaltlichen Basis.
Kommen wir nun aber zu den Ursachen des Dilemmas. Für die PDS als auch für die Linkspartei unterschied sich die außenpolitische Debatte von anderen Politikfeldern immer dadurch, dass sie nie auf den Prüfstand der praktikablen Umsetzung gestellt wurde. Während Sozial-, Wirtschafts-, Finanz-, Innen- oder Umweltpolitik schon seit Beginn der 90er Jahre von Vertretern der Partei auf kommunaler oder Landesebene umgesetzt werden musste, kamen unsere außenpolitischen Positionen nie auch nur in die Nähe praktischer Anwendung. Kompromisse in diesen Fragen waren, anders als in den vorher genannten Politikbereichen, deshalb nicht gefragt und auch nicht nötig. Das machte die Beschränkung beispielsweise auf Positionen aus der Friedensbewegung, die ihren Höhepunkt in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte, nicht nur einfach, sondern wurde zum Identifikationskern der Partei erklärt. »Die Linke ist die einzige Partei, die …«, wurde in der Außenpolitik zum zentralen Mantra. Eine Debatte darüber, ob und warum alle anderen in der Außenpolitik alles falsch machen, wird noch heute in der Partei gefürchtet. Dahinter steckt ein tiefgreifendes Problem: Die Unklarheit über eigene politische Grundsätze und die Unsicherheit, ob man eine Debatte mit anderen politischen Kräften über Gemeinsamkeiten führen kann, ohne die eigene Identität zu verlieren.
Ein typisches Reaktionsmuster ist der Vorwurf, dass jedwede Diskussion in der eigenen Partei darüber nur dazu dienen soll, im Interesse einer Beteiligung an der Macht das eigene Profil zu verwässern und sich SPD und Grünen anzubiedern oder selbst militaristisch zu argumentieren. Mit dem »Argument« kann man in der Linkspartei jede Diskussion abwürgen, ohne den Vorwurf konkret belegen zu müssen. Und trotzdem muss man aus linker Perspektive beispielsweise den Einsatz von russischem Militär in der Ostukraine oder die Krim-Annexion verurteilen, völlig unabhängig davon, ob man damit zur SPD oder den Grünen mehr oder weniger Schnittmengen hat. Eine außenpolitische Positionierung der Linken darf sich weder aus der Abgrenzung noch aus der Kooperationsfähigkeit zu anderen Parteien ableiten, sondern muss eigenen Grundsätzen folgen. Nur wenn man sich deren sicher ist, wird man kompromissfähig, ohne beliebig zu sein. Wir werden mit unseren Positionen in absehbarer Zeit in der Außenpolitik keine Kompromisse mit anderen Parteien schließen müssen. Mit den realen globalen Verhältnissen sollten wir das aber schon versuchen.
Dabei hat auch die bisherige Haltung der Linken, sich außenpolitisch kompromisslos als Gegenpol zur Bundesregierung, zur EU, zur Nato aufzustellen, einen rationalen Kern. In all diesen Strukturen wirkten vor allem in den letzten 20 Jahren verstärkt die Perspektiven des Kalten Krieges vor 1990 weiter. Das alte Feindbild Russland lebt fort. Ein neues Feindbild, das sich kommunistisch nennende China, kommt hinzu. Und so wie die alten Feinde jetzt immer mehr auch die neuen Feinde sind, werden wir gerade Zeugen, wie im Koalitionsvertrag der Ampel die USA wieder zum zentralen Partner der deutschen Außenpolitik in einer globalen Systemauseinandersetzung erklärt werden.
