Arm trotz Fulltime-Job

Im Osten sind 29,1 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten geringverdienend

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die gute Nachricht vorweg: Der Anteil der Geringverdienenden in der arbeitenden Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren gesunken, vor allem im Osten. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die »nd.DerTag« vorliegt. Doch noch immer gehen knapp 19 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten mit einer schmalen Lohntüte nach Hause. Besonders häufig sind es Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und - trotz der eigentlich positiven Entwicklung - Ostdeutsche.

Für ihre Studie werteten die Forscher*innen des WSI Daten aus der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus. Diese gelten als sehr präzise, weil sie häufig direkt aus der betrieblichen Lohnbuchhaltungssoftware stammen. Als geringverdienend gilt demnach, wer trotz Vollzeitjob weniger als zwei Drittel des mittleren monatlichen Bruttogehalts erhält. Im Jahr 2020 entsprach dies 2284 Euro. Alle, die weniger verdienen, erfasst die BA in der Kategorie »unterer Entgeltbereich«.

Demnach ging der Anteil der Geringverdienenden im Osten von 2011 bis 2020 von 39,9 auf 29,1 Prozent zurück. Doch noch immer liegt deren Anteil in den neuen Bundesländern weitaus höher als im Westen. »Die Kreise, in denen sich der untere Entgeltbereich auf mehr als vier von zehn sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten erstreckt, liegen alle im Osten«, schreiben die Studienautoren Eric Seils und Helge Emmler. Die Gemeinden sind: Erzgebirgskreis (43,2 Prozent), Görlitz (42,5 Prozent), Saale-Orla-Kreis (41,2 Prozent), Vorpommern-Rügen (40,8 Prozent) und der Vogtlandkreis (40,2 Prozent).

»Die geplante Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Um hier weiterzukommen, ist darüber hinaus eine Stärkung der Tarifbindung erforderlich«, mahnt Studienautor Emmler Reformen an. So ist im Osten nicht nur der Anteil der Geringverdienenden höher als im Westen. Die neuen Bundesländer weisen auch eine niedrigere Tarifbindung auf.

Gleichzeitig befinden sich mit Wolfsburg (6,4 Prozent) und Erlangen (8,3 Prozent) die Städte mit dem geringsten Anteil im Westen. Dabei hat sich der Anteil der Geringverdienenden im Westen seit 2011 kaum verändert. Er nahm seitdem von 16,9 auf 16,4 Prozent leicht ab.

Die Forscher*innen des WSI konnten feststellen, dass in Großstädten und Ballungszentren der Anteil der Geringverdienenden niedriger ist als auf dem Land. Dies liege zum einen daran, dass große Unternehmen, die gut bezahlen, meist in großen Städten zu finden sind. Zum anderen liegt es auch an den höheren Lebenshaltungskosten in den Metropolen. »In Regionen mit hohen Mieten sind zumeist auch die Löhne höher. Das bedeutet aber nicht unbedingt mehr Kaufkraft für die Beschäftigten, weil die Mieten und Preise den höheren Lohn gleichsam auffressen«, sagt WSI-Forscher Seils.

So sticht Berlin im ostdeutschen Vergleich heraus: Mit 19,2 Prozent liegt der Anteil der Geringverdienenden näher am gesamtdeutschen als am ostdeutschen Durchschnitt. Gleichzeitig hebt sich die Bundeshauptstadt noch aus einem anderen Grund aus der Statistik heraus: Sie ist eine der wenigen Gemeinden, in denen weniger Frauen (18,8 Prozent) als Männer (19,4 Prozent) mit einem kleinen Gehalt zurechtkommen müssen. Dies trifft lediglich auf sechs von insgesamt rund 400 Kreisen in Deutschland zu - und alle sechs befinden sich in Ostdeutschland.

So hängt die Wahrscheinlichkeit, trotz Vollzeitbeschäftigung arm zu sein, nicht nur davon ab, wo man wohnt. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. 25,4 Prozent aller in Vollzeit arbeitenden Frauen in Deutschland sind Geringverdienende, während es bei den Männern nur 15,4 Prozent sind. Dabei gibt es Kreise, in denen diese Geschlechterungerechtigkeit noch weitaus frappierender ausfällt: Im baden-württembergischen Heilbronn zum Beispiel liegt der Anteil bei den Männern bei 8,1 Prozent, während er bei den Frauen 24,1 Prozent beträgt.

Auch ein Migrationshintergrund wirkt sich negativ auf die Verdienstaussichten aus. So liegt der Anteil von Geringverdienenden bei Vollzeitbeschäftigten ohne deutschen Pass bei 36,9 Prozent. Die Branche spielt ebenfalls eine Rolle: Im Gastgewerbe sind 68,9 Prozent geringverdienend, im öffentlichen Dienst lediglich 2,5 Prozent.

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