- Berlin
- Zentrum für Politische Schönheit
Polizei hat sonst nichts zu tun
Der lange Arm der AfD: Razzia bei Künstlerkollektiv Zentrum für Politische Schönheit in Berlin
Eine Wohnung und ein Atelier von Künstler*innen der linken Satire- und Politikinitiative Zentrum für Politische Schönheit sind am frühen Donnerstagmorgen von der Berliner Polizei durchsucht worden. Das bestätigte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf nd-Nachfrage. Konkret ging es bei der Durchsuchung um eine Aktion der Initiative im Wahlkampf 2021, bei der man die AfD vorgeführt hatte.
Die Aktivist*innen vom Zentrum für Politische Schönheit – kurz ZPS – hatten im Vorfeld der Wahlen zum Bundestag im vergangenen September Millionen Informationsflyer der AfD deutschlandweit von verschiedenen Kreisverbänden der Partei gesammelt, um sie angeblich später zu verteilen. Tatsächlich wurden die Flyer von den Antifaschist*innen vernichtet. Die AfD sprach damals von einem »erheblichen Schaden für die Demokratie« und kündigte eine Anzeige an.
»Die Partei nahm das Angebot dankbar an und lieferte über fünf Millionen Flyer, 72 Tonnen Werbematerial, in die Logistikkette des ZPS. Wohlgemerkt ohne Auftragsbestätigung oder rechtsgültigen Vertrag«, hieß es damals in einer Stellungnahme des Künstler*innenkollektivs.
Durchsucht wurde am Donnerstag nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Fälschung beweisrelevanter Daten nach Paragraf 269 des Strafgesetzbuches. Die Sprecherin bestätigte Berichte, nach denen die Polizei mehrere Datenträger beschlagnahmt hat. Die Polizei selbst hatte zuvor bekannt gegeben, dass sie auch Beamt*innen des für politisch motivierte Taten zuständigen Staatsschutzes des Berliner Landeskriminalamtes eingesetzt habe.
In dem Paragrafen heißt es: »Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so speichert oder verändert, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde, oder derart gespeicherte oder veränderte Daten gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«
Auch die Aktivist*innen selbst meldeten sich am Donnerstag via Twitter zu Wort: »Liebe Polizei Berlin, ihr habt wohl sonst nix zu tun, oder?« In einer schon zuvor veröffentlichten Pressemitteilung erklärte das ZPS, dass der Paragraf 269 »in dieser Form noch nie im Kontext von Kunst oder Satire angewendet« worden sei. Die Anwält*innen des ZPS reagierten nach erster Sichtung des Durchsuchungsbeschlusses dann auch fassungslos. Sie stellten klar: »Die erhobenen Vorwürfe wirken vorgeschoben, die Anschuldigungen reichen vermutlich nicht einmal für eine Klageerhebung aus.«
Das ZPS hatte sich schon in der Vergangenheit mit der AfD angelegt. Im November 2017 bauten die Künstler*innen auf dem Nachbargrundstück des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal nach, das der Faschist zuvor öffentlich als »Denkmal der Schande« betitelt hatte. Nach dem Polizeizugriff am Donnerstag ruft das ZPS nun zur Unterstützung der Künstler*innen auf. Bezug nehmend auf das für die Anti-AfD-Aktion im Wahlkampf ins Leben gerufene Fantasieunternehmen erklärte ZPS-Sprecher Stefan Pelzer: »Wir sind alle der Flyerservice Hahn.« Und: »Wir rufen die gesamte Zivilgesellschaft dazu auf, diesen Angriff auf die Kunstfreiheit abzuwehren.«
Es ist nicht die erste Durchsuchung gegen Künstler*innen in Berlin in letzter Zeit. So hatte die Polizei im Juli 2021 auch Räume des Berliner Peng-Kollektivs durchsucht. Peng hatte mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland eine Webseite veröffentlicht, die bundesweit Orte zeigt, an denen der Kolonialismus im Straßenbild noch weiterlebt – und zu Aktionen gegen diese Namen und Orte aufgerufen. Mit dpa
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!