- Politik
- Erinnerungskultur
Gedenkstätte statt Werkstatt
Bremer Initiativen fordern, die Würde von Naziopfern zu bewahren
Viele sowjetische Kriegsgefangene, die das Hitlerregime in Bremen als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie schuften ließ, überlebten die Schinderei nicht. Begraben wurden sie im Stadtteil Oslebshausen nahe dem Straßenzug Reitbrake. Fortan wurde das Gelände von vielen Bremern »Russenfriedhof« genannt. Auf ihm will die französische Firma Alstom - sie produziert Schienenfahrzeuge - eine Bahnwerkstatt errichten und dafür 760 Millionen Euro investieren.
Sind solche Vorhaben mit der Ruhe und Würde von Toten vereinbar, die künftig unter einem Werkstattkomplex liegen könnten? Nein, meinen die Bürgerinitiative Oslebshausen und das Bremer Friedensforum. Die in der Hansestadt dann und wann zu hörende Frage, ob sich im »Russenfriedhof« noch sterbliche Überreste von Kriegstoten befinden, ist jüngst durch einen Fund erneut beantwortet worden. Bei Grabungen wurden neun Skelette entdeckt, die von sowjetischen Gefangenen stammen. Viele ihrer Kameraden waren bereits 1948 auf den Osterholzer Friedhof im Südosten Bremens umgebettet worden. Im vergangenen Jahr hatte der Senat jedoch mitgeteilt, dass das Areal an der Reitbrake noch bis zu 300 Verstorbene bergen könnte. Das sei Dokumenten zu entnehmen.
Friedensforum und Bürgerinitiative fordern angesichts der aktuellen Funde eine Expertenkommission aus Historikern, Völkerrechtlern und Ethikern, die der Bürgerschaft eine verbindliche Empfehlung zum Umgang mit der Kriegsgräberstätte in Oslebshausen geben könnte. Ein solches Gremium wird nun auch vom Landesparteitag der Linkspartei verlangt. Weiter wird von den Kritikern der Werkstattpläne die Untersuchung des gesamten Russenfriedhofs mit seinen 20 000 Quadratmetern gefordert. Bisher wurden die Grabungen, bei denen rund 2000 Knochen gefunden worden waren, auf einen sogenannten »Kernfriedhof« beschränkt.
Lesen Sie auch »NS-Zwangsarbeit: Unsichtbare Geschichte entdecken« von Hendrik Lasch
Das gründliche Untersuchen ist auch mit Blick auf ein Versprechen von Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) wichtig. Er hatte anlässlich des Volkstrauertages 2021 angekündigt, die an der Reitbrake gefundenen Überreste von Kriegstoten sollten in das Ehrenfeld des Kriegsgräberfriedhofs in Osterholz umgebettet werden.
Es dürfte jedoch damit zu rechnen sein, dass bei den Grabungen der Landesarchäologie nicht alle auf dem Russenfriedhof ruhenden Menschen entdeckt werden. Sie würden weiter an der Reitbrake liegen, während über ihnen eine Bahnwerkstatt gebaut wird. Sollte Bovenschulte dies zulassen, so die Bürgerinitiative, würde er die Reputation Bremens beschädigen. Es sei höchste Eisenbahn, dass er sich um Alternativen für die Bahnwerkstatt kümmert, betont Dieter Winge. Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum fordert für das Areal Reitbrake eine Gedenkstätte. Eine solche gehöre »an diesen Ort, in geografischem Kontext zu den Nazi-Verbrechen. Alles andere würde die Opfer und ihre Angehörigen verhöhnen«, gibt Lentz zu bedenken.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.