- Sport
- Fußball im Weimar der DDR
Furchtlose Muttersöhnchen
Lutz Lindemann oder Gustave Flaubert? Quälende Fragen eines jugendlichen Fußballspieler-Schauspielers
Als mein Vater mich mit ungefähr acht Jahren bei der BSG Motor Weimar anmeldete, war ich ein schmächtiges Kerlchen mit Segelohren und Sehhilfe. Brille und Fußball passten nicht gut zusammen. Weil aber mein Vater den bärbeißigen Coach gut kannte und ein paar milde Gaben sein Eigen nannte, ward dieser mild wie ein Lamm. Meine Mitspieler beäugten mich kritisch und gaben mir den Spitznamen Hosenknopp. Sie hielten mich für ein Muttersöhnchen, denn nur die trugen schließlich eine Brille.
In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus
Weimar besaß seinerzeit einige Fußballvereine. Motor war die Nummer 1. Um es vorwegzunehmen, ich war ein mittelmäßig begnadeter Fußballer, mochte keine Kopfbälle und konnte nicht gut jonglieren. Doch ich war furchtlos und schnell. Um eilig zu wachsen, trank ich täglich einen Liter Milch und aß jede Bratwurst, die ich bekommen konnte. Ich badete jeden Sonntag und ließ mich im Sommer gern an einer Stange hängend trocknen – auch um schneller zu wachsen. An dieser Stange wurden sonst Teppiche ausgeklopft. Diesen Job übernahm ich gern, ebenso hackte ich pausenlos Holz. Beides schien mir geeignet, um meinen Körper zu stählen, schließlich musste ich mir die vermaledeite Hosenknoppigkeit austreiben. Dazu schlich ich an manchen Tagen heimlich in die Küche der elterlichen Wohnung, um vor dem ersten Hahnenschrei Liegestütze und Kniebeugen zu trainieren.
Ich schien zum Fußballspieler-Schauspieler geboren zu sein. Wenn ich ganz bei der Sache und gut aufgelegt war, dann war es fabelhaft mich anzusehen, wie ich durch die Luft geigte und mich bewegte. Im Geheimen war ich eine Leseratte. Meine bürgerliche Großmutter hatte mich sehr früh in der Kinderbibliothek angemeldet.
Fußball und Brille waren, wie bereits erwähnt, schwierig. Fußball und Bücher ein Ding der Unmöglichkeit. Ich ging gern mit Oma und einem Buch in der Hand im Park spazieren, pflückte Blumen und schaute den Bienen beim Honigsammeln zu. Großmutter hasste Sport und kam nie, um mir beim Kicken zuzuschauen. Sie sagte, es gäbe keine Seligkeit ohne Bücher. Und sie verachtete Fußball, diesen widerlichen Proletensport. Ich hingegen wollte sein wie die Proleten: nach ehrlichem Schweiß riechen und die Arbeiterfaust in den Himmel recken. Wo ist der Ball zum Einlochen? Her mit dem Bier! Mädchen, schenk mir deinen Kussmund!
Ich war ein scheckiger Hund, der zwischen Gustave Flaubert und Lutz Lindemann hin und her schwankte. Und ich merkte mit 14, als mein Körper zum Leben erwachte, welchen günstigen Eindruck es im Schatten junger Mädchenblüte hervorrief, wenn man im richtigen Augenblick den Liebreiz der Angebeteten in die schönsten Worte packte. Diesen Wettbewerbsvorteil hatte ich der Literatur zu verdanken.
Fußball spielte ich weiter, ihm galt meine zweite Liebe. Als man mich bei Motor wegen mangelnden Fleiß’ beim Training aussortierte, fand ich nach zwei schnellen Haken eine neue Heimat bei Empor. Ein Glücksfall für eine glänzende Karriere bei der Nummer 2 des Weimarer Fußballs. Bei Empor landeten die gestrandeten Eintänzer, die Schönlinge, Besserwisser und Hakenschlager. Meine Haare und die meiner Mitspieler waren grundsätzlich zu lang oder zu kurz. Wir waren verschrien als die »schwulen Säue« aus Weimar-City. Wir waren stolz, auf Schlacke zu trainieren, indes die pickligen Bauernsöhne nur Rasenplätze kannten und beim ersten Bodycheck Diarrhö bekamen. Wir hingegen aßen den Schorf von unseren Knien zum Frühstück, pfählten die Bauerntruppen und pflügten mit unseren Metallstollen ihre Rasenplätze um. Rest in Peace! Wir versprachen uns die Kreismeisterschaft. Und holten sie uns.
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