Am Ende der Geduld

Langsam wird die bislang schweigende Mehrheit lauter, die Einschränkungen wegen Covid-19 für notwendig hält. Auch in Hildburghausen

  • Sebastian Haak, Hildburghausen
  • Lesedauer: 8 Min.

Müde, vielleicht sogar zermürbt von der Corona-Pandemie ist Monika Detz. Von den vielen Regeln und Beschränkungen, die sich ständig ändern, die längst nicht immer logisch sind und das Leben so viel komplizierter machen, als es vor der Pandemie war.

Wütend ist sie aber auch, weil sie genug von denen hat, die nur an sich selbst denken, die Verschwörungserzählungen anhängen, die sich um die existierenden Gesetze und Verordnungen oder Gefahren nicht scheren. Viele von denen werde man nicht mehr erreichen, davon ist sie überzeugt. In gewisser Weise seien die verloren. »Ich bin einfach entsetzt darüber, wie Menschen das alles ignorieren können, was um sie herum passiert«, sagt Monika Detz. Ihr Gemütszustand ist häufig ambivalent, wie bei so vielen Menschen derzeit. Sie ist oft ausgelaugt von der anhaltenden Ausnahmesituation und zugleich auch wütend.

Und wie in ihrem Herzen zwei Gefühle ständig miteinander ringen und gleichzeitig koexistieren müssen, so kämpft Detz manchmal gegen die vielen Mythen und Fake News an, gegen all den Unsinn, der vor allem auf Facebook und Telegram verbreitet wird. Manchmal schweigt sie aber auch. So, wie die übergroße Mehrheit der Deutschen das seit Monaten macht, während Coronaleugner und Impfgegner auf die Straßen drängen und dabei immer gewalttätiger werden.

Detz - die tatsächlich im Landkreis Hildburghausen lebt, ein mittleres Alter hat, die sich um ihre Familie kümmert und regelmäßig zur Arbeit geht - heißt in Wirklichkeit anders. Sie will ihre Identität aber schützen, weil sie Angst hat, zur Zielscheibe des radikalen Corona-Protests zu werden. Exemplarisch steht sie aber für die Mehrheit der Deutschen, die nicht die Gefahr des Virus leugnen, Impfungen ablehnen und vorgeben, »das Volk« zu sein oder zumindest dessen Mehrheit zu repräsentieren. Sie sind es aber nicht, sie tun es nicht, auch wenn sie das tatsächlich glauben mögen.

Bundesweit sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts etwa 72 Prozent aller Deutschen zweimal gegen Covid-19 immunisiert worden; wobei diese Zahl sogar berücksichtigt, dass für Unter-Fünfjährige noch gar kein Impfstoff verfügbar ist und die Impfungen bei Fünf- bis Elfjährigen erst seit wenigen Wochen überhaupt möglich sind. In Thüringen liegt der Vergleichswert bei etwa 66 Prozent, im Landkreis Hildburghausen bei etwa 51 Prozent. Würde man nur auf die Über-18-Jährigen schauen, also auf Menschen, die bewusst und selbstständig Impfentscheidungen treffen können, lägen die Werte noch deutlich höher. So haben sich bundesweit fast 83 Prozent der Erwachsenen inzwischen für eine vollständige Immunisierung gegen Covid-19 entschieden.

Wenn Detz gegen das anzureden versucht, was ihr aus der Mitte der Coronaleugner und Impfgegner erzählt wird, dann tut sie das in der Regel, nachdem sie sich belesen hat. Besonders eine ihrer Arbeitskolleginnen verbreite regelmäßig den Unsinn, erzählt sie, der sich ohne große Mühe auf Facebook und Telegram finden lässt. Auch wenn sie weiß, dass unter anderem Psychologen regelmäßig betonen, es bringe nichts, mit Verschwörungsgläubigen über Fakten zu debattieren, »kann ich manchmal einfach nicht mehr an mich halten«, sagt sie. »Dabei sage ich mir oft genug: ›Atme das einfach weg, Du hast eigentlich keinen Nerv mehr für so was!‹«

Also prüft Monika Detz Impfmythen oder Falschbehauptungen zu Mutationen des Coronavirus mithilfe von wissenschaftlich fundierten Aussagen, die sich auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts finden lassen oder über die etablierte Medien berichten. »Ich habe im letzten Jahr so viele Fakten gecheckt, wie noch nie zuvor in meinem Leben«, sagt sie. »Das kostet viel Zeit, bildet einen aber ungemein.« Wenn sie ihrer verschwörungsgläubigen Kollegin gegenüber dann dieses Wissen präsentiere, sagt Detz, »dann hört sie immerhin auf, mit mir die Konfrontation zu suchen«. Die Frau verbreite ihre Ansichten dann lieber unter anderen, die nicht widersprechen, sondern lieber schweigen.

Aber die Mehrheit der Deutschen hat lange Zeit genau das getan. Sie hat in den vergangenen Monaten allzu oft geschwiegen, wenn Coronaleugner und Impfgegner in all ihrer Heterogenität laut waren. Doch das ändert sich gerade, wenn auch langsam. Wohl auch deshalb, weil auch Monika Detz weiß, wie schwer es ist zu widersprechen, gerade dort, wo die Minderheit nicht klein ist und in einzelnen Nachbarschaften oder Dörfern vielleicht sogar eine Mehrheit hat.

