Glaubenskampf in Bratislava

Die Corona-Maßnamen spalten in der Slowakei das Parlament - und finden in der Bevölkerung kaum Akzeptanz

  • Michael Wilkening, Bratislava
  • Lesedauer: 8 Min.

Barbora Franekova hat auch keine Erklärung für die Zerrissenheit in ihrem Land. Die 33-Jährige steht vor ihrem Café in der Altstadt von Bratislava, und zwei kleine Hunde umschmeicheln ihre Beine. Franekova hat Sorge um ihre Stadt, um ihr Land. »Ich hatte Freunde, mit denen ich jetzt nicht mehr reden kann«, sagt sie. Die Pandemie hat Freundschaften gespalten, mehr als in anderen Ländern der Europäischen Union ist der Umgang mit dem Coronavirus zu einer Glaubensfrage geworden. Die Café-Besitzerin spürt das jeden Tag. Ihre Mitarbeiter tragen FFP2-Masken und kontrollieren mittels einer App den Impfstatus der Gäste. »Ich möchte, dass sich die Menschen sicher und gut bei mir fühlen«, sagt Franekova, die sich an die staatlichen Vorgaben hält. In den Cafés, Restaurants und Kneipen in der schmucken Altstadt am Ufer der Donau tun das nicht alle.

Aus den Lautsprechern klingt Popmusik, auf den Ecksofas und vor der großen Fensterfront machen es sich die Menschen bequem. Viele Gäste kommen ins »Fivepoints«, um eine Pause vom Job zu machen oder sich bei einem Cappuccino mit Freunden zu treffen. Die Einnahmen helfen, wenngleich sie nicht auf dem Stand wie vor zwei Jahren sind, in der Zeit vor der Pandemie.

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Das Café von Franekova am Rande der Altstadt gibt es seit fünf Jahren. Die Folgen der Pandemie und besonders die Folgen des Lockdowns im vergangenen Jahr hat die 33-Jährige deutlich gespürt, aber existenzbedrohend sei die Lage für sie bisher noch nicht. Das liegt daran, dass Franekova mehrere berufliche Standbeine hat. Die Slowakin modelt und gibt eine Modezeitschrift heraus. Mit den Einnahmen der anderen Jobs war sie bislang in der Lage, ihre Mitarbeiter pünktlich zu bezahlen. Die Lage für die Café-Besitzerin ist schwierig, keine Frage, aber sie ist nicht prekär.

Das ist nicht bei allen Gastronomen in Bratislava so.

Jakub Rodak* gehört zu denen, die gar nicht daran denken, die Regeln einzuhalten, die von der Regierung verlangt werden. Sein Lokal ist rustikal eingerichtet, es gibt slowakische Spezialitäten, aus der Küche dampft der Geruch von Sauerkraut. Die Speisekarte ist mehrsprachig gehalten, weil Rodak sein Geschäft auf die vielen Touristen ausgerichtet hat, die bis vor zwei Jahren seine Stadt besucht haben. Oft waren große Gruppen bei ihm, die sich auf einer Donau-Rundfahrt vergnügt und deren Schiffe ein paar Hundert Meter entfernt angelegt hatten. Seit zwei Jahren kommen sie kaum noch, das Restaurant befindet sich seither im Notfallmodus.

In Rodaks Laden gibt es keine Covid-Kontrollen, auf dem Weg zur Toilette trägt kaum ein Gast eine Maske, selbst die Kellnerinnen haben sie nicht übergezogen. »Ich kann das alles nicht mehr hören«, sagt der Besitzer, der nur unter der Prämisse für ein Gespräch bereit ist, wenn sein Name und seine Lokalität nicht genannt werden: »Ich brauche Gäste, ich brauche Umsatz, aber ich höre immer nur, was wir alles nicht dürfen.« Rodak respektiert die Regierung nicht, er hat keine der Parteien gewählt, die in Bratislava eine Koalition gebildet haben. »Es ist nicht so wie bei euch in Deutschland«, schimpft er - und verbindet damit den Vorwurf, von der Politik allein gelassen zu sein.

Im November verhängte die Regierung einen harten Lockdown, Geschäfte und Restaurants mussten schließen, nur ein Außerhaus-Verkauf war möglich. Der Umsatz war pandemiebedingt schon vorher zurückgegangen, durch die Schließungen brach er fast komplett ein. Rodak brachte diese Maßnahme an den Rand der Insolvenz, deshalb ist er jetzt nicht mehr bereit, die verhängten Maßnahmen mitzutragen. Staatliche Hilfen wie in Deutschland gibt es nicht, weshalb sich viele Unternehmer in einem Überlebenskampf befinden. Viele von ihnen fühlen sich berechtigt, selbst Regeln aufzustellen, wenn es um die eigene Existenz geht. Rodak ist darauf angewiesen, möglichst viel Umsatz zu machen, für ihn geht es um jeden Euro. Deshalb ist es ihm egal, ob das Geld von geimpften oder ungeimpften Gästen kommt.

Die Läden von Franekova und Rodak sind in der Altstadt nur ein paar Gehminuten voneinander entfernt, beide sagen, dass ihnen das Wohl der Menschen am Herzen liegt, aber sie gehen einen unterschiedlichen Weg, um die Pandemie zu meistern.

Die Gefahr, aufzufliegen, ist für die Verweigerer der Maßnahmen verschwindend gering. Franekova und Rodak hatten noch keine Kontrollen in ihren Läden. Die Umsetzung der Beschlüsse der Regierung werden in Bratislava kaum nachverfolgt. Es bleibt somit praktisch den Gastronomen überlassen, welchen Schutz sie sich selbst und ihren Gästen geben. Rodak sieht das recht pragmatisch, schließlich sei niemand gezwungen, sein Restaurant zu besuchen. Jeder Mensch könne entscheiden, ob er sich dem Risiko aussetze. Die persönliche Freiheit, die in der slowakischen Verfassung festgeschrieben ist, interpretiert er frei.

So ist das überall im Land. Die Quote der vollständig Geimpften beträgt knapp 50 Prozent, was nicht daran liegt, dass zu wenig Impfstoff vorhanden ist. Viele Menschen in Bratislava und mehr noch in den Provinzen weitab der Hauptstadt sind überzeugte Impfgegner. Besser gesagt, für sie ist die Ablehnung einer Injektion ein Protest gegen die Regierung. Während in Deutschland der überwiegende Teil der Parteien die Grundsatzentscheidungen der Regierung in den zurückliegenden beiden Jahren mitgetragen hat, tun sich in der Slowakei selbst innerhalb der Koalition Gräben auf. Oppositionsparteien riefen sogar öffentlich dazu auf, sich nicht impfen zu lassen. Das führte in der Bevölkerung zu deutlich mehr Widerstand gegen die Corona-Politik als in Deutschland. Die Stimmung ist aufgeheizt, viele Menschen sind wütend. Es gab sogar körperliche Angriffe auf mobile Impfteams. Eine Diskussion zwischen den Gruppen ist beinahe unmöglich geworden.

Das blieb auch so, als die Slowakei im vergangenen Herbst europaweit die höchste Inzidenz hatte. Bei der Welle mit der Delta-Variante schnellten die Zahlen rasant nach oben, Ende November lag die Inzidenz bei 1455. Es musste gehandelt werden, und Zuzuna Caputova handelte. Die slowakische Präsidentin verhängte einen harten Lockdown. »Ich weiß nicht, was man noch mehr sehen muss als überfüllte Krankenhäuser, Menschen, die an Beatmungsgeräten sterben, die nicht mehr nach Hause zurückkehren werden«, sagte Caputova. Die 48-Jährige machte sich mit dieser Maßnahme wenig Freunde, denn nach dem Beschluss wuchs der Widerstand der Geimpften ebenso wie derer, die seit fast zwei Jahren gegen die Corona-Entscheidungen der Regierung wettern.

Ehe die Staatspräsidentin ein Machtwort sprach, hatte es kaum Einschränkungen gegeben. Die Vier-Parteien-Regierung in Bratislava konnte sich nur auf wenige Maßnahmen gegen Ungeimpfte einigen, Bewegungs- oder Kontakteinschränkungen waren nicht darunter. Erst kurz vor Weihnachten wurde der Lockdown aufgeweicht. Mitte Januar, als die Infektionszahlen erneut anstiegen, wurde die Sperrstunde auf 22 Uhr festgelegt. Sie gilt noch immer, auch wenn sich nicht alle Gastronomen daran halten. Die Aussicht, noch ein paar Bier oder ein paar Runden Sliwowitz zu verkaufen und damit dringend benötige Euros in die Kassen zu spülen, sorgt dafür, die Regeln zu brechen. Vor allem die kleineren Kneipen und Lokale, so ist der Eindruck, halten sich in Bratislava nicht an die Vorgaben.

In den Dörfern auf dem Land sind die Alleingänge der Menschen noch ausgeprägter. Das berichten die Leute in der Hauptstadt. An den Stammtischen wird noch mehr auf die Entscheidungen der Regierung geschimpft, und Menschen, die sich nicht gegen die Maßnahmen stellen, werden angefeindet.

Barbora Franekova leidet unter dieser Situation. Sie hofft darauf, dass die Menschen in ihrem Land wieder zueinanderfinden, wenn die Pandemie vorüber ist. Sicher ist sie aber nicht, dass dies gelingt. »Bei uns ist vieles kaputtgegangen«, sagt die Café-Besitzerin und schaut die malerische Straße hinab. Früher befand sie sich mit den anderen Lokalen der direkten Nachbarschaft im Wettstreit um Gäste, inzwischen ist daraus ein Glaubenskampf geworden.

Im Augenblick bewegt sich die Sieben-Tage-Inzidenz in der Slowakei auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland. Die Tendenz ist steigend, weil sich die Omikron-Variante in Bratislava und den Provinzen ausbreitet. Bald dürften die Krankenhäuser wieder voller werden, weil die Hälfte der Bevölkerung ungeimpft ist. Eine umstrittene Initiative der Regierung, eine Impfprämie von bis zu 300 Euro für über 60-Jährige auszuloben, hat nicht den erhofften Anschub gebracht, um die stärker gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu schützen. Bis zum 15. Januar galt dieses Angebot, aber kaum jemand hat es in Anspruch genommen. Wer sich bislang gegen eine Impfung ausgesprochen hat, ändert seine Haltung nicht wegen eines finanziellen Anreizes.

Für Rodak galt das Angebot nicht. Der Restaurantbetreiber in der Altstadt ist 41 Jahre alt. Nach eigener Aussage hatte er zu Beginn des vergangenen Jahres bereits eine Coronainfektion. Das sei alles nicht so schlimm gewesen, versichert er. Er wirkt nicht wie ein Verschwörungstheoretiker, an Demonstrationen oder Aktionen gegen die Corona-Maßnahmen hat er sich bislang nicht beteiligt. Er setzt die Beschlüsse in seinem Lokal bloß nicht um. Mit Barbora Franekova hat er sich darüber noch nicht unterhalten. Das würde vermutlich auch keinen Sinn machen.

*Name geändert

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