- Berlin
- Nachwuchsprobleme
Mehr Azubis in Backstuben
Seit Jahren wächst das Interesse am Bäckerei-Handwerk, im Verkauf fehlt es
Roggenbrote, Körnerbrote, Bio-Brote, Bauernbrote, Kümmelstangen, Schrippen und Pfannkuchen: Während sich das Fernsehturm-Restaurant am Alexanderplatz beständig um sich selbst dreht und den Besucher*innen einen Ausblick über die Stadt verschafft, dreht sich an diesem Dienstag eine große Variation an Backwaren und der dazugehörigen Bäcker*innen mit. Einige der größten zur Schau gestellten Brote verraten mit ihren Aufschriften, warum das traditionelle Grundnahrungsmittel im Vordergrund steht: »1272 bis 2022« und »750 Jahre Backhandwerk in Berlin« steht auf den Laiben. Die Bäcker-Innung Berlin läutet das Festjahr zu ihrem 750-jährigem Bestehen ein.
»Wir erleben eine Renaissance des Bäckerhandwerks«, sagt Christa Lutum, Obermeisterin der Innung, während des Auftakts zum Jubiläum. Denn in den vergangenen Jahren sei das Interesse der Gesellschaft an hochwertigen und regionalen Backprodukten gewachsen, was den Bäckereibetrieben in der Hauptstadt einen Aufschwung verschafft habe. Inzwischen gebe es 145 Betriebe in Berlin, vor fünf Jahren seien es noch 130 gewesen. »Die Menschen ernähren sich bewusster und achten auf regionale und hochwertige Produkte. Gerade während der Pandemie schätzen viele Kund*innen den vertrauensvollen Umgang in einer Bäckerei in der Nachbarschaft«, so Johannes Kamm, Geschäftsführer der Innung.
Von den 145 Berliner Betrieben seien 61 Mitglied der Innung - ein freiwilliger Zusammenschluss, der als Interessenvertretung die Mitglieder rechtlich, wirtschaftlich und fachlich unterstützt. Darüber hinaus verleiht die Bäcker-Innung alle zwei Jahre die Goldene Brezel, ein Qualitätsmerkmal für Bäckereien, die gewisse Anforderungen an die Backwaren, die Ausbildungsdurchführung, die Fortbildungen für Mitarbeitende und die Hygiene erfüllen.
Eine aktuelle Trägerin der Goldenen Brezel ist die Spandauer Bäckerei und Konditorei Zimmermann. »Du brauchst eine Menge Selbstdisziplin, du musst dein Leben anpassen. Aber arbeitsmäßig ist es das Beste, was es gibt«, sagt Inhaber Wolfgang Zimmermann über seinen Beruf. Jeden Tag steht er in der eigenen Backstube und produziert Brot, Brötchen und weitere Backwaren. Die Arbeitsbedingungen findet er in Ordnung.
»Es gibt immer Abwechslung, zum Beispiel durch die Jahreszeiten. Und nichts ist besser, als im Hochsommer um acht Uhr morgens Feierabend zu machen und ins Schwimmbad zu fahren«, schwärmt Zimmermann. Trotzdem fehlen auch seinem Betrieb die Fachkräfte im Verkauf und in der Backstube. Deshalb müsse eine der vier Verkaufsstellen in Spandau, Charlottenburg und Potsdam schon seit einer Weile geschlossen bleiben, sagt der Bäckermeister.
»Die Zeiten, in denen 100-Kilo-Säcke geschleppt werden müssen, sind vorbei. Inzwischen sind auch 50-Kilo-Säcke eher die Ausnahme«, sagt Innung-Geschäftsführer Johannes Kamm zu den Arbeitsbedingungen in der Backstube. Auch Obermeisterin Christa Lutum findet, die Arbeitsbedingungen im Backhandwerk haben sich verbessert. »Bei uns in der Backstube steht alles auf Rollen, damit weniger getragen werden muss«, sagt sie. Auch die Arbeitszeiten seien inzwischen nicht mehr zwingend die klassischen von drei Uhr morgens bis elf Uhr vormittags. Es gebe stattdessen Alternativen. In einigen Bäckereien werde etwa den ganzen Tag über im Schichtsystem gebacken, andere hätten am Wochenende nicht mehr geöffnet, sagt Lutum. »Es gibt inzwischen auch neue Kühltechnologien, bei denen ein Brot zum Beispiel im Kühlfach noch fertig reift über Nacht und dann morgens nur noch in den Ofen geschoben werden muss«, ergänzt Johannes Kamm.
So habe sich in den vergangenen Jahren das Interesse an einer Ausbildung im Bäckereihandwerk deutlich gesteigert, rund 30 Prozent mehr Menschen als noch vor fünf bis sechs Jahren würden eine Lehre beginnen. In diesem Ausbildungsjahr hätten in Berlin 47 Menschen eine Ausbildung in der Backstube angefangen, das seien zwei mehr als im vergangenen Jahr, sagt Kamm.
Allein im Verkauf sehe die Situation nicht so rosig aus: Es fehle an Fachkräften, und auch die Ausbildung sei weniger beliebt, so Kamm. Im vorherigen Ausbildungsjahr haben berlinweit 45 Auszubildende das erste Lehrjahr begonnen, aktuell seien es nur 40. In beiden Bereichen ist außerdem die Abbrecher*innenquote hoch: Ein Drittel aller Azubis schmeißen die Ausbildung hin, so Kamm.
Zum Festjahr plant die Bäcker-Innung noch einige Programmpunkte. Ein Höhepunkt wird die Weltmeisterschaft der Bäckerjugend in der Woche nach Pfingsten sein. Letztes Jahr gewannen die jungen Bäckereigesell*innen Lisa Sophie Schultz und Moritz Metzler den Titel für Deutschland in Lyon, deshalb wird die Meisterschaft dieses Jahr in Berlin ausgetragen. Außerdem werde am 14. September ein Festakt im Roten Rathaus veranstaltet, dort sollen auch die neuen Preisträger*innen der Goldenen Brezel bekanntgegeben werden, erklärt Lutum.
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