Im Landkreis Hildburghausen seien in den vergangenen Monaten viele aus den Reihen der Mehrheit leise oder sogar stumm gewesen, weil sie ihre Kraft für die Bewältigung der Pandemie brauchten, erklärt Detz. Sie seien das aber auch gewesen, weil sie nicht nur auf Arbeit, sondern häufig auch in ihren Familien Coronaleugner und Impfgegner hätten. »Die Beziehungen zu ungeimpften Familienmitgliedern oder Freunden wollen viele nicht dadurch zerstören, dass sie widersprechen«, sagt Detz. »Es ist der Versuch, ein letztes Stück heile Welt zu retten.« Viele Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft gingen deshalb zu Familienfeiern und blieben dort lieber stumm, wenn hanebüchener Unsinn erzählt werde, »hinterher sagen sie dann, was für ein schlimmer Geburtstag das war«. Auch sie habe das schon getan.

Aber diese Haltung scheint sich gerade zu ändern. Für viele aus der Mitte der Mehrheit scheinen die Zeiten der Nachsicht, des Tolerierens, des Ausweichens und der Geduld vorbei zu sein. Nicht nur Detz sagt inzwischen, ihr sei klar geworden, dass sie eigentlich »noch viel lauter« sein müsse. Derlei Einsichten führen seit kurzer Zeit tatsächlich zu weithin wahrnehmbaren Statements aus der Mehrheit der Gesellschaft heraus. In gewisser Weise geschieht dies in einem Akt der Selbstvergewisserung gegenüber sich selbst. Aber auch, um gegenüber der Minderheit ein Stoppzeichen zu setzen. Aus Wut.

Ein Beispiel dafür ist, dass in den sozialen Medien jenseits von Facebook und Telegram inzwischen kaum eine Gelegenheit ausgelassen wird, um darauf hinzuweisen, wie sehr Coronaleugner und Impfgegner in der Minderheit sind. Nicht etwa zufällig verbreitete sich bei Twitter vor wenigen Tagen eine Grafik des Bayerischen Rundfunks wie ein Lauffeuer, welche die Anzahl derer, die in Bayern zwischen dem 17. und 19. Dezember gegen die Coronabeschränkungen und -Impfungen protestiert hatten, ins Verhältnis zu all jenen Bayern setzt, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Corona-Auffrischungsimpfung geholt hatten: Vier rote Punkte - die jeweils 10 000 Menschen repräsentieren - auf der Seite der Protestierenden, 424 blaue Punkte auf der anderen Seite der Geimpften.

Ein anderes Beispiel ist eine Petition, die jüngst unter dem Titel »Meiningen für alle!« im Internet veröffentlicht wurde und die sich gegen die montäglich stattfindenden sogenannten Corona-Spaziergänge in der südthüringischen Kreisstadt richtet. »Wir sind fassungslos. Wir wollen es nicht weiter hinnehmen, dass die Protestler die Krise durch Egoismus befeuern«, heißt es in der Eingabe. Natürlich sei man pandemiemüde. Aber man sei auch wütend über die Protestierenden, die Regeln und das gesellschaftliche Miteinander verachteten. »Meiningen ist und soll auch fortan kein Platz der Coronaleugner sein.« Etwa 1800 Menschen haben diesen Text inzwischen mit ihrem Namen gezeichnet, was für eine lokale Petition beachtlich ist.

Ein drittes, analoges Beispiel ist die Menschenkette, welche die inzwischen recht bekannte zivilgesellschaftliche Gruppe »Omas gegen Rechts« am 8. Januar in Erfurt organisiert hatte. Auf dem Domplatz reihten sich Hunderte Menschen mit Masken und Abstand aneinander, um zu zeigen, dass trotz Pandemie und der gegenteiligen Behauptung einer Minderheit in Deutschland durchaus Freiheit, Frieden und Demokratie gelebt werden. »Wir wollen nicht mehr leise sein. Wir haben Dummdenker, Neonazis und Spaziergänger satt«, hieß es in einem Aufruf für diese Kundgebung. Sie alle seien nicht »das Volk«.

In Jena hat sich vor einigen Wochen ein Bündnis namens »Jena solidarisch« gegründet, das von nun an jeden Montag Menschen zu einem friedlichen und kreativen Protest gegen die Aufmärsche von Coronaleugnern und Impfgegnern in der Stadt versammeln will. »Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Jena trägt die Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie mit, verhält sich solidarisch und nimmt das Impfangebot an«, sagt eine Sprecherin des Bündnisses. »Wir wollen, dass diese Mehrheit öffentlich wahrgenommen wird und nicht eine kleine, aber lautstarke Minderheit alles dominiert«, lautet ihre Forderung.

Getrieben wird dieser zunehmend bestimmter auftretende Gegenprotest auch von der Gewissheit, dass es vor allem Anhänger der ungeimpften Minderheit sind, die die Coronazahlen hochtreiben und damit das Fundament dafür legen, dass Deutschland von einem normalen Leben mit dem Virus auch am Ende des zweiten Pandemiejahres weit entfernt ist. Einer Hochrechnung des Physikers Dirk Brockmann zufolge sind Ungeimpfte zu 80 bis 90 Prozent der aktuellen Corona-Infektionen auf die eine oder die andere Art beteiligt.

Monika Detz hat am eigenen Leib erfahren, was diese abstrakte Aussage des Berliner Wissenschaftlers bedeutet. Obwohl sie zweifach gegen Corona geimpft war, hat sie sich vor einiger Zeit mit dem Virus infiziert, angesteckt bei einer ungeimpften Person, der sie nicht habe ausweichen können, wie sie sagt. Immerhin hatte sie dank Impfung vorübergehend nur ihren Geschmackssinn verloren, schwere Covid-19-Symptome blieben ihr erspart. Doch die Infektion hat sie eben noch müder gemacht. Und noch wütender.

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