- Politik
- Rentenpläne der Ampel
Das Renten-Versprechen und der Bluff
Die Renten vieler Menschen waren zuletzt niedriger als vor 20 Jahren. Die Ampel-Koalition hat nun zugesagt, die gesetzliche Rente zu stärken und auf neue Kürzungen zu verzichten. Doch ihr Finanzierungsvorschlag ergibt keinen Sinn
Eine gute und verlässliche Rente nach vielen Jahren Arbeit ist für die Beschäftigten wichtig«, schreiben die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag. Das ist wohl wahr, allerdings ist für viele Menschen die Rente weder gut noch verlässlich. Das gilt gerade für Menschen, die jahrelang für wenig Geld gearbeitet oder unbezahlt Kinder betreut haben. Auch die Bezüge bei mittlerem Einkommen sind bescheiden. So erhielten männliche Rentner in Westdeutschland zuletzt im Durchschnitt eine Altersrente von 1210 Euro ausbezahlt. In Ostdeutschland waren es 90 Euro mehr, wobei Neurentner dort mittlerweile weniger als im Westen erhalten.
Was »Rentenniveau« bedeutet: Das Rentenniveau betrug zuletzt 48,7 Prozent. Das heißt: Eine sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die 45 Jahre lang immer ein Durchschnittseinkommen bezogen hat, erhält als Rentnerin 48,7 Prozent des aktuellen Durchschnittseinkommens. Im Jahr 1990 waren es noch 55 Prozent.
Die Rentenhöhe: Ostdeutsche Männer erhielten zuletzt im Durchschnitt eine gesetzliche Altersrente von 1300 Euro im Monat ausgezahlt. Die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung sind hier schon abgezogen, Steuern noch nicht. Rentner im Westen kamen auf 1210 Euro, Frauen im Osten auf 1075 Euro und Frauen im Westen auf 730 Euro. Diese Beträge beziehen sich auf alle Menschen, die vor dem Jahr 2020 in Rente gegangen sind.
Der organisierte Abwärtstrend: Abzüglich Inflationsrate waren die durchschnittlichen Renten von Männern im Jahr 2020 niedriger als 20 Jahre zuvor. Das ergibt eine neue Auswertung des Verteilungsforschers Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Demnach sanken nach der Jahrtausendwende die preisbereinigten Renten deutlich, was laut Grabka vor allem zwei Gründe hatte: Zum einen war die Lohnentwicklung schwach, wegen der hohen Arbeitslosigkeit, geringer Lohnforderungen von Gewerkschaften und der Förderung von Niedriglöhnen durch die damalige rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder. Zum anderen beschloss Rot-Grün 2001 zusammen mit der Riester-Rente eine Reform, die das Rentenniveau senkte.
Seit 2013 steigen die realen Altersbezüge wieder, insbesondere weil seither die Lohnzuwächse wieder höher sind, erläutert der DIW-Forscher.
Die reale Entwertung bis 2013 ist aber bei männlichen Rentnern noch immer nicht wieder aufgeholt, weswegen die Bezüge preisbereinigt bis heute niedriger sind als nach der Jahrtausendwende. Dabei ist die Wirtschaftsleistung in diesem Zeitraum preisbereinigt um rund 20 Prozent gestiegen.
Die realen Renten von Frauen sind seit dem Jahr 2000 gestiegen, was dem DIW-Wissenschaftler Grabka zufolge vor allem daran liegt, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen deutlich gestiegen ist. Es gibt immer weniger Frauen, die gar nicht berufstätig sind. In Westdeutschland arbeiten dabei viele in Teilzeit, weswegen ihre Renten im Schnitt besonders niedrig sind.
Der Anteil der Armen: Die Armutsquote bei den über 64-Jährigen betrug zuletzt 16,4 Prozent. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes war sie damit erstmals seit 2005 etwas höher als in der Gesamtbevölkerung.
