Rechtsruck in europäischer Beletage

Die Konservative Roberta Metsola soll zur neuen Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt werden

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Deals und Mauscheleien gehören zum politischen Tagesgeschäft. Das gilt insbesondere für die Brüsseler EU-Institutionen. Die am heutigen Dienstag stattfindende Wahl der/des Präsident*in des Europaparlaments (EP) ist ein Musterbeispiel für solche fragwürdigen Absprachen - und für die Tücken dieser informellen Deals. Hinter den Kulissen hatten die beiden größten Parlamentsfraktionen - die christdemokratische EVP und die sozialdemokratische S&D - sich darauf geeinigt, den deutschen EVP-Kandidaten Manfred Weber zu unterstützen. Allerdings entschied sich Weber gegen eine Kandidatur. Die Sozialdemokraten sahen darin einen Bruch der Vereinbarung, da sie nur die Unterstützung von Weber zugesagt hatten.

David Sassoli, der vor wenigen Tagen verstorbene S&D-Amtsinhaber, ließ lange offen, ob er noch einmal kandidieren würde. Erst im Dezember erklärte der Italiener seinen Verzicht. Auch, weil die Sozialdemokraten im Parlament keine eigene Mehrheit organisieren konnten. Die liberale Renew, als drittgrößte Fraktion im Parlament, unterstützt mehrheitlich die EVP-Kandidatur.

Dass sich die Sozialdemokraten so lange zierten und noch immer zieren, hat auch verhandlungstaktische Grüne: Es geht um Parlamentsposten in der zweiten Reihe. Hier will die S&D mehr Genoss*innen unterbringen, etwa als Vizepräsident*innen, von denen es 14 gibt - davon waren bislang fünf Sozialdemokrat*innen. Zudem wollen die Sozis den EP-Generalsekretär Klaus Welle (CDU) ablösen, wie es hinter den Kulissen heißt. Tatsächlich verlieren die Sozialdemokrat*innen mit der Präsidentschaft an Einfluss in der EU. Denn zukünftig sind sowohl Kommission als auch Parlament unter EVP-Führung, während die Liberalen mit Charles Michel den Ratspräsidenten stellen. Die S&D muss also versuchen, wenigstens in der zweiten Reihe ein paar Pflöcke einzuschlagen.

Bei dem Geschacher um Posten geriet die EVP-Kandidatin, Parlamentsvize Roberta Metsola, ein wenig aus dem Fokus. Dabei ist die Malteserin für viele Sozialdemokrat*innen untragbar. Die vierfache Mutter steht weit rechts im christdemokratischen Spektrum und ist erklärte Abtreibungsgegnerin. Die Vorsitzende der S&D-Fraktion, Iratxe García, hatte noch im Dezember mit Verweis auf Metsola betont, »dass einige ihrer Standpunkte für uns inakzeptabel sind«.

Dabei gibt es eine Kandidatin, der auch viele Sozialdemokrat*innen ihre Stimme geben könnten. Die Fraktion The Left hat mit der Spanierin Sira Rego von der Izquierda Unida eine Abgeordnete nominiert, die im rot-roten Lager durchaus mehrheitsfähig ist. In Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Frauenrechten sind die Schnittmengen größer als mit der streng konservativen Metsola. Nicht ganz zu unrecht wirft Rego gegenüber »nd« die Frage auf, warum das Parlament von einer Rechtskonservativen geführt werden sollte, »wo es doch einen antifaschistischen Pakt bräuchte«. Regos will ihre Kandidatur auch als ein Angebot an Sozialdemokraten und Grüne verstanden wissen. Sie plädiert für einen Zukunftspakt, der gute Arbeitsbedingungen und öffentliche Dienstleistungen ebenso verteidigt wie Menschenrechte und das Klima. Sie fordert »eine echte demokratische Prozedur, statt weiter an dem informellen Agreement zwischen den beiden größten Fraktionen festzuhalten, wonach die Präsidentschaft alle zweieinhalb Jahre jeweils von der EVP oder den Sozialdemokraten gestellt wird«. Ihr Fraktionsvorsitzender Martin Schirdewan meint, es sei einer demokratischen Institution wie dem Europaparlament unwürdig, »wie die großen Fraktionen hinter verschlossenen Türen dealen«.

Da die Grünen lange Zeit ohne eigene Kandidatin blieben, bestand sogar Hoffnung, aus diesem Lager Stimmen für Rego zu erhalten. Doch am 12. Januar nominierte die Grünen/EFA-Fraktion die Schwedin Alice Bah Kuhnke. Die rechte EKR-Fraktion schickt mit dem Polen Kosma Złotowski einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Alle drei Kandidaturen gelten aber als chancenlos.

Derweil wird weiter heftig um die Vizepräsidentschaft gerungen. Wie »nd« aus Parlamentskreisen erfuhr, könnte der bisher der Linken zustehende Posten dem Geschacher zwischen S&D, EVP, Liberalen und der EKR zum Opfer fallen.

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