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Die Vergessenen im Haus des Lichts
Katholische Ordensschwestern kümmern sich in Damaskus um Senioren, die ihre Familien verloren haben.
Für die Männer im Beit Nour ist es eine Überraschung. Eine kleine Delegation von Schwestern des katholischen Salesianer-Ordens hat Geschenke für sie. Jeder Bewohner erhält einen Pullover, der in einer Zeremonie überreicht werden. Das ist eine Abwechslung von dem sonst gemächlichen und eher gleichförmigen Alltag in dem Seniorenwohnheim in der Altstadt von Damaskus.
Beit Nour heißt so viel wie Haus des Lichts und wird von Schwestern des Mutter-Theresa-Ordens geleitet. Die Ordensfrauen kommen aus aller Welt, um den Armen und Schwachen in Syrien zu dienen. Vier Schwestern im Beit Nour werden von drei Helfern unterstützt, um die 26 Bewohner zu versorgen. Zwei Frauen bereiten in der Küche die Mahlzeiten zu. Die Schwestern stehen nicht gern im Licht der Öffentlichkeit. Fotos und Tonbandaufnahmen sind nicht gern gesehen. Auf den Einwand, dass die Öffentlichkeit doch erfahren solle, wie wichtig ihre Hilfe sei, entgegnet eine der Schwestern: »Unsere Arbeit ist für Gott, das reicht.«
Offener sind jedoch die Schwestern des Salesianer-Ordens, die das Beit Nour besuchen, um die Geschenke zu überbringen. Schwester Carol Tahan leitet die Delegation. Sie stammt aus Aleppo und leitet das Italienische Krankenhaus in Damaskus, das 1913 von den Salesianern gegründet wurde. Vor dem Krieg war das »Ospedale Italiano« eine der angesehensten Kliniken in Damaskus. Doch während des Bürgerkriegs haben viele Ärzte, Medizintechniker, Therapeuten und Pfleger das Land verlassen. Seitdem herrscht ein Notstand, und der Klinikbetrieb ist auf Spenden angewiesen.
Im Dezember habe man dank dieser Zuwendungen an die Mitarbeiter des Krankenhauses jeweils ein Weihnachtsgeld von 100 000 Syrischen Pfund (etwa 30 Euro) auszahlen können, erzählt Schwester Carol. »Die einen spenden für den Weiterbetrieb und medizinische Geräte, die das Krankenhaus dringend benötigt. Andere unterstützen uns, damit wir den Armen helfen.« Da gebe es »beispielsweise Bernhard« aus Deutschland, der mit seinem Verein in der Nähe von München seit Jahren Geld sammle und es an sie weiterleite. »In diesem Jahr konnten wir ein gebrauchtes CT-Röntgengerät kaufen - für Computerfotografien, die immer dringend gebraucht werden. Außerdem konnten wir von den Spenden diese warmen Pullover für die Alten besorgen.«
Die haben die Ordensschwestern bei einem Textilunternehmen bestellt, das die Pullover eigens für die Heime produziert hat. Die Arbeiter hätten pro Pullover mit 15 000 Syrischen Pfund (etwa 4,60 Euro), einen guten Lohn erhalten. »Weil sie viele Pullover nähen konnten, haben sie auch gut verdient«, sagt Schwester Carol. »Die Spenden helfen also auf beiden Seiten, den Arbeitern und den Alten. Und wir danken für die Unterstützung.«
Das Beit Nour liegt versteckt in einer der vielen schmalen Gassen der Altstadt. Der hohe Innenhof ist überdacht, so dass ein Saal entstanden ist, der den Männern als Aufenthaltsraum dient. Drei große Stapel mit warmen Pullovern haben die Salesianer-Schwestern auf einen Tisch getürmt, der wie ein Gabentisch aufgebaut ist. Etwa 20 Männer blicken erwartungsvoll auf Schwester Carol, die eine kurze Ansprache hält.
Am Ende ihrer Grußworte schlägt einer der Männer auf seine Trommel. Sofort fallen die anderen Männer klatschend in den Rhythmus ein, aus einer hinteren Ecke des großen Raums tritt langsam ein Mann hervor und bewegt sich tanzend im Rhythmus. Schwester Carol, die ebenfalls zur Trommel die Hände zusammenschlägt, schließt sich dem Tanzenden an, und gemeinsam bewegen sie sich einige Schritte lang durch den Raum. Dann ruft Schwester Carol, dass es Zeit sei, die Geschenke zu verteilen.
Die Männer kehren auf ihre Plätze zurück. Die Salesianer-Schwester nehmen jeweils zwei oder drei Pullover in Blau-Grau oder Braun-Weiß, zwischen denen die Alten wählen können. Die Pullover werden angehalten, um die Größe zu prüfen, dann geht es weiter zum Nächsten, bis auch der Tänzer seinen Pullover erhält. So gut er tanzen kann, so wenig gelingt es ihm jedoch, die Bewegungen seiner Arme zu koordinieren. Die Schwestern helfen ihm bei der Anprobe, schließlich steht er im Kreis der Mitbewohner in seinem neuen Pullover und lächelt stolz. Er erntet spontanen Beifall, doch das ist für den Mann dann doch zu viel Aufmerksamkeit. Rasch und ohne weiter in die Runde zu sehen, zieht er sich in ein abseits gelegenes Zimmer zurück und schließt die Türe.
Während die anderen Männer mit Unterstützung der Trommel weiter singen und tanzen, findet Schwester Carol Tahan Zeit für ein kurzes Gespräch. Einige der alten Männer seien bettlägerig und könnten nicht an der Feier teilnehmen, sagt die resolute Frau mit der grauen Tracht einer leitenden Salesianer-Schwester.
In den nächsten Tagen wird sie noch das Beit Hubi in dem Stadtteil Dweila besuchen, wo alleinstehende Frauen leben. Auch dort wird sie Geschenke übergeben. Mit dem Beit Saadi stehe dann ein drittes Seniorenwohnheim auf ihrem Plan. Das ist größer als das Beit Nour. »Dort leben 170 ältere Männer«, erklärt sie. Einige seien Diplomaten, Professoren, Ingenieure oder angesehene Ärzte gewesen. »In ihren Zimmern hängen Fotos aus ihrem Leben, von ihren Familien und Kindern.«
Die Einsamkeit sei für die Alten das Schlimmste, meint sie. Die meisten von ihnen haben keine Familie mehr in Syrien. Ehepartner sind verstorben, die Kinder oft irgendwo im Ausland. Von den meisten Männern im Beit Nour kennt Schwester Carol die Geschichte. »Dort drüben auf der Bank sitzt Gabriel, er ist 75. Er kam eines Tages zu uns in den Konvent, weil er seine Tochter verloren hatte, bei der er wohnte. Er wusste nicht mehr weiter. Wir haben ihm geholfen, ein kleines Geschäft aufzubauen, kauften ihm einen Trolly, mit dem er in der Nähe der Schulen Bonbons, Kekse und Kleinigkeiten für Kinder verkaufen und einen bescheidenen Lebensunterhalt verdienen konnte. Doch als der Krieg begann, musste er mit der Arbeit aufhören, und dann wurde er hier im Beit Nour aufgenommen.« Die religiöse Zugehörigkeit der Männer spiele keine Rolle, erklärt sie. »Niemand wird danach gefragt, alle sind willkommen.«
Am nächsten Tag ist im Beit Nour wieder der Alltag eingekehrt. Morgens und nachmittags sitzen die Männer jeweils zusammen. Manche spielen Tawla (Backgammon), andere blättern in Büchern oder unterhalten sich. Der Trommler vom Vortag sitzt neben Abu Majd*. Der möchte nicht, dass sein Name genannt wird. In seinem »früheren Leben« war Abu Majd Inhaber einiger der besten Restaurants in der syrischen Hauptstadt. »Ich hatte ein Restaurant in Abu Rummaneh, das ›Sanabel‹ in Al Qusour, das ›Vendome‹ in Mezzeh, ich hatte ein Chinarestaurant und ein weiteres in der Altstadt von Damaskus. Das ›Al Waha‹-Restaurant war auf dem Weg nach Harasta, es wurde abgerissen, weil dort eine Straße gebaut wurde. Ein Restaurant war auf Kartoffelspeisen spezialisiert.« Die Stimme des 60-Jährigen wird immer leiser, er wirkt bedrückt.
2011 habe es Probleme mit verschiedenen Unternehmen gegeben, erzählt er. Er sei eine Verbindung mit einem größeren Unternehmen eingegangen, doch das habe ihm alle Restaurants abgenommen. Danach habe er keine Arbeit mehr gehabt und obendrein alles Geld verloren; seine Frau habe ihn verlassen, und er sei krank geworden. Ein Priester habe ihm geholfen, im Beit Nour aufgenommen zu werden. Von seiner Familie werde er nicht unterstützt. Zwei Söhne seien in den Vereinigten Arabischen Emiraten und suchten dort Arbeit. Nur seine älteste Tochter habe ihn besucht, doch auch sie habe inzwischen das Land verlassen. Somit ist er auf sich alleine gestellt und eigentlich viel zu jung im Altenheim gestrandet.
Das Leben im Beit Nour sei gut, sagt Abu Majd. Er verbringe die Tage mit Freunden. Er lese viel, wenn er in seinem Zimmer sei, das er sich mit zwei anderen teile. Die Bücher, die es im Beit Nour gibt, seien ausschließlich religiös, erzählt er. Aber er habe auch seine eigenen. Geschichte und Politik interessieren ihn, und Romane liest er. Sein ganzes Leben habe er in guten Verhältnissen gelebt. Doch »nun sind elf schreckliche Jahre vergangen, und ich glaube nicht an eine bessere Zukunft«. Im Beit Nour habe er viel über Religionen gelernt und eine Gemeinschaft gefunden. »Wir halten zusammen und helfen uns gegenseitig.« Trotz allem ist er dankbar.
Im Hintergrund erklingen religiöse Lieder, die Männer schieben ihre Stühle in einen Kreis, andere ziehen sich zurück in ihre Zimmer. Eine elegant gekleidete Damaszenerin ist gekommen und hat im Stuhlkreis Platz genommen. Sie liest aus einem schmalen Buch vor, hin und wieder antworten die Männer im Chor. Die Schwester des Mutter-Theresa-Ordens zeigt an, dass es Zeit für die Besucherin ist zu gehen. Auf dem Weg zum Ausgang ruft einer der Männer: »Alles Gute zum neuen Jahr. Kommen Sie wieder!« Fast unmerklich nickt Abu Majd mit dem Kopf zum Abschied.
* Name geändert
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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