Die Grünen als »Kröten«-Partei

Vor ihrem Parteitag kämpfen die Grünen vor allem mit sich selbst

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war Michael Kellners letzter Auftritt im alten Kostüm. Der Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen stellte sich am Mittwochmorgen der Presse, um auf den Online-Parteitag am Freitag und Samstag vorauszublicken. Dann werden nicht nur Robert Habeck und Annalena Baerbock aus der Parteispitze verabschiedet, sondern auch Kellner, der zum Abschied aufgeräumt und mit sich im Reinen wirkte. Er wolle »gar nicht wissen«, was die Partei ihm schenken wird, sagte er lachend, wohl aber habe er »einen Wunsch geäußert«.

Nach acht Jahren im Amt des Parteimanagers wechselte der 44-jährige Thüringer nach der Bundestagswahl mit Habeck ins Wirtschaftsministerium, ist dort Parlamentarischer Staatssekretär und Bundesbeauftragter für den Mittelstand. Ein großer Karriereschritt, keine Frage. Für ihn hat sich die Bundestagswahl ausgezahlt – auch wenn er das so offen natürlich niemals sagen würde, sondern die neuen Möglichkeiten für die Grünen im Gesamten betonte: »Wir haben endlich die Chance, das Land zu gestalten.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Und ja, Kellner hat die Grünen in acht Jahren zu einer politisch bedeutsamen Kraft entwickelt, manchen Streit beseitigt und die Partei koalitionsfähig in alle Richtungen gemacht. Das kann man als Erfolg werten, auch wenn das manchen Parteilinken sicher nicht schmecken mag. »Aus den Gräben« habe er die Grünen geführt, sagte Kellner. »Rekordergebnisse« habe man eingefahren und das »Comeback im Osten« geschafft.

Wahr ist aber auch: Das letzte Jahr lief deutlich weniger rund als erhofft. Vielmehr sind die Grünen, eineinhalb Monate nach der Vereidigung der Ampel-Koalition, eine Partei der »Kröten« geworden – gemessen an der Zahl derer, die sie mittlerweile schlucken mussten. Der misslungene Wahlkampf von Annalena Baerbock, der nach anfänglichen Träumen vom Kanzleramt immer weiter in die Krise führte, war nur der Anfang.

Verzicht auf das Verkehrsministerium

Weiter ging es bei den Koalitionsverhandlungen, in denen etwa das Tempolimit – ein Herzensthema vieler Wähler – schnell vom Tisch war. Außerdem mussten die Grünen auf das begehrte Verkehrsministerium verzichten. Und nach Jahren der Befriedung brach wieder Streit zwischen den Flügeln aus: Der Parteilinke Anton Hofreiter musste im Kampf um einen Platz im Kabinett dem Realo Cem Özdemir weichen, der in seinem Wahlkreis Stuttgart 40 Prozent holte.

Hinzu kommen weitere Nackenschläge. Erstens: Die Grünen hadern mit den Plänen der EU-Kommission, Atom- und Gaskraft als nachhaltig einzustufen. Zweitens: Die Grünen hätten zur Bundespräsidentschaftswahl gerne eine eigene Kandidatin aufgestellt, steckten aber zurück und werden Frank-Walter Steinmeier wählen. Drittens: Die Grünen müssen sich im Umgang mit Russland mit einer SPD einigen, die einen anderen Kurs fahren will. Während Außenministerin Baerbock auf eine harte Linie setzt, pochen prominente Sozialdemokraten auf Annäherung.

»Zum Regieren gehören Kompromisse«, weiß Kellner, der vor allem beruhigt sein kann, dass sich in den letzten 20 Jahren nicht nur die Parteiführung, sondern auch die Basis der Grünen verändert hat. Szenen wie 1999, als Joschka Fischer nach dem Ja der Schröder-Regierung zum Kosovo-Einsatz mit einem Farbbeutel beworfen wurde, dürfte es mit Annalena Baerbock nicht geben – auch wenn sie sich eines Tages für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen sollte.

Risse im »sozialen Gewissen«

Dennoch haben sich die Grünen mehr erhofft. Entsprechend wird es auf dem Parteitag nicht nur darum gehen, mit dem Außenpolitiker und bekennenden Transatlantiker Omid Nouripour vom Realo-Flügel sowie der Sozialpolitikerin und Feministin Ricarda Lang aus dem linken Spektrum eine neue Führung zu wählen. Vor allem müssen die Grünen ihrer eigenen Basis die geschluckten »Kröten« erklären – zumal nun auch Lang, die eigentlich für die Rolle des »sozialen Gewissens« vorgesehen ist, im Fokus der Ermittlungen gegen den bisherigen Bundesvorstand wegen umstrittener Corona-Sonderzahlungen steht.

Auf die Boni angesprochen, wirkte Michael Kellner während der Pressekonferenz gar nicht mehr so locker. Er wiegelte ab und wiederholte, was Ricarda Lang jüngst in einem Talk auf »Phoenix« gleich dreimal am Stück gesagt hatte: »Der Sachverhalt ist schon lange bekannt.«

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