- Wirtschaft und Umwelt
- Corona-Maßnahmen
Der Omikron-Booster
Derzeit verbreitern viele Geimpfte ihren Immunschutz per Durchbruchsinfektion. Für Ungeimpfte gilt das nicht
»Das kann doch nicht wahr sein!« So reagierte Charlotte Petersen (Name geändert), als sie das Ergebnis ihres Corona-Schnelltests sah: positiv. Zweimal mit Biontech geimpft, vor drei Monaten eine Infektion vermutlich mit der Delta-Variante, hat nun offenbar Omikron einen Weg gefunden, ihr Immunsystem zu überlisten. Die erneute, praktisch symptomlose Infektion der 23-Jährigen wäre wohl gar nicht aufgefallen, müsste sie sich als Leistungssportlerin, die in ihrer Disziplin zu den Topathleten in Deutschland zählt, nicht regelmäßig testen lassen. Erneut wird ihre Saisonvorbereitung empfindlich gestört.
So wie Petersen geht es derzeit sehr vielen Menschen in Deutschland und anderswo. Was wegen der damit verbundenen Isolation häufig vor allem lästig ist oder wie bei der Sportlerin zur Unzeit kommt, nehmen Immunologen wohlwollend zur Kenntnis. Impfung plus Infektion bringt das, was sie Kreuzimmunität nennen. Und diese bietet nach derzeitigem Forschungsstand den robustesten Schutz vor allem, was in der Corona-Pandemie wohl noch kommt. Die bisherigen Impfstoffe haben dem Immunsystem gezielt den Hauptübeltäter, das Spike-Protein, das für das Andocken an den Körperzellen zuständig ist, präsentiert. Bei einer Infektion macht es Bekanntschaft mit dem ganzen Virus.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Für Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der TU München, zählt eine Durchbruchsinfektion bei doppelt Geimpften »genauso als Booster wie eine Booster-Impfung«. Eine dritte Impfung sei dann »aus virologischer, immunologischer Sicht« nicht mehr nötig. Protzers fachliche Erklärung: »Wenn ich mehrfach Kontakt hatte, dann wird meine Immunantwort immer breiter, und dann kann ich auch neuere Varianten noch erkennen.«
Angesichts der vielen Durchbrüche in der gerade durchlaufenden, sehr großen Omikron-Welle wird die Immunantwort bei sehr vielen Menschen einerseits breiter. Andererseits, wie Studien zeigen, nimmt auch die Qualität der Antikörper dadurch zu. Alle Virologen werden indes nicht müde zu betonen, dass die Reihenfolge Impfung-Infektion unbedingt einzuhalten ist.
Unter manchen Impfskeptikern oder einfach nur Leichtsinnigen geistert die Vorstellung herum, sich bewusst mit Omikron zu infizieren, da diese Variante meist zu milden Verläufen führt, um sich so zu immunisieren. Das ist schon aus praktischen Erwägungen heraus Unsinn: Den für die Teilnahme am öffentlichen Leben wichtigen Genesenenstatus verliert man künftig formal schon drei Monate nach dem Freitesten. Die Verkürzung der Frist ist zwar immunologisch eigentlich nicht zu begründen, aber politisch beschlossen ist sie trotzdem. Außerdem: Wer sich ungeimpft infiziert, hat nach wie vor ein viel zu hohes Risiko, mit schwerer Lungenerkrankung in der Klinik oder auf der Intensivstation zu landen. Selbst die Älteren unter den Geimpften oder Vorerkrankte sollten alles dafür tun, eine Infektion zu vermeiden. Zumal die mit Blick auf die Erkrankungsschwere gefährlichere Delta-Variante auch noch unterwegs ist.
Eine weitere wichtige Warnung an alle, die sich jetzt, ungeimpft, erstmals infizieren, birgt eine neue Preprint-Studie unter Leitung von Rahul K. Suryawanshi vom Glad-stone Institute in San Francisco: Eine Infektion mit der früheren Alpha-Variante bot noch einen recht guten Schutz vor Delta. Bei der stark mutierten Variante Omikron gilt das kaum noch: »Es gibt immunologische Hinweise, dass, wenn man sich quasi im naiven Zustand einmal mit Omikron infiziert, keinen guten Schutz vor Infektion mit der Delta-Variante hat und auch umgekehrt«, erläutert Leif-Erik Sander, Chef-Infektionsimmunologe an der Berliner Charité.
Diese Erkenntnis ist für die Zukunft auch deshalb relevant, weil völlig unklar ist, wie sich die Coronalage in Deutschland nach der binnen weniger Wochen durchgelaufenen Omikron-Welle und erst recht im Herbst darstellen wird. Dominiert dann ein leicht mutiertes Omikron, eine völlig neue Variante oder übernimmt Delta wieder das Zepter?
Unsere Sportlerin kann dem wohl ziemlich entspannt entgegenblicken. Doppelt geimpft plus doppelt geboostert mit zwei verschiedenen Varianten, dürfte einen starken Immunschutz bieten. Ganz so clever sind Viren nun auch wieder nicht.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!