Logik des Kalten Kriegs gespiegelt
Unser Problem ist aber, dass wir die Logik des Kalten Krieges mitunter auf unserer Seite spiegeln. Mag ja sein, dass die russischen Militärinterventionen im Ausland nicht in Ordnung sind, aber, so ist häufig in unseren Reihen zu hören, man müsse doch dabei berücksichtigen, dass all dies ja nur die logische Antwort auf eine aggressive Nato-Strategie ist. Der Umgang mit Julian Assange durch die USA ist ein Verbrechen, der Russlands mit Nawalny, naja, da weiß man lieber nichts Genaues. An sich verurteilen wir Rüstungsexporte, verweisen aber gern darauf, dass sich die Umsätze Chinas und Russlands in diesem Bereich aber doch immer noch deutlich unter jenen der Nato-Staaten bewegen. Wir verurteilen laut jede internationale Militäraktion der USA, schweigen aber bisher zu den chinesischen Aktivitäten im Süd- und Ostchinesischen Meer, die auch in Vietnam mit Befürchtungen wahrgenommen werden. Während in Syrien die USA, Türkei und Russland militärisch interveniert haben, finden wir zur USA und Türkei deutliche Worte, bei Russland ist die Beurteilung zumindest vielstimmig. Schließlich, so der Einwand, hat die syrische Regierung Russland ausdrücklich um Beistand gebeten. Diese syrische Regierung, also das Assad-Regime, hat zuvor und danach im eigenen Land eine Terrorherrschaft ausgeübt und gehört mit Sicherheit zu den verbrecherischsten Regimen, die zurzeit an der Macht sind. Die Bitte eines solchen Regimes, im Interesse des eigenen Machterhalts russisches Militär nach Syrien zu entsenden, kann doch nicht ernsthaft ein Argument für uns zur Legitimation dieses Einsatzes sein. Moskau folgt hier einer eiskalten Machtlogik, die sich in nichts von der in Ankara oder Washington unterscheidet. Es geht um strategischen Einfluss in der Region.
Nicht nur hier wird deutlich, dass für eine überzeugende linke Politik im internationalen Bereich andere Kriterien die Grundlage bilden müssen als eine Freund-Feind-Logik in der Tradition des Kalten Krieges. Was sind aber die normativen Grundlagen der außenpolitischen Positionen der Linken?
Verfolgt man die Debatte der letzten Jahre in unserer Partei, ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt die Nato, die drohende Militarisierung der EU sowie die Ausrichtung der Bundeswehr auf eine Interventionsarmee. Bei der Debatte zum Bundestagswahlprogramm im Parteivorstand als auch in den entsprechenden Diskussionen vor dem Beschluss hat dieser Komplex etwa 90 Prozent der gesamten Redezeit zur Außenpolitik eingenommen. Ja, ohne Frieden ist alles nichts, aber die Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen durch die Nato ist nicht alles, was auf der Welt gerade zum Problem wird und Kriege verursacht.
Einen umfassenderen Ansatz bietet der kategorische Imperativ von Karl Marx: »Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« Nun wäre es illusorisch für unsere Partei, den Anspruch zu erheben, im globalen Maßstab all diese Verhältnisse umstürzen zu können. Was wir aber tun können, ist, unsere außenpolitischen Aktivitäten und Positionen daraufhin zu prüfen, inwiefern sie diesem kategorischen Imperativ entsprechen.
Linker Internationalismus kann insofern nicht zuallererst Beziehungen von Staaten oder Machtblöcken als zentralen Bezugspunkt haben, sondern die Situationen und Verhältnisse in denen Menschen leben unabhängig von ihrer Nationalität oder Staatsangehörigkeit. In dieser Konsequenz ist die Orientierung an den Menschenrechten nicht die Übernahme einer eurozentrierten bürgerlichen Weltsicht, sondern Ausdruck linker Identität. Allerdings gibt es natürlich einen substanziellen Unterschied zwischen dem linken Menschenrechtsverständnis und der bürgerlichen Definition, egal ob grün oder schwarz eingefärbt, den untrennbaren Zusammenhang zwischen den sozialen Voraussetzungen der gesellschaftlichen Teilnahme des Einzelnen und den klassischen liberalen Freiheitsrechten. Diese sehr abstrakt klingende Differenz hat sehr konkrete Auswirkungen auf unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel in der Frage der Migrationspolitik oder auch bei der Beurteilung innenpolitischer Verhältnisse bestimmter Länder.
Bei der Beurteilung der innenpolitischen Situation einzelner Staaten wird es mit dem Marx‘schen Imperativ dann schon komplizierter. Völlig zu Recht verurteilen wir die Regime-Change-Politik von USA und EU im Nahen Osten, Lateinamerika oder Osteuropa, bleiben dann aber häufig dabei stehen und erwecken den Eindruck, kein Problem mit den Verhältnissen in vielen dieser Länder zu haben. Aber das Gegenteil eines Fehlers ist wie so häufig auch hier ein Fehler. Man kann die US-amerikanische Destabilisierungspolitik in Venezuela verurteilen und darf trotzdem nicht die Methoden Maduros akzeptieren. Man kann sehr wohl mit Kuba solidarisch sein, ohne jede oppositionelle Bewegung als US-amerikanische Konterrevolution zu brandmarken. Wir können und müssen zum Umgang Chinas mit der Opposition in Hongkong und den Uiguren in Xinjing nicht schweigen, ohne China zum neuen Hauptfeind in einem Kalten Krieg zu erklären. Die Erklärung uneingeschränkter Solidarität oder das Brandmarken von Feindbildern bedienen altbekannte Emotionen in der Partei, für die Erarbeitung außenpolitischer Strategien sind sie selten hilfreich.
Neben dem Marx'schen Imperativ und der Suche nach realistischen Handlungsoptionen braucht linke Außenpolitik noch einen weiteren zentralen Punkt: Die Verhinderung der sich anbahnenden globalen ökologischen Katastrophe und der mit ihr verbunden sozialen Folgen. Während in den letzten Jahrzehnten in Deutschland wie auch in anderen hoch entwickelten Industrieländern die Vorstellung überwog, dass insbesondere der Klimawandel vor allem die ärmeren Länder trifft, haben die letzten Jahre, insbesondere in Deutschland, bewiesen, dass es in diesem Prozess keine Möglichkeit der Abschottung gibt. Die Destabilisierung ganzer Regionen in Afrika aufgrund des Klimawandels und damit verbundenen Migrationswellen, die deutlicher werdenden Auswirkungen des Klimawandels auch vor Ort, die globale Corona-Pandemie und die damit verbundenen Störungen der globalen Wirtschaftskreisläufe lassen vermeintlich weit entfernten Probleme nun als unsere eigenen bewusst werden.
Klimawandel als soziale Frage
Trotzdem bewegen sich auch linke Akteure im Spannungsfeld von globaler Gerechtigkeit und nationaler Besitzstandswahrung, die auch von sozialen Gruppen eingefordert werden wird, die wirtschaftlich an den Rand gedrängt werden und als deren Interessenvertreter wir uns begreifen. Die Forderung nach globaler Gerechtigkeit bei der Bekämpfung des Klimawandels jenseits einer gönnerhaften Almosenverteilung an die Armen der Welt wird Verteilungskämpfe provozieren, die sich nicht allein mit klassischen linken Umverteilungsmechanismen in nationalstaatlichen oder europäischen Grenzen lösen lassen. Während die Forderung nach der Patentfreigabe von Corona-Impfstoffen im linken Spektrum wohl weitestgehend konsensfähig ist, ist der noch schnellere Ausstieg aus den fossilen Energieträgern mit all seinen Folgen ein ausgesprochen dickes Brett. Diese Widersprüche und unterschiedlichen Interessenlagen sind wesentliche Gründe für den Aufstieg rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien in den Industrieländern und auch international, der von linken Kräften bisher nur eingeschränkt erfolgreich beantwortet wird. Nichtsdestotrotz ist die sozial gerechte Abwehr einer globalen ökologischen und Klimakatastrophe der kategorische Imperativ der Linken des 21. Jahrhunderts.
Der hier dokumentierte Text ist eine stark gekürzte Version der Analyse zur internationalen Politik der Linken, die auf der Europaplattform die-zukunft.eu erschienen ist.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.