Als arm oder armutsgefährdet werden Menschen bezeichnet, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Bei Singles bedeutet dies, dass sie monatlich weniger als 1126 Euro haben.
In den vergangenen Jahren ist die Armutsquote unter über 64-Jährigen laut Statistischem Bundesamt so stark gestiegen wie in keiner anderen Altersgruppe: Im Jahr 2005 waren elf Prozent der Älteren arm, 2019 waren es bereits 15,7 Prozent. Die Zeitreihe des Bundesamts endet 2019, weil es danach seine Datenerhebung geändert hat. Im Jahr 2020 betrug die Armutsquote nach der jüngsten Erhebung 16,4 Prozent. Eva Roth
Preisbereinigt waren die Bezüge der männlichen Rentner damit niedriger als zur Jahrtausendwende. Das zeigt eine neue Analyse des Verteilungsforschers Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die »nd.DieWoche« vorliegt. Die Altersrenten von Frauen sind zwar gestiegen, was mit der längeren Erwerbstätigkeit zu tun hat. Sie sind aber weiterhin niedriger als die der Männer. Im Westen erhalten Frauen im Schnitt gerade einmal 730 Euro im Monat.
Nach Ende ihrer Erwerbstätigkeit geraten Menschen denn auch immer öfter in finanzielle Not. Die Armutsquote bei den über 64-Jährigen ist in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie in keiner anderen Altersgruppe. Der Anteil der Armen unter Älteren war zuletzt erstmals seit 2005 höher als in der Gesamtbevölkerung, das zeigen Erhebungen des Statistischen Bundesamts. Die Politik hat mit der Förderung von Niedriglöhnen und Rentenreformen zu alldem wesentlich beigetragen.
Die Zusage der Ampel ...
Nun verspricht die rot-grün-gelbe Koalition, sie werde die gesetzliche Rente stärken. Bei der Frage, woher die Mittel dafür kommen sollen, legt sie allerdings einen Vorschlag vor, der nicht funktioniert. Nicht nur deshalb erwartet der Sozialforscher Gerhard Bäcker eine Debatte über Sozialabbau.
Was die Höhe der Altersbezüge angeht, findet sich im Koalitionsvertrag neben vagen Vorhaben eine konkrete Festlegung: »Wir werden das Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft sichern«, heißt es darin. In den vergangenen Jahrzehnten ist dieses Niveau stark gesunken: von 55 Prozent nach der Wiedervereinigung auf zuletzt 48,7 Prozent. Das bedeutet: Abhängig Beschäftigte erhalten von der Rentenkasse heute weniger Geld, gemessen an ihrem Einkommen während ihrer Berufstätigkeit.
Verantwortlich dafür sind Reformen, die die Rentenausgaben und damit die Beiträge auf Löhne begrenzen sollten. Bislang ist die Politik davon ausgegangen, dass das Rentenniveau langfristig weiter sinkt. Nun soll es also stabil bleiben. Damit das möglich ist, sind erheblich mehr Mittel nötig, denn in den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Ruhestand.
... und woher die Mittel kommen sollen
Woher will die Ampel das zusätzliche Geld nun nehmen? Die Rentenbeiträge sollen in dieser Legislaturperiode auf maximal 20 Prozent des Bruttolohns steigen. Das wird nicht reichen, um das Versprechen einzuhalten und das weiß auch die Koalition. Darum nennt sie eine andere Finanzierungsquelle: die sogenannte Aktienrente. Um die Altersbezüge und den Beitragssatz zu stabilisieren, »werden wir in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen«, kündigt die Ampel an. In einem ersten Schritt sollen aus Bundesmitteln zehn Milliarden Euro in einen Kapitalstock fließen, der seine Mittel an der Börse anlegt.
Dieses Finanzierungsmodell »ergibt keinen Sinn«, sagt der Sozialforscher Gerhard Bäcker »nd.DieWoche«. Denn die zehn Milliarden sollen angelegt werden in der Hoffnung, dass mit den Aktien und Anleihen nach und nach hohe Renditen erzielt werden. Das ist die Idee der sogenannten kapitalgedeckten Rente. Das Geld steht also zunächst einmal nicht zur Verfügung. »Wenn man das Rentenniveau stabilisieren will, sind aber in den kommenden Jahren erheblich mehr Mittel nötig«, betont der Senior Professor am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. »Dieses Geld muss also zusätzlich zu den zehn Milliarden für den Kapitalstock aufgebracht werden.« Da die Koalition keine andere Finanzierungsquelle nennt, ist es naheliegend, dass das Geld aus dem Bundeshaushalt kommt.
Doch der Bund werde in den nächsten Jahren extreme Finanzierungsprobleme bekommen, sagt Bäcker. Denn einerseits hat sich die Ampel enge fiskalpolitische Grenzen gesetzt: Die Schuldenbremse soll bald wieder greifen, höhere Steuern hat sie ausgeschlossen. Andererseits »brauchen alle Sozialversicherungen mehr Mittel - die Bundesagentur für Arbeit, die Kranken- und Pflegeversicherung ebenso wie die Rentenkasse. Aus diesem selbst gesetzten Dilemma muss die Ampel einen Ausweg suchen.«
Ein in der Vergangenheit oft beschrittener Weg sei es, Sozialleistungen zu kürzen, wo auch immer. Mit ihren fiskalpolitischen Vorhaben hat die Ampel-Koalition demnach eine Debatte über Kosten und Kürzungen des Sozialstaats bereits angelegt. Die zehn Milliarden Euro für die »Aktienrente« verschärfen dabei dem Forscher zufolge die Finanzierungsnöte noch ein bisschen.
»Mir fällt keine gute Begründung dafür ein«
Aber warum plant die Koalition dann überhaupt den Einstieg in die Aktienrente? »Mir fällt keine gute Begründung dafür ein«, sagt der Rentenexperte des DIW, Johannes Geyer. In den Fonds müssten Milliardensummen fließen, damit irgendwann so viel Geld im Topf ist, dass ein relevanter Teil der Renten daraus bezahlt werden kann - vorausgesetzt, die Renditen sind hoch genug. »Man bräuchte mindestens 300 Milliarden Euro. Dann könnte man hoffen, jährlich 15 Milliarden Kapitalerträge zu erzielen, die dann an Rentner ausgeschüttet werden«, sagt Geyer.
Doch selbst diese 15 Milliarden sind nicht so viel: »Die Deutsche Rentenversicherung überweist täglich knapp eine Milliarde an Versicherte«, betont Geyer.
Eigentlich ist eine Umstellung nicht nötig
Bislang funktioniert die gesetzliche Rente umlagefinanziert. Das bedeutet, die derzeit Beschäftigten zahlen Beiträge, die sofort an die derzeitigen Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt werden. »Diese Umlagefinanzierung ist eigentlich stabil«, sagt der DIW-Forscher. »So gesehen ist eine teilweise Umstellung auf eine Kapitaldeckung nicht nötig.«
Hinzu kommt, dass es bei der Altersvorsorge bereits kapitalgedeckte Elemente gibt, die darauf basieren, dass über Jahre Geld angelegt wird, nämlich die Riester-Rente und viele Betriebsrenten. Möglicherweise ist der Zehn-Milliarden-Fonds ein Versuch, tatsächlich langfristig auch in der gesetzlichen Rentenversicherung eine kapitalgedeckte Säule zu etablieren, überlegt Geyer.
Sicherer würde die Rente dadurch nicht. Aber womöglich ließe sich so eher durchsetzen, dass Unternehmen in diese Säule nichts oder nur wenig einzahlen. Bei der Riester-Rente sind sie jedenfalls schon außen vor. Die Mittel hierfür müssen Beschäftigte aufbringen und der Staat zahlt Zuschüsse.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.