• Berlin
  • »Aufstand der letzten Generation«

Straßenblockaden gegen Hungersnöte

Klima-Gruppe stoppt Berliner Verkehr - und kündigt weitere Aktionen an, um die Politik unter Druck zu setzen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Carla Rochel (vorne links) und Michael Winter (rechts daneben) sitzen noch auf der Straße, während die Polizei ihre Mitstreiter*innen an den Straßenrand zerrt.
Carla Rochel (vorne links) und Michael Winter (rechts daneben) sitzen noch auf der Straße, während die Polizei ihre Mitstreiter*innen an den Straßenrand zerrt.

Carla Rochel ist aufgeregt. »Ich habe Angst, das wird nicht cool, da zu sitzen«, sagt die 19-jährige Studentin aus Heidelberg zu »nd«. Sie ist nach Berlin gekommen, um mit anderen Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsgruppe »Aufstand der letzten Generation« Straßen zu blockieren. So was hat sie noch nie gemacht. Aber noch größere Angst hat sie vor Hitze und Dürrekatastrophen infolge der Klimakrise. »Und die Bundesregierung tut dagegen nicht, was sie sollte«, findet sie.

Was ist der »Aufstand der letzten Generation«?

Die Klimagerechtigkeitsgruppe »Aufstand der letzten Generation« hat sich im Spätsommer 2021 gegründet. Sie heißt so, weil die jetzige Generation nach Ansicht der Aktivist*innen die letzte ist, die etwas gegen die Klimakrise unternehmen kann.

Kernanliegen der Gruppe ist die Nahrungsmittelsicherheit. Deswegen fordern sie ein Wegwerfverbot für Lebensmittel und eine Agrarwende bis 2030.

Einige Aktivist*innen waren im August 2021 im Hungerstreik, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bei der Klimakrise um Leben und Tod geht.

Damit erstritten Aktivistinnen ein öffentliches Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), in dem sie ihre Forderungen stellten und die Blockaden ankündigten.

Außerdem machte die Gruppe mit öffentlichen Container-Aktionen auf sich aufmerksam. ltb

Deshalb geht sie am Freitagmorgen um 8 Uhr mit etwa 15 Mitstreiter*innen entschlossen auf die Straße, genau genommen auf die Autobahnabfahrt der A114 in Pankow, rollt dort ihr schwarzes Banner mit der orangefarbenen Ähre aus - das Logo der Gruppe - und setzt sich schließlich auf den feuchten Asphalt, Auge in Auge mit den Autos, die an dieser Stelle gestoppt werden. Es tue ihr zwar leid für die Menschen, die nun im Stau stehen müssen, »aber wir müssen die größtmögliche Störung verursachen, damit die Regierung uns nicht ignorieren kann«, erklärt Rochel.

»Essen retten, Leben retten« ist das Aktionsmotto des »Aufstands der letzten Generation«. Die Gruppe fordert von der neuen Bundesregierung ein Wegwerfverbot für Lebensmittel, wie es in Frankreich bereits existiert. Große Supermärkte sollen verpflichtet werden, Essen, das noch genießbar ist, zu spenden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat die Klimaschutzinitiative German Zero bereits ausgearbeitet. »So ein Essen-Retten-Gesetz kostet nichts und wäre sehr leicht umsetzbar«, sagt Michael Winter zu »nd«. Er gehört zu den älteren Aktivist*innen der »letzten Generation« und hat bei dem Einsatz gegen die Klimakrise unter anderem die Zukunft seiner Nichten im Kopf.

Klimaaktivistinnen verzieren Bundeskanzleramt. »Aufstand der letzten Generation« fordert ein Essen-Retten-Gesetz und eine Agrarreform

Dass 30 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen werden, während 1,6 Millionen Menschen in Deutschland auf Essen der Tafeln angewiesen sind, nennt Aufstand-Sprecherin Carla Hinrichs »kompletten Irrsinn«. Da Lebensmittel aufgrund der Klimakrise immer knapper würden, »sehen wir uns gezwungen, die Bundesregierung an ihre Verantwortung zu erinnern«, erklärt sie. Die zweite, langfristigere Forderung der Gruppe ist eine Agrarwende, weg von der industriellen, hin zu einer ökologischen, regenerativen Landwirtschaft, die den Böden, der Artenvielfalt und dem Klima nicht schadet. Diese Maßnahme wurde 2021 bereits vom Klima-Bürger*innenrat vorgeschlagen.

»Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft alle Menschen ernähren wollen«, sagt Aktivistin Aimée van Baalen zu »nd«. Wenn es so weitergehe wie bisher, »dann steuern wir auf eine zwei Grad wärmere Welt zu und das bedeutet Dürren und dadurch Hungerkatastrophen, auch bei uns in Deutschland«, fürchtet sie.

Die erste Blockade der A114 hält jedoch nicht lange an. Nach wenigen Minuten ist die Polizei vor Ort und fordert die Aktivist*innen auf, die Fahrbahn zu verlassen. Als die sich weigern, tragen und schleifen die Beamt*innen eine Person nach der anderen auf den Gehweg und bauen sich in einer langen Reihe vor ihnen auf, sodass sie nicht zurück auf die Straße können. Die Aktions-Teilnehmer*innen wehren sich nicht, sie wollen gewaltfrei bleiben. Einige kommen mit den Polizist*innen ins Gespräch. »Da bin ich ja ganz bei ihnen, dass sich was ändern muss. Aber das dauert eben«, sagt einer von ihnen zur Aktivistin Sibylle Eimermann. Sie erwidert, dass es nicht mehr viel Zeit gebe, um etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen. »Aber ich habe den Eindruck, dass die Polizist*innen als Menschen verstehen, warum wir das tun«, sagt sie zu »nd«. Gegenüber den Journalist*innen sind die Beamt*innen weniger freundlich. »Sie dürfen hier keine Fotos machen«, sagt eine Polizistin unwirsch.

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Neben der A114 wurde am Montagmorgen von einer weiteren Gruppe die Autobahnauffahrt der A103 in Steglitz blockiert. Dort wurde ein Dutzend Menschen von der Polizei von der Straße gezogen und festgenommen. »Das zeigt, dass wir an den richtigen Stellen blockieren. Wir werden so lange weitermachen, bis die Bundesregierung die Ernährung unserer Bevölkerung sicherstellt«, erklärt Carla Hinrichs.

Genau das planen auch die Aktivist*innen in Pankow, nachdem sie ihre erste Aktion nach zwei Stunden, gegen 10 Uhr, freiwillig beendet haben. Keine drei Stunden später sitzen sie wieder auf der Straße, diesmal an der Granitzstraße, Ecke Prenzlauer Promenade (B109). Auch sie wurden anschließend festgenommen. Insgesamt 25 Personen befinden sich vorübergehend in Polizeigewahrsam. Doch dabei soll es nicht bleiben. An diesem Dienstag sind weitere Autobahn- und Bundesstraßen-Blockaden geplant, genau wie in den nächsten Wochen und Monaten - so lange, bis die Bundesregierung ein Essen-Retten-Gesetz in die Wege leitet.

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Letztlich liege es also in den Händen von Bundesregierung und Bundestag, die Blockaden, die folgen werden, zu beenden. »Olaf Scholz hätte das ja verhindern können«, meint Aimée van Baalen. Bereits im November hatten die Aufstand-Aktivist*innen die Forderungen in einem öffentlichen Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gestellt und die Blockaden angekündigt. »Seitdem ist nichts passiert. Bisher hören wir immer nur, dass es ein wichtiges Thema sei«, sagt Lea Bonasera. Unter anderem hat Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) sich für eine Vereinfachung von Lebensmittelspenden ausgesprochen.

Für dieses Ziel solle von nun an regelmäßig blockiert werden. Die Aktionen am Montag seien erst der Anfang gewesen. »Ich bin nicht bereit, nach einer Blockade wieder nach Hause zu fahren, sondern werde die nächsten Wochen immer wieder kommen. Vielleicht bleibe ich auch noch einige Monate dafür in Berlin«, sagt Carla Rochel. Dafür nimmt sie sogar in Kauf, Vorlesungen und Prüfungen ihres Psychologie- und Politikstudiums in Heidelberg zu verpassen - und im Zweifel auch ins Gefängnis zu gehen. Zwar würden ihre Eltern sich Sorgen um sie machen, »aber vor allem um meine Zukunft«, sagt Rochel. Sie ist überzeugt, dass sich dem Aufstand noch viele entschlossene Aktivist*innen anschließen und sie den Druck auf die Regierung gemeinsam erhöhen werden.

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