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Heinz Bierbaum: »Man kann auch Putin kritisieren«
Europapolitiker Heinz Bierbaum zum Left New Green Deal, zur Außenpolitik der Linken und deren Verhältnis zu Europa
Auf dem European Forum Ende November, das progressive Kräfte aus ganz Europa zusammenbrachte, ist die Idee eines Left New Green Deal vorgestellt worden. Was unterscheidet das Vorhaben vom New Green Deal der EU-Kommission?
Heinz Bierbaum ist Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL), die über drei Dutzend Linksparteien aus verschiedenen europäischen Ländern verbindet. Am Wochenende wird der EL-Vorstand zusammenkommen und unter anderem über das Jahresprogramm beraten. Zu dem Höhepunkten dabei gehören die »No-Pasaran«-Konferenz im März, die sich gegen rechte Tendenzen in Europa richtet. Ebenso auf der EL-Agenda 2022 stehen der Counter-Summit zum Nato-Gipfel im Juni und die traditionelle Sommer-Universität.
Das sind im Wesentlichen zwei Dinge. Erstens gibt es mit unserem Projekt eine sehr viel stärkere Verbindung mit der sozialen Frage. Das ist ein entscheidender Punkt: Wir wollen die ökologischen mit den sozialen Erfordernissen verzahnen. Die britische Labour Party hat in diesem Zusammenhang von einer grünen industriellen Revolution gesprochen, das beschreibt das Anliegen recht gut. Ganz praktisch bedeutet das, dass nicht nur über Arbeiter und Angestellte gesprochen wird, sondern deren Interessen wirklich berücksichtigt werden. Und zwar nicht nur, indem mit anderen Arbeitsplätzen, Kompensation, Umqualifizierungen für den sozialen Ausgleich gesorgt wird, sondern dass die Beschäftigten auch selbst beteiligt werden müssen. Das heißt, wir wollen diese Frage mit dem Thema Wirtschaftsdemokratie verknüpfen.
Der zweite wesentliche Punkt ist, dass wir eine viel tiefer greifende Umgestaltung der Wirtschaft wollen, eine sozial-ökologische Transformation, die im Rahmen von kapitalistischen Grenzen nicht machbar ist. Diese Grenzen müssen tendenziell überwunden werden.
Das klingt etwas unrealistisch.
Es fängt bei dem an, was man tatsächlich heute schon tun kann. Beispielsweise bei öffentlichen Investitionsprogrammen. Wenn stärker öffentliche Verantwortung übernommen wird, dann sind das erste Schritte in Richtung einer anderen Gesellschaftsordnung. Wir kommen nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen.
Um den Left New Green Deal wird es auch am Wochenende im Vorstand der Partei der Europäischen Linken gehen. Ist das Vorhaben aus dem Stadium der Idee bereits heraus?
Ja, das ist es. Wir sind dabei sehr stark in Verbindung mit den Gewerkschaften, auch auf der europäischen Ebene. Das ist eine neue Konstellation, die europäischen Gewerkschaften haben sich gegenüber der Linken in letzter Zeit deutlich geöffnet, es gibt inzwischen eine sehr gute Zusammenarbeit. Wie wir sind auch die Gewerkschaften der Meinung, dass wir öffentliche Eingriffe brauchen, um eine sozial-ökologische Transformation hinzubekommen.
Wer arbeitet das Konzept aus? Die EL, die Gewerkschaften? Sind noch andere Gruppierungen beteiligt?
Wir stehen dabei vor allem mit den Gewerkschaften in enger Verbindung. Auch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt es Überlegungen in diese Richtung, bei der Linksfraktion im Europaparlament ebenfalls. Beim European Forum, an dem sehr unterschiedliche progressive Kräfte teilgenommen haben, gab es großes Interesse an dem Vorhaben. Inzwischen gibt es in der EL eine Arbeitsgruppe für den Left New Green Deal, in dem alle Unterstützer an einem Tisch sitzen, auch wenn der aktuell nur virtuell ist.
Ein solches Vorhaben links der Mitte wird ohne die Sozialdemokraten nicht zu machen sein. Sind sie mit im Boot?
Wir haben zumindest eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten. Denn inzwischen ist ja unbestritten, dass etwas geschehen muss, was den Klimawandel angeht. Es ist ebenso unbestritten, dass wir einen völligen Umbau der Industrie und der Wirtschaft brauchen in ökologischer Hinsicht. Die Frage ist nur, wie macht man das. Und ich glaube schon, dass wir gerade in der Frage der schon angesprochenen öffentlichen Investitionen mit sozialdemokratischen Kräften zusammenkommen können, gerade in Deutschland. Denn es wird zum großen Problem der SPD und auch der Grünen in der Ampel-Regierung werden, dass die notwendigen und angekündigten Umgestaltungen mit überkommenen marktwirtschaftlichen Mitteln, sprich privatem Kapital, erreicht werden sollen. Die Ampel hat hehre Zielsetzungen, aber dass sie auf diesem Wege umsetzbar sind, wage ich zu bezweifeln.
Bei Klima- und Wirtschaftspolitik mag es Ansatzpunkte geben, in der Außenpolitik liegen Linke auf der einen und Rot-Grün auf der anderen Seite weit auseinander. Wegen ihrer Position in internationalen Fragen wird die Linke als nicht politik-, schon gar nicht als koalitionsfähig betrachtet.
Dieser Vorwurf ist weit hergeholt und unsinnig. Gut, wir müssen heute selbstkritisch eingestehen, dass unser Abstimmungsverhalten im Bundestag zur Evakuierungsmission Evakuierungsmission aus Afghanistan falsch war. Und nicht nur hinsichtlich der fehlenden Einheit, was ganz bestimmt das Schlechteste war, was passieren konnte. Sondern auch, dass wir mit unserer Argumentation bei der Bevölkerung nicht durchgekommen sind – weil diese Argumentation brüchig und teilweise widersprüchlich war. Das ist dann wieder einmal gegen uns instrumentalisiert worden.
Wie hätten Sie abgestimmt?
Ich war für Enthaltung. Aus parteitaktischen Überlegungen, weil ich dachte, das Ja oder das Nein überfordert die Partei, also enthalten wir uns und versuchen, das zu begründen. Ich weiß ja, welche Bandbreite wir in der Linken in außenpolitischen Positionen, nicht nur in Bezug auf Afghanistan, haben. Im Nachhinein halte ich das für falsch.
Ihr Stellvertreter in der Internationalen Kommission, Wulf Gallert, hat sich im »nd« und noch ausführlicher auf der Europaplattform die-zukunft.eu für eine kritischere Betrachtung auch Chinas und Russlands kritischere Betrachtung auch Chinas und Russlands ausgesprochen. Hat das bei Ihnen Widerspruch hervorgerufen?
Nein.
Aber bei anderen prominenten Vertreter*innen der Linken schon.
Wir haben in der Internationalen Kommission ein Positionspapier zu China ausgearbeitet, hinter dem ich nach wie vor stehe. Darin geht es darum, dass wir durchaus Kritik an einigen Entwicklungen in China haben, aber dass man ein entspannteres Verhältnis zu dem Land haben sollte und dass es darum geht, mit China im Gespräch zu bleiben. Und ebenso die Chancen einer Zusammenarbeit zu sehen. Das schließt Kritik nicht aus. Wir haben uns beispielsweise kritisch zum Sicherheitsgesetz geäußert und zu autoritären Tendenzen in der Volksrepublik. Auf der anderen Seite bin ich dafür, ein vernünftiges Verhältnis zu China und zur Kommunistischen Partei Chinas zu haben, sodass wir miteinander reden und uns direkt über Entwicklungen in dem Land informieren können.
Ein Positionspapier der Internationalen Kommission ist das eine, die Meinung gerade an der Parteibasis etwas anderes.
Ich glaube, dass die Position der Internationalen Kommission auch in der Parteibasis mehrheitsfähig ist. Ebenso übrigens wie unsere Meinung, dass man auch Putin kritisieren kann und muss. Genauso, wie wir die Osterweiterung der Nato kritisieren, die wir für völlig falsch halten. Und auch der russische Großaufmarsch an der ukrainischen Grenze stellt nach unserer Ansicht ein Großmachtverhalten dar, das wir so nicht billigen können. Wir können uns damit kritisch auseinandersetzen, ohne gleich »auf dem Nato-Trip« zu sein. Gerade in der internationalen Politik müssen wir von bestimmten Tabuisierungen wegkommen und die realen Prozesse beachten. Das heißt überhaupt nicht, die friedenspolitischen Grundsätze infrage zu stellen, das halte ich für absurd.
Wird das Verhältnis zu Russland und China in anderen Parteien der EL ebenso heftig diskutiert wie in der deutschen Linken?
Es ist ein heißes Eisen, das man versucht zu umschiffen. Ein Beispiel, zwar nicht direkt auf Russland, aber auf Belarus bezogen: Während die Kommunistische Partei Spaniens Präsident Lukaschenko zu dessen umstrittenen Wahlsieg gratuliert hat, war die Mehrheit der anderen Parteien ganz anderer Auffassung. Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen in der EL zu solchen Prozessen. Und wir haben Nachholbedarf, die heißen Eisen offen anzusprechen. Dafür müssen sich die linken Parteien aber auch öffnen und bewusst akzeptieren, dass es gerade in dem sehr eng zusammengewachsenen Europa auch eine europäische Dimension linker Politik gibt. Diese europäische Dimension ist leider auch in meiner Partei unterbelichtet.
Dieses Problem ist nicht neu. Warum wird es nicht gelöst?
Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass sich dieser Zustand ändert. Zur Zeit ist das natürlich überlagert von der Problematik der Partei insgesamt. Ich bin auch nicht der Auffassung, dass wir Linke kein Verhältnis zur EU hätten. Wir haben vielleicht unterschiedliche Auffassungen. Aber auch das hat sich in gewisser Weise eingeebnet. Wir haben nun die Chance und die Herausforderung, uns stärker auf die Inhalte europäischer Politik zu konzentrieren. Viel zu lange haben wir eine abstrakte Diskussion geführt, ja oder nein zur EU, reformfähig oder nicht – das ist doch albern. Der entscheidende Punkt ist, und das haben wir gerade in der Corona-Pandemie mit dem Recovery Fund exemplarisch gesehen, dass eine Veränderung der europäischen Politik möglich ist. Da müssen wir anknüpfen. Wenn die Linken das nicht tun, tut es niemand. Abstrakte akademische Debatten bringen noch keine Veränderung.
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