- Politik
- Abschiebepolitik in Sachsen
In die Illegalität getrieben
Stadt Chemnitz entzieht vietnamesischer Familie Aufenthaltsrecht
Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR. Nach der Wende hatte er alle Hürden gemeistert, um ein Aufenthaltsrecht zu bekommen, hatte bis 2018 Arbeit und eine Wohnung in Chemnitz sowie eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.
Zwei Jahre zuvor war der heute 65-Jährige nach Vietnam geflogen. Während seines Aufenthalts dort flammte eine alte Kriegsverletzung wieder auf, die er als junger Mann im Vietnam-Krieg erlitten hatte. Er musste sich in stationäre Behandlung begeben und kehrte daher deutlich später nach Deutschland zurück als geplant.
Das deutsche Ausländerrecht sieht aber vor, dass alle Aufenthaltstitel – in der Regel – erlöschen, wenn man länger als sechs Monate nicht in Deutschland lebt und das nicht vorab genehmigen lässt. Son hatte sich zwar von Hanoi aus bei der deutschen Botschaft gemeldet. Dort wurde er allerdings nach eigenen Angaben falsch beraten, das Gespräch ist zudem nicht dokumentiert.
Der Ausländerbehörde in Chemnitz fiel die zeitweilige Abwesenheit des Mannes 2017 auf, als er die Geburt seiner Tochter Emilia beurkunden lassen wollte. Sie verweigerte die Beurkundung und entzog Son und seiner vietnamesischen Frau das Aufenthaltsrecht. Die Familie wurde in die Illegalität getrieben, tauchte in einem anderen Bundesland unter. Alle Bemühungen, wieder ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, scheiterten. 2019 weigerte sich auch die sächsische Härtefallkommission, diesen Härtefall als solchen anzuerkennen.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter sieht im Umgang der Institutionen mit Son und seinen Angehörigen »ein weiteres Beispiel für die familien- und kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik«. Gut integrierte und »arbeitsame« Menschen würden abgeschoben, »die Traumatisierung von Kindern wird billigend in Kauf genommen«, kritisiert Richter. Das sei »unmenschlich, ungerecht und auch in ökonomischer Hinsicht unvernünftig«. Auch der katholische Pater Stefan Taeubner, der die Betroffenen als Seelsorger betreut, fordert die Stadt Chemnitz auf, »der Familie sofort mindestens eine Duldung zu geben und später wieder das Aufenthaltsrecht«.
Kathrin Neumann, Sprecherin der Stadt, hält dagegen: Als die Familie im Dezember bei der Ausländerbehörde vorgesprochen habe, um die Duldung zu beantragen, sei sie in Chemnitz nicht mehr gemeldet gewesen. »Demnach kann die Ausländerbehörde in Chemnitz den Fall aktuell nicht bearbeiten.«
Stefan Taeubner ist entsetzt. »Chemnitz spielt mit der Familie Hauptmann von Köpenick: Ohne Wohnungsanmeldung kein Aufenthaltsrecht und ohne Aufenthaltsrecht keine Anmeldung.« Er verweist darauf, dass die Stadt Son zudem selbst von Amts wegen an seinem alten Wohnsitz abgemeldet und zweimal die Polizei dorthin geschickt habe, um ihn zu suchen. »Es gibt auch viele Vietnamesen in Chemnitz, die ihm Wohnraum zur Verfügung stellen würden, aber sie fürchten strafrechtliche Konsequenzen, solange die Familie illegal ist.« Er selbst, berichtet der Seelsorger im Gespräch mit »nd«, sei von der Kriminalpolizei angerufen und auf juristische Konsequenzen hingewiesen worden, sollte er sich weiterhin für die illegalisierte Familie einsetzen.
Auch die Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg setzt sich dafür ein, dass die Familie ein Aufenthaltsrecht erhält. Der dortige Mitarbeiter Nam Anh spricht von einer »sehr ungerechten Entscheidung« der Behörden in Chemnitz